Wie man ordentlich erwachsen wird

Andreas Münzners bemerkenswertes Romandebüt "Die Höhe der Alpen"

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie hoch liegt Schwellbrunn? Für einen kleinen Schweizer Jungen ist dies eine langweilige Frage. Würde er doch lieber alle möglichen Geschichten und Abenteuer des vergangenen Ferienlagers in dem Alpenort Schwellbrunn berichten. Der Fragesteller, sein Vater, hat allerdings wenig Bedarf nach phantasievoll ausgesponnenen Erzählungen. Die Frage nach der Höhe der Alpen erfordert eine klare Antwort. Wer sie nicht geben will oder kann, beweist damit, dass er noch nicht reif ist für die Welt der Erwachsenen.

Der kleine Junge wächst in einer Eigentumswohnungssiedlung in der Schweiz auf. Die Erwachsenenwelt, die sich ihm entgegenstellt und ihn bei seinem eigenen Erwachsenwerden behindert, wird verkörpert durch den Vater. Der Vater hat noch die Schrecken des Krieges und die Entbehrungen der Nachkriegszeit erlebt. Jetzt hat er in sein Leben die Ordnung, klare Prinzipien, die Vernunft und die Kargheit eingeführt. Diese Ordung darf nicht gestört werden. Nicht von dem Jungen und nicht von seinem kleinem Bruder. Bei schweren Vergehen, wie drei Spritzern auf der Toilettenbrille, wird man schon mal übers Knie gelegt. Dabei ist der Vater keineswegs ein reaktionärer Kleinkrämer, sondern im Gegenteil weltoffen und ganz Kind der marktorientierten Leistungsgesellschaft. So diskutiert er zu Hause die neuesten Managementmethoden aus den USA, wo er mit der gesamten Familie auch schon ein komplettes Jahr verbracht hat. Und der Vater war es auch, der als erster in der Gegend seinen Körper durch Laufen zur Fitness brachte, als man das Wort Jogging hierzulande noch gar nicht richtig aussprechen konnte.

Andreas Münzner, 1967 geboren, hat mit seinem ersten Roman das Erwachsenwerden seiner Generation beschrieben. Er erzählt den Generationenkonflikt mit einem erfrischenden Sprachwitz und mit viel Liebe zum Detail. Der bis ins Absurde gehenden Ordnungs- und Regelvielfalt der Erwachsenenwelt stellt der Sohn seine Phantasie und seinen eigenen Willen entgegen. Mit Ironie und einer Portion Frechheit gelingt es ihm immer wieder, die Schranken der Erwachsenen zu durchbrechen. Doch entwickelt er selbst mit der Zeit einen Hang zur klaren und präzisen Ordnungswelt, die ihn auf den Weg zum Erwachsenwerden führt. Anders als in den rebellischeren Generationen vor ihm, bedarf es keinen Vatermordes um den Vater zu überwinden, damit der Sohn zu sich selbst finden kann. Andreas Münzners Junge geht einen unblutigeren Weg. Er durchschaut sehr viel, nimmt das meiste gelassen, reagiert oft mit Ironie. Und wird es so am Ende doch schaffen, ein ordentlicher Erwachsener zu werden.

Titelbild

Andreas Münzner: Die Höhe der Alpen. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2002.
234 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3498044842

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