Geheimnisvolle Melancholie

Patrick Modianos "Unbekannte Frauen" auf der Suche nach Geborgenheit

Von Dörte HartungRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dörte Hartung

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Noch war ich eine nicht identifizierte junge blonde Frau. Von Mädchen, die man aus den Wassern der Saône oder der Seine gefischt hat, heißt es oft, sie wären unbekannt oder nicht identifiziert. Ich hoffe, das für immer zu bleiben." Das lässt Patrick Modiano seine Ich-Erzählerin am Ende der ersten von drei Geschichten sagen. Unbekannt, ohne Gesicht, Namen oder ein festes Zuhause sind alle drei Frauen, die der Schriftsteller rückblickend aus ihrer Jugend in den 60er Jahren erzählen lässt. Da gibt es ein junges Mädchen, das von Lyon nach Paris flüchtet, weil es mit der Mannequinkarriere nicht geklappt hat und sie trotz Familie in dieser Stadt einsam ist. Doch auch Paris kann ihr, so scheint es zu Beginn, nicht die erhoffte Veränderung und Stabilität im Leben geben. Das ändert sich schlagartig als sie einem geheimnisvollen Mann begegnet, der eine bewegte Vergangenheit zu haben scheint. Das Mädchen verbringt mit ihm eine relativ glückliche Zeit, bis eines Tages die Polizei vor seinem Hotel auftaucht.

Auch in den beiden folgenden Erzählungen fliehen die zwei jungen Frauen, kaum 18 Jahre alt, aus der Monotonie und den Zwängen ihres Alltages, ohne festes Ziel, ohne zu wissen, was als nächstes mit ihnen passieren wird.

Sehr genau und detaillegetreu werden Städte, Straßen und Plätze beschrieben in denen sich die Frauen bewegen. Ein Motiv, das auch in seinen früheren Werken, wie "Hochzeitsreise", wieder zu finden ist. Auch in die Gefühlswelt der Ich-Erzählerinnen taucht der Leser tief ein: "Da habe ich mein Selbstvertrauen vollständig verloren. Ich hatte das Gefühl, an diesem Ort nicht mehr anwesend zu sein und hier auch nie wieder einen festen Platz zu finden." Trotzdem bleiben die drei Frauen ein Geheimnis, Phantome, die plötzlich auftauchen und genauso schnell wieder verschwinden, so wie die Menschen, denen sie auf ihrer Suche nach sich selbst begegnen. Es ist, als ob sich eine Nebelwand zwischen ihnen und dem Leser befindet. Diese Gefühl verstärkt sich vor allem dadurch, dass die Mädchen keine Namen besitzen und ihre Geschichten keine Titel tragen.

"Unbekannte Frauen" ist ein melancholisch-schönes Buch des 55-jährigen französischen Autors, das den Leser mit dem Gefühl der Einsamkeit der Frauen in allen drei Geschichten umhüllt.

Titelbild

Patrick Modiano: Unbekannte Frauen.
Übersetzt aus dem Französischen von Elisabeth Edl.
Carl Hanser Verlag, München 2002.
140 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446201343

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