Malocher, die nicht meschugge sind

Hans Peter Althaus untersucht Jiddismen in der deutschen Sprache

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den deutschen Medien begegnen dem aufmerksamen Leser seit den achtziger Jahren immer häufiger Ausdrücke jiddischer Herkunft. Allerdings wissen viele nicht, dass Wörter wie Chuzpe, Maloche, Zocker (eine Wortfamilie, die heute in aller Munde ist) oder der Ausdruck Zoff, der mittlerweile zum Kennwort unserer Epoche wurde, Jiddismen sind. Diese Bildungslücke versucht Hans Peter Althaus, Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Trier, mit seiner kleinen, aufschlussreichen und gut lesbaren Studie zu schließen, in der er die Rolle deutscher Wörter jiddischer Herkunft in der Sprache der Gegenwart genau untersucht. Gleichzeitig erklärt er, wie bestimmte Ausdrücke ihren Stellenwert geändert oder neue Formulierungen erzeugt haben und in welche Verwendungszusammenhänge die verschiedenen Jiddismen wie etwa "meschugge", "Zores", "Zoff" und einige andere eingebunden sind.

Dabei weist er auch auf die bisherigen Ergebnisse der Forschung hin und betont, dass es im Grunde recht schwierig sei, über den Entlehnungsweg und die Kontaktzone, in der ein jiddisches Wort ins Deutsche übernommen wurde, halbwegs verlässliche Angaben zu machen. Zwischendurch streift der Autor kurz Ursprung und Entwicklung des Jiddischen im deutschen Sprachbereich.

Durch das enge Zusammenleben jüdischer und christlicher Familien in Dörfern und kleinen Städten, insbesondere im Süden und Südwesten Deutschlands, seien, schreibt Althaus, zahlreiche Jiddismen in die dort gebräuchlichen bäuerlichen Mundarten mit aufgenommen worden. In die berufssprachlichen Idiome der Handwerker und Händler kamen Jiddismen durch deren jüdische Kollegen und Konkurrenten, in den Sprachgebrauch der größeren Städten und Metropolen gelangten sie durch den raschen Anstieg der jüdischen Bevölkerung und die Zuwanderung von Ostjuden im 19. Jahrhundert, in die Geheimsprachen wiederum durch Vaganten und Scholaren.

Anfangs war Jiddisch ein Soziolekt der aschkenasischen Juden und deren alltägliches Kommunikationsmittel. In der Emanzipationszeit wurde das Jiddische jedoch als Jargon diffamiert, zu einem sozialen Deklassierungsinstrument umfunktioniert und gegen Juden eingesetzt. "Von der als korrumpiert angesehenen Sprache wurde auf die Sprecher geschlossen und unterstellt, dass der Gebrauch einer verachteten Sprache die Minderwertigkeit der Sprecher erweise." Doch dürfe man nicht, warnt der Autor, das seit dem 18. Jahrhundert stark rückläufige Westjiddische mit dem bis zum Zweiten Weltkrieg lebendigen Ostjiddischen verwechseln. Aber ganz ausgestorben ist die jiddische Sprache in Deutschland dennoch nicht.

Auch das Rotwelsch, das seit dem ausgehenden Mittelalter als Gaunersprache gilt, wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert in Betrüger- und Verbrecherkreisen weiter gegeben und hat neben anderen Komponenten auch Elemente aus der Sprache der Juden mit aufgesogen. Immerhin rekrutierten sich die Gauner, Vaganten und Verbrecher der vergangenen Jahrhunderte aus allen Kreisen der Bevölkerung, unter denen es natürlich auch Juden gab. Fataler Weise wurde ihre Sprache oft mit der Gaunersprache gleichgesetzt. Selbst heute noch werden hin und wieder Jiddisch und Rotwelsch in einem Atemzug genannt.

Während sich die Juden in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert bemühten, in sprachlicher Hinsicht unauffällig zu werden und die ererbte Muttersprache gegen die deutsche Verkehrssprache einzutauschen, richteten Sprachwissenschaftler schon früh ihr Erkenntnisinteresse auf die jiddische Sprache. Sie untersuchten Herkunft und Anzahl der jiddischen Wörter, ohne indessen deren kommunikative Funktion näher zu erforschen. Inzwischen hat der Gebrauch der Jiddismen in der Öffentlichkeit und in der Presse eine außergewöhnliche Eigendynamik entwickelt, wobei auffällt, dass die Verwendung jiddischer Wörter in der deutschen Öffentlichkeit offenbar in dem Augenblick zugenommen hat, in dem der Kontakt mit der jiddischen Sprache stark zurückgegangen, wenn nicht ganz erloschen ist.

Manche Ausdrücke hatten nur eine kurze Gebrauchszeit, legt Althaus weiter dar. Andere waren dem Deutschen dauerhafter verbunden, wieder andere wurden vollständig integriert. Wenn man bei Ausdrücken wie "Chuzpe", "Ganeff", "Maloche", "Mischpoche", "Reibach", "Zoff" oder "Zores" den Duden und andere Wörterbücher aufschlägt, findet man in der Regel Angaben wie: "jüdisch", "jiddisch" aus dem "Jiddischen" aus dem "Hebräischen" oder "rotwelsch". Zu den bekanntesten jiddischen Ausdrücken gehören "nebbich", ein im Grunde unübersetzbarer Partikel - er bedeutet so viel wie unwichtig, belanglos, leider, ausgerechnet, fürwahr -, dann "meschugge", "mies", "betucht" im Sinne von wohlhabend, obwohl es häufig als "mit Tuch versehen" verstanden wird, ferner Macken, die bei Autos, Computern und Plattenspielern ausfindig gemacht werden. Klar, ein Auto mit Macken kauft ein Malocher nicht, er ist ja nicht meschugge. Da haben wir gleich drei Jiddismen in einem Satz.

Das Wort "meschugge" (es bedeutet verrückt, nicht bei Verstand, unberechenbar, manchmal auch nur albern und benennt Formen abweichenden Verhaltens) ist heute in der deutschen Umgangssprache und in den Dialekten gebräuchlich. Doch ist seine Verwendung in letzter Zeit zurückgegangen, glaubt Althaus festgestellt zu haben. Diesem Ausdruck hafte etwas Leichtes, Ironisches und Privates an. "Meschugge" kommt häufig in jüdischen Anekdoten vor, aber auch in der deutschen Verkehrssprache und sogar in der deutschen Literatur. In Rafael Seligmans Roman "Der Musterjude" rechtfertigt die Mutter des Protagonisten Moische Bernstein die Umgestaltung eines Jeans-Ladens im Disco-Stil mit der Bemerkung: "Die Gojim (Nichtjuden) lieben diesen meschuggenen Krach."

Ein wichtiger Verwendungsbereich für "meschugge" war seit jeher die humoristische Literatur, die auch von Nichtjuden gern gelesen wurde. Seine Spätlese jüdischer Schnurren und Anekdoten versah Hans Ostwald 1928 mit dem Titel "Frisch, gesund und meschugge". Dass sogar die Sprache meschugge sein kann, hat Paul Nikolaus 1924 erzählt:

"Ich geh auf der Post, Herr Löb."

"Es heißt auf die Post!"

"Ich komm von die Post, Herr Löb!"

"Simpel, es heißt von der Post!"

"Meschuggene Sprache, aufm Hinweg heißt se die Post,

aufm Heimweg heißt se der Post."

Ausdrücke aus dem Jiddischen sind auch im Sportteil der Zeitungen sehr beliebt. Da ist gelegentlich von "Zoff" zwischen Trainer und Spielern die Rede. Es tauchen Anschuldigungen auf wie Abkassierer, Abzocker. Zoff wirkt als Wortschablone für eine bestimmte Situation, Zocker als Auslöser einer tiefen Kränkung, wobei aber kein Jude diffamiert wird, sondern ein bestimmter Fußballspieler, der es vor allem auf Geld abgesehen hatte. Die Malocher im Ruhrgebiet waren nicht nur fleißige Arbeiter, sondern oft auch Fußballspieler, die das Spiel als harte Arbeit, als Maloche ansahen. Als wieder einmal ein Wettkampf anstand, forderte der Trainer Ottmar Hitzfeld von seinen Spielern "harte Maloche".

Viele wurden durch den Sport "betucht", also wohlhabend, und machten manchmal dabei einen "Reibach", zuweilen sogar einen "Riesenreibach". Die Kehrseite vom Reibach war nicht selten die "Pleite". Wenn es ganz schlimm kam, dann stand mit "Schlamassel" zur Bezeichnung aller Kalamitäten wieder ein Wort zur Verfügung, das auf ein jiddisches Wort zurückgeht. Anfang der achtziger Jahre hieß es vom Trainer Dettmar Cramer einmal, er stecke mit seiner Mannschaft tief im "Abstiegs-Schlamassel." Etwas verderben, heißt vermasseln. Jemandem die Tour vermasseln bedeutet, seine Absichten zunichte machen. Umweltpolitik und Entsorgungsindustrie haben es ebenfalls immer wieder mal mit einem Schlamassel zu tun.

Aber kehren wir noch einmal zum Sport zurück. Wenn einem Torwart die Nerven durchgingen, erklärten seine Spieler, ihr letzter Mann hätte eine "Macke", und wenn die Siege ausblieben, dann wurde miteinander "Tacheles" geredet. (Man kam zur Sache, sprach Klartext). Mitunter wird auch in der Politik und Kultur Tacheles geredet wird. Schon Kohl redete im März 1993 "mit den eigenen unbotmäßigen Leuten Tacheles", nachdem die hessische CDU schon zwanzig Jahre vorher gefordert hatte: "Mit Franz Josef Strauß muss jetzt einmal Tacheles geredet werden."

Unter den sonstigen Jiddismen, die im Sportjournalismus benutzt werden, ragt die Wortfamilie "mies" hervor. Indes wird mies samt Ableitungen und Zuspitzungen kaum noch als fremdes Wort oder gar als Jiddismus empfunden. (Beim Skatspiel macht man Miese, das heißt Verlustpunkte.) Für Misserfolge wird nach Schuldigen Ausschau gehalten, manchmal auch nach Miesmachern. Sportler suchen Miesmacher gerne in Redaktionsstuben bei Sportreportern. Bisweilen werden im Sport und anderswo auch miese Tricks angewendet, und wer auf der Doping-Liste steht, wird als nicht ganz "koscher" bezeichnet, das heißt, man zweifelt an seiner Sauberkeit. (Im Jiddischen gelten bekanntlich Speisen als unkoscher, die nicht den rituellen Vorschriften entsprechen.)

Wenn Wettkampfmannschaften nicht mehr den Sieg anstreben und sich von vornherein auf ein Unentschieden verständigen, wird das als "Schmusen" ausgelegt. Schmusen bedeutete im Jiddischen ursprünglich "reden", im Deutschen wurde es über "zärtlich reden" zu "zärtlich sein" oder auch "Kompromisse schließen". Bei einem Fußballspiel wurde einmal ein Transparent mit der Aufschrift gesichtet: "Kein Schmusen mit Leverkusen".

Zocker und Zoff sind zurzeit in aller Munde und gelten oft als Ausweis von Jugendlichkeit und Pfiffigkeit. Ganz anders verhält es sich mit Zores. Dieses Wort ist heute vielen unbekannt. Seine Geschichte im Deutschen verlief anders als die der Wörter Zocker und Zoff. Das sowohl im Westen als auch im Osten gebräuchliche Wort Zores wurde 1820 als ein "verderbter hebräischer Ausdruck für Lumperei, Gesindel, Spaß, correspondirt dem Burschikosen, Trödel" bezeichnet. Einen Artikel über die aus Äthiopien nach Israel eingewanderten schwarzen Juden überschrieb 1985 die "Frankfurter Allgemeine" mit dem Satz: "Wenn ihr in Äthiopien geblieben wärt, hättet ihr jetzt nicht diesen Zores."

Für Zocker wird im Deutschen die Bedeutung Spieler, Glücksspieler, Falschspieler und Spaßmacher angegeben. Daraus entstanden die Abzocker, Kredithaie. Im Wort abgezockt steckt durchweg der Vorwurf, viel Geld für wenig Leistung einstreichen zu wollen. Mit demselben Vorwurf werden manchmal auch Politiker bedacht. "Nicht Abzocken, sondern sparen - bei den Ausgaben und bei sich selbst", so wurden laut "Bild" einmal Stadt- und Gemeinderäte ermahnt.

Zoff gilt heute vor allem als Streit und ist ein Modewort des öffentlichen Sprachgebrauchs, vor allem bei Halbwüchsigen. Die Presse verwendet es auch bei Nachrichten aus dem Gaunermilieu. Zoff bezeichnet Rauflust und Gewaltbereitschaft und gelangte ebenfalls in den Bereich der Sportberichterstattung. "Zoff auf dem Betze", hieß es, als der 1. FC Kaiserslautern einmal ein Heimspiel verlor. Inzwischen hat Zoff sogar den Kulturbereich erreicht.

Nicht immer weiß man genau, was mit den einzelnen jiddischen Wörtern gemeint ist. Mies ist dagegen eine jiddische Äußerung, die als solche gar nicht mehr erkannt wird. Die Nazis bedienten sich ihrer sogar in der Propaganda zur Stärkung der Heimatfront. Aber es kommt natürlich auch vor, dass mit einem jiddischen Wort auf ein jüdisches Thema hingedeutet wird. Gleichwohl ist heute die Anwendung von Jiddismen weniger der Bewältigung der Vergangenheit in der Sprache als dem Schreibanlass und Stilwillen der Verfasser verpflichtet. Jiddismen dienen in der Presse als Blickfang, zur Fokussierung, und geben den Journalisten den Anstrich intimer Kenntnis bestimmter Einzelheiten und Zusammenhänge. Die Jiddismen sind mithin keineswegs entbehrlich, sondern bilden an besonderen Brennpunkten eine hoch geschätzte Bereicherung des Wortschatzes.

Zudem beeinflussen Jiddismen heute die Jugendsprache und finden nicht nur in essayistischer Literatur, sondern auch in parodistischer Lyrik ihren Niederschlag. Hier ein Beispiel aus Wolfgang Brenneisens "Max und Moritz" mit dem Untertitel: "Die Story von zwei irren Fuzzis, die ihren Mitmenschen tierisch auf den Keks gingen, dann aber eine reingesemmelt bekamen und schließlich die Hufe hochklappten" aus dem Jahr 1994. Auf diese Weise wird das bekannte Kinderbuch im radikalen Szenejargon adaptiert.

"Friedlich happy und ganz cool,

saß er da auf seinem Stuhl.

Moritz fand das einfach schroff,

und mit Max sann er auf Zoff."

Manches vom überlegenen Witz solcher Geschichten ist allerdings längst unwiederbringlich verloren. Anderes bewahren Schnurren und Anekdoten. Ohne Kenntnis des jiddischen Vokabulars in der deutschen Sprache und seines kulturellen Hintergrundes lassen sie sich aber, glaubt der Sprachwissenschaftler Hans Peter Althaus, meistens nur unzureichend verstehen.

Titelbild

Hans Peter Althaus: Zocker, Zoff und Zores. Jiddische Wörter im Deuschen.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
144 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3406476163

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