Konstruktionen des Ewig-Männlichen

Nils Borstnar dekonstruktruiert die Männerbilder der Werbung

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gibt es in der Werbung der letzten Jahren eine neue Unbefangenheit im Umgang mit der Präsentation von Männlichkeit, gibt es eine neue Lust am voyeuristischen Blick nun auch auf den Mann als Objekt der Begierde und ist damit endlich ein Stück Gleichberechtigung bei der Darstellung der Geschlechter in den Medien verwirklicht worden? Die filmwissenschaftliche Arbeit von Nils Bostnar geht von der Annahme aus, dass das Zeichen Mann in der Werbung der 80er und 90er Jahre des 20. Jahrhunderts eine qualitativ veränderte Behandlung erfahren hat. Diese veränderte Behandlung zeigt sich in einer verstärkten Darstellung der Körperlichkeit des Mannes. Die Interpretationen dieser Veränderung schwanken zwischen dem Mann als neuem, nun der Frau gleichgestelltem Lustobjekt und als altem Machtsubjekt in lediglich veränderten, körperbetonteren Darstellungsformen.

Die Formen der inszenierten Männlichkeit oszillieren für Bostnar zwischen Omnipräsens und Nicht-Sichtbarkeit, wobei es ihm insbesondere um das Sichtbarmachen filmischer bzw. narrativer Codes auf der Darstellungsebene inszenierter Männlichkeit geht. Legt man die Leitunterscheidung Konstruiertheit versus Eigentlichkeit zugrunde, dann versuchen die massenmedialen Männlichkeitsinszenierungen immer, ihre Produkte mit dem Nimbus der Eigentlichkeit, der Natürlichkeit auszustatten. Der männliche Körper erscheint als Signifikant der Nichtkonstruiertheit, Überzeitlichkeit und Machtfülle.

Das mit solcherart veränderter Männlichkeitskonstruktion in Verbindung gebrachte olfaktorische Zeichensystem der Düfte bietet sich in besonderer Weise als Nahtstelle zwischen Natur und Kultur an. In Georg Simmels "Soziologie der Sinne", die von Bostnar leider nicht verarbeitet wurde, findet sich die Geruchsempfindung als dem Denken und Wollen weitgehend entzogener "niederer Sinn" beschrieben. Für Simmel greift das Parfüm in die instinktmäßige Nahwirkung des Geruchs ein und vergrößert die olfaktorische Wahrnehmbarkeitssphäre der Person. Künstlicher Dufteinsatz ist für ihn eine Persönlichkeitsstilisierung, die wie der Schmuck unabhängig von der Person gefallen muss, als ein sozialer Wert gelten muss und doch zugleich der Person zugerechnet wird.

An diese dem Denken und Wollen eher fernen niederen Sinn richten sich nun die Männlichkeitskonstruktionen, die nach ganz spezifischen Gesetzmäßigkeiten produziert und rezipiert werden. Interessant ist hierbei, das sowohl Männer wie Frauen zu jeweils gleichen Anteilen Adressaten der Duftspots sind. Vor diesem Hintergrund könnte man also erwarten, das sich die Konstruktion des männlichen Blicks auf den Mann tendenziell verändert und Rollenstereotype nivelliert werden.

Im analytischen Teil untersucht Bostnar zuerst Werbeprints für Männerparfüm aus den 80er und 90er Jahren. Die herausgearbeiteten Inszenierungs- und Darstellungsstrategien, quasi die Teildiskurse, werden als der männliche Blick, fragmentierte Körper und Skulpturalität, die Inszenierung von Anlehnung und Zugriff, Naturerfahrungen und der Darstellung des Mannes als Vater präzisiert. Ein leicht variierter Zuschnitt der Diskurse findet sich in der ausführlichen Analyse der Werbespots für Duft aus den 80er und 90er Jahren. Der Aspekt der Naturerfahrung taucht als Naturraummystik wieder auf, das Skulpturale findet sich mit dem Aspekt der Zeitlosigkeit verknüpft, erotische Anlehnung und Zugriff sind jetzt stärker als Sexualität expliziert. Neu hinzugetreten sind in den Werbespots Räume der Sub- und Jugendkultur, der Sport- und Extremerfahrung sowie von Freiheit und Abenteuer. Jeder dieser Kategorien werden in der abschließenden Auswertung bestimmte Zentralwerte zugeordnet werden und die Konjunkturen dieser Werte in Untersuchungszeitraum skizziert.

Im Ergebnis wird festgehalten, dass von einem neuen Lustobjektstatus des Mannes in der Werbung nicht gesprochen werden kann. Während Inszenierungen des Weiblichen insbesondere in ihren Blicken auf Fremdwirkungen wie unerfüllte Bedürfnisse und Verführenwollen ausgerichtet sind, fingieren männliche Darstellungen Souveränität und Unabhängigkeit von Wirkungsaspekten. Nicht zuletzt darin taucht der Mann als Machtsubjekt wieder auf. Da alle untersuchten Kommunikate einen Objektstatus des Mannes in der filmischen und bildlichen Darstellung negieren, kann nach Bostnar von einem neuen "Lustobjektstatus" nicht gesprochen werden. Vielmehr etablieren die Zeichensysteme einen explizite Geschlechterdifferenz, in der nicht nur apodiktisch eine Überlegenheit und Unabhängigkeit des Mannes stilisiert wird, sondern auch die Nichtkonstruiertheit und Natürlichkeit der Darstellung. Der Machtanspruch des Mannes wird in der Darstellung durch Naturalisierung quasi zu etwas Selbstverständlichem transformiert, die geschlechtsstereotypische Differenzen keinesfalls nivelliert.

Bostnars Untersuchung liefert ein umfangreiches Bild über die Konstruktionsgesetze und Inszenierungsstrategien des Männerbildes in der Werbung. Leider bleibt dabei die Perspektive der Medienwirkungsforschung, die ihre Brisanz vor dem Hintergrund entfalten könnte, das sich die Rezipienten zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammen setzen, unberücksichtigt. Hinsichtlich der soziologischen Eingebundenheit der Werbung in die Gesellschaft findet man nur knappe Hinweise, dass Werbung weder Spiegel noch Ursache gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse sei, sondern teilhat an einer allgemeinen symbolischen Ordnung unserer Kultur, die in der Werbung umgesetzt, vereinfacht, metaphorisiert und kondensiert wird. Aber reicht das aus, um Film- und Medienwissenschaft an die Gesellschaftswissenschaften zurückzubinden?

Titelbild

Nils Borstnar: Männlichkeit und Werbung. Inszenierung - Typologie - Bedeutung.
Verlag Ludwig, Kiel 2002.
448 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3933598230

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