Einen Bärengruß an den Elefanten

Texte von und über Ingeborg Bachmann

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich möchte das Briefgeheimnis wahren. Aber ich möchte auch etwas hinterlassen", überlegt die namenlose Protagonistin in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina", bevor sie ihre Briefe in der untersten Lade ihres Sekretärs versteckt und bald darauf in der Wand verschwindet. Wie man sich der Autorin und ihrem Werk "unter Wahrung des Briefgeheimnisses" bei gleichzeitiger Einbeziehung von brieflichen Hinterlassenschaften nähern kann, wurde von Sigrid Weigel vor einigen Jahren bravourös vorgeführt. Mit Hilfe des von ihr erschlossenen "Netzes aus Beziehungen und Korrespondenzen" schrieb Weigel ein ebenso innovatives wie erhellendes Buch über Leben und Werk der weltberühmten Autorin, ohne auch nur einen kurzen schielenden Blick auf biographische Intimitäten zu werfen (vgl. die Rezension von Christine Kanz in literaturkritik.de 6/1999).

In eben diesem Sinne wahrt auch Patricia Preuß das Briefgeheimnis in dem zweiten, Ingeborg Bachmann gewidmeten Heft der vom Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg neu geschaffenen Reihe "Briefe und Texte", in dem neben den 21 Briefen und Postkarten Ingeborg Bachmanns an Walter Höllerer, die sich im Besitz des Archivs befinden, auch Briefe Dritter ausgewertet werden. Der erste der Briefe wurde Anfang Januar 1954 geschrieben, der letzte im April 1958. Sie entstanden also während der Zeit, "als sich die 1926 in Klagenfurt geborene Autorin als freie Schriftstellerin etablierte", und werden von Preuß "in Zusammenhang mit dieser frühen Phase von Ingeborg Bachmanns Leben und Werk gesetzt". Im Zentrum der Korrespondenz stehen Bachmanns Beiträge - Gedichte und Essays - für die gerade ins Leben gerufene Zeitschrift "Akzente", als deren Herausgeber Höllerer fungierte. Die ersten Schreiben wurden in Zusammenhang mit Bachmanns Essay über Musils "Mann ohne Eigenschaften" gewechselt. Die Autorin hatte Probleme, das Manuskript rechtzeitig fertigzustellen, dessen Ablieferung von Günter Eich angemahnt wurden musste, der den Anfängen der "Aspekte" eng verbunden und zudem mit Bachmanns Freundin Ilse Aichinger verheiratet war. Am 2.1.1954 konnte Höllerer das Manuskript in der Hoffnung, dass es trotz Verspätung doch noch in das Heft eingefügt werden konnte, endlich an den Verlag schicken. "Das Fräulein Doctor", schrieb er in einem beigefügten Brief, sei zwar "eine langsame, aber wie Sie sehen eine ausgezeichnete Arbeiterin".

Bachmann sollten die Schwierigkeiten, ihre Texte bis zum jeweiligen Abgabetermin abzuliefern auch später nicht verlassen. So sandte sie etwa das lang ersehnte Manuskript ihres - wie sie schrieb - "Features" "Was ich in Rom sah und hörte" mit der entschuldigenden Bemerkung "Natürlich bin ich wieder nicht rechtzeitig fertig geworden, aber jetzt komme ich hinkend." Schon hier macht sich der ungezwungene Ton bemerkbar, der in den folgenden Jahren für Bachmanns zunehmend freundschaftlichere Korrespondenz mit Höller kennzeichnend sein sollte. Dieser Aspekt schlug sich auch in einer von Bachmann entwickelten und kultivierten Rolleneinteilung nieder. Unter Anspielung auf ihr in Arbeit befindliches Werk "Die Anrufung des großen Bären" und Höllerers Romanprojekt "Die Elephantenuhr" übernahm sie die Rolle des "nördlichen Bären" mit dem "dicken Fell" und wies ihrem Briefpartner diejenige des mit der Leichtigkeit des Südens assoziierten Elefanten zu. Auf diese Art gelang es Bachmann nicht nur, eine, wie Preuß schreibt, "freundschaftliche Distanz" herzustellen, die Andeutungen über ihre Stimmungen erlaubte, sondern auch kritische Bemerkungen in einen "freundschaftlich-heiteren Ton" zu kleiden. So leitet die vorsichtige Autorin ihre Kritik an einem Gedicht Höllerers, das er ihr als Manuskript gesandt hatte, mit der Frage ein: "Darf der Freund Bär dem schnaubenden Elefant zwei Stellen sagen, die er nicht schön findet". Nachdem Höllerer sich in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in stärkerem Maße dem Fortgang seiner wissenschaftlichen Karriere zuwandte, wuchsen die zeitlichen Abstände des Briefwechsels jedoch, bis die Korrespondenz schließlich ganz versiegte.

Zwar keinen Einblick in bislang völlig unveröffentlichte Schriftstücke Bachmanns, aber Nachlassmanuskripte in neuer kritischer Bearbeitung bietet der von Monika Albrecht und Dirk Göttsche herausgegebene zweite Band der Reihe "Über Zeit schreiben". Fünf, im Rahmen der vierbändigen Werkausgabe von 1978 erstmals publizierte Nachlasstexte wurden einer Revision unterzogen, die zu einigen nicht unerheblichen Textänderungen führte. Sie werden in dem vorliegenden Band erstmals kritisch ediert und kommentiert. Er reiht sich damit ebenso wie die Publikation aus dem Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg in die nicht wenigen Veröffentlichungen der 90er Jahre ein, welche die Textgrundlage der Bachmann-Forschung erweiterten und verbesserten. Diese und auch der historische Abstand, der, wie die HerausgeberInnen schreiben, Bachmanns Werke zum "Gegenstand literaturhistorischer Betrachtung" werden lässt, ermöglichen inzwischen einen Zugang zu "Aspekte[n] ihres Schreibens", die verborgen bleiben mussten, "solange ihr Werk noch bruchlos als Gegenwartsliteratur gelesen wurde". Durch die neue Textgrundlage und den veränderten methodologische Kontext sieht sich die Bachmann-Forschung vor die Aufgabe gestellt, "den zeit- und bewusstseinsgeschichtlichen Voraussetzungen sowie den literarhistorischen und diskursgeschichtlichen Verflechtungen von Bachmanns Werk größere Aufmerksamkeit als bisher zu widmen". Diese Aufgabe wird in den sechs Untersuchungen des Bandes zu "diskursanalytischen und intertextuellen Konstellationen" in Bachmanns literarischen Texten sowie zu philosophischen, wissenschaftlichen und politischen Kontextualisierungen in allerdings recht unterschiedlicher Qualität gelöst. Eigentliches Herzstück des Buches ist jedoch der Anhang mit den kritisch bearbeiteten Nachlassmanuskripten und mit einem Interview, das Hans Werner Henze Leslie Morris gab, in dem der Komponist, mit dem Bachmann in den 50er Jahre auf Ischia zusammen ein Haus bewohnte, ausführlich über die gemeinsame Arbeit Auskunft gibt.

Auch der Insel Verlag hat einen Bachmann-Text bearbeitet und in einem kleinen bibliophilen Büchlein unter dem Titel "Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran" Passagen einer 'Binnenerzählung' aus Bachmanns einzigem Roman "Malina" veröffentlicht. Das Buch ist mit Bildern Aric Brauers versehen, die der Künstler allerdings explizit nicht als Illustrationen zu Bachmanns Text versteht. So schön das Bändchen auch ist, so unbefriedigend bleibt das anonym verfasste Nachwort, in dem etwa die Frage, wer sich hinter der literarischen Figur Ivan, dem Geliebten der namenlosen Ich-Erzählerin, in Ingeborg Bachmanns realem Leben verberge, kurzerhand mit einem Hinweis auf Paul Celan beantwortet wird.

Titelbild

Ingeborg Bachmann: Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
48 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3458192018

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Monika Albrecht / Dirk Göttsche: "Über die Zeit schreiben" 2. Literatur- und kulturwissenschaftliche Essays zum Werk Ingeborg Bachmanns.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2000.
228 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3826018370

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Patricia Preuss: Ingeborg Bachmann. Zu ihren Essays, Gedichten und Briefen an den Akzente-Herausgeber Walter Höllerer.
Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, Sulzbach-Rosenberg 2002.
60 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-10: 3980844218

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