Starke Frauen, intrigante Männer
Ernst Jüngers Dramenfragment "Prinzessin Tarakanowa"
Von Christina Ujma
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDichternachlässe halten oft Überraschendes bereit, solch eine Überraschung ist Jüngers unvollendetes Drama "Prinzessin Tarakanow", das Lieselotte Jünger kürzlich im Erker Verlag publiziert hat. Das auf 1953 datierte Fragment vereint so viele untypische Züge, dass es kaum verwundert, dass Jünger es nicht fertigstellte. Da ist zum einen die Form des Dramas, an der er sich nur dieses eine Mal versuchte; zum anderen die erstaunliche Tatsache, dass nicht nur die Hauptfigur, sondern auch deren Gegenspielerin weiblichen Geschlechtes ist. Auch der Umstand, dass Jünger sich für sein Drama einen mythenumwobenen historischen Stoff wählte, erscheint im Kontext seines sonstigen Werkes eher ungewöhnlich.
Es handelt sich bei seiner Story um eine legendäre, aber unbedeutende Episode der russischen Geschichte, die sich eigentlich eher als Stoff für düstere Melodramen eignet als für ernste Literatur. Es geht um eine der vielen russischen Verschwörungen gegen den regierenden Zaren bzw. die Zarin: Elisabeth Alexandra Tarakanova behauptete, die uneheliche Tochter der Zarin Elisabeth zu sein und war in eine Verschwörung gegen Katherina die Große verwickelt. Die deutsche Zarin konnte ihre Legitimität primär daraus beziehen, dass sie die Mutter des Thronfolgers und Witwe des vormaligen Zaren Peter III war, an dessen vorzeitigen Ableben sie vermutlich nicht ganz unschuldig war. Falls die Tarakanova also wirklich die Tochter der Zarin Elisabeth gewesen ist, hätte ihr Anspruch auf den Zarenthron durchaus einiges Gewicht gehabt. So verwundert es kaum, dass Katharina die Große ihren langjährigen Lebensgefährten Orloff zur Problemlösung entsandte, der auch schon bei der Beseitigung des Ehemanns gute Dienste geleistet hatte. Ihm gelang es 1775, die Tarakanova in der Hafenstadt Livorno, wo die Prinzessin im Exil lebte, auf ein Schiff zu locken und nach Russland zu entführen. Hier wurde sie in der Petersburger Peter-und-Paul-Festung eingekerkert, wo sie 1777 bei einer Überschwemmung des Gebäudes starb. Der Maler Konstantin Flavitsky wählte 1864 die letzten Minuten der schönen Verschwörerin zum Thema eines monumentalen Historiengemäldes, was dazu beitrug, dass die Tarakanova im Unterschied zu den zahlreichen anderen Verschwörern der russischen Geschichte nicht dem Vergessen anheimgefallen ist.
Von all diesen Ereignissen ist wenig in Jüngers Fragment zu finden. Der erste Akt ist zwar weitgehend fertiggestellt, aber er behandelt nur den Ausgangspunkt der Geschichte. Jünger hat den Wohnort der Prinzessin von Livorno nach Neapel verlegt, einer Stadt, die er seit seinem Studienaufenthalt an der Zoologischen Station in den Zwanziger Jahren sehr schätzte. Jüngers Prinzessin Tarakanow lebt im Haus des Anführers der Verschwörung, des polnischen Fürsten Radziwill. In der ersten Szene des Dramas schwärmen Alexandra Tarakanow und Michael, der Sohn des Fürsten Radziwill, von der betörenden Schönheit Neapels, wobei auch viele Klischees bemüht werden. Das Leben in Neapel bedeutet für beide Charaktere das vollkommene Glück, nicht nur wegen der überwältigenden Schönheit der Stadt und ihrer Umgebung, sondern auch wegen der Zufriedenheit ihrer Bewohner, denen es trotz weit verbreiteter Armut nicht an Selbstbewusstsein und Lebenskunst mangelt. Dies gebe dem Volksleben Neapels egalitäre Züge, was sie sehr von nordischen Städten unterscheide. Während für den Dichter Michael die Schönheit und Zufriedenheit des Neapolitaner Lebens der Idealzustand ist, fühlt sich Prinzessin Tarakanow davon irritiert. Das Leben in Neapel sei wie berauschender Wein, der die Menschen zu passiven Genießern macht und von den wichtigen Dingen, wie etwa der Politik, ablenkt. Michael beschwört Alexandra, sich dem Glück und Genuss hinzugeben und die Gefahren der Politik zu meiden. Die Prinzessin aber ist entschlossen, an der Verschwörung gegen Zarin Katharina teilzunehmen und fragt Michael in Umkehrung der traditionellen Geschlechterrollen, ob er sie auf diesem Weg begleiten möchte. Michael beschwört die Freuden Neapels und des südlichen Lebens, kann sie aber nicht davon abhalten, sich auf das Abenteuer in der Politik einzulassen.
Michaels Vater, Fürst Radziwill, kennt solche Skrupel nicht, was in der fünften Szene des ersten Aktes deutlich wird. Der intrigante polnische Aristokrat erhofft sich von einer Zarin Tarakanow eine Verbesserung der Situation im unterdrückten Polen und tut alles, um Alexandras Entschlossenheit zu stärken. Dies wird in einem Treffen von Fürst Radziwill, Prinzessin Tarakanow und russischen Mitverschworenen deutlich. Das Fragment des ersten Aktes endet damit, dass Michael ihr seine Liebe erklärt und die Freuden des häuslichen Glückes beschwört, was Alexandra allerdings nicht dazu bewegen kann, ihren politischen Plänen und Träumen zu entsagen. Aus dem zweiten Akt ist nur eine Szene erhalten, sie zeigt Katharina die Große, wie sie mit ihrem Hofstaat ganz locker über die dubiosen Umstände ihrer Thronbesteigung und die Hilfe, die Orloff und andere Männer dabei geleistet haben, plaudert. Mit Alexandra Tarakanow und Katharina der Großen porträtiert Jünger zwei Frauen, die den Blick starr auf die Macht gerichtet haben, der sie alles andere unterordnen; Männer sind bestenfalls Mitverschwörer oder Mittel zum Zweck.
Während die Szenen, in denen sich Alexandra und Michael über die Schönheit Neapels, Liebe und Politik unterhalten, durchaus gelungen sind und atmosphärisch an Jüngers späte Erzählung "Eine gefährliche Begegnung" erinnern, bleibt die politische Handlung unbelebt und flach. Den Verschwörungszenen, die eigentlich unzählige dramatische Möglichkeiten bieten, fehlt es an Spannung und Dynamik. Da diese aber im Zentrum des Stoffes stehen, verwundert es nicht, dass Jünger die Arbeit am Drama nicht abschloss.
Die Geschichte von Jüngers Dramenfragment bleibt genauso im Dunklen wie die der Elisabeth Alexandra Tarakanova, über die bis heute kaum gesicherte Fakten vorliegen. Es ist nicht bekannt, was Jünger 1953 dazu bewog, ein Drama über diesen Soff zu versuchen. Die Story der unglücklichen Verschwörerin besaß in jenen Jahren eine gewisse Popularität, 1939 veröffentlichte Reinhold Schneider die Erzählung "Elisabeth Tarakanow", und 1941 wurde Boris Blachers Oper "Fürstin Tarakanowa" uraufgeführt. 1950 versuchte sich Hollywood unter dem Titel "The Shadow of the Eagle" an dem Stoff, nachdem er zuvor Thema von europäischen Filmen, u. a. des italienischen Films "La principessa Tarakanova" (1938) mit Anna Magnani gewesen ist. Das Nachwort von Lieselotte Jünger gibt keine weiteren Informationen zum Thema, es informiert auch nicht über die legendenreichen Geschichte der Elisabeth Alexandra Tarakanova, was insofern schade ist, da es schwerfällt, das Fragment ohne historisches Hintergrundwissen überhaupt einzuordnen. Dafür ist die Ausgabe ausgesprochen bibliophil und gibt Jüngers Manuskript im Faksimile wieder.
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