Stefan Neuhaus über die Revision des literarischen Kanons

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wertungsfragen sind Grundsatzfragen" (Walter Müller-Seidel). Die Bewertung literarischer Texte durch Literaturexperten entscheidet darüber, ob sie als qualitativ hochwertig gelten, ob sie Teil des Literaturkanons sind - oder eben nicht. Bisher hat man in der Literaturwissenschaft die Frage nach den Maßstäben literarischer Wertung und das Kanonproblem getrennt voneinander verhandelt. Nicht zuletzt deshalb hat man sich weder in Wertungs- noch in Kanonfragen auf einheitliche Kriterien einigen können. In der vorliegenden Studie wird erstmals eine Zusammenführung der beiden Forschungsgebiete unternommen und ein Kriterienkatalog erarbeitet, der einerseits konkret und andererseits flexibel genug ist, um handhabbar zu sein.

Diese Kriterien werden an Gedichten, Dramen und Erzähltexten aus dem 19. und 20. Jahrhundert überprüft, die Beispiele stammen von Wilhelm Hauff, Julius Rodenberg, Ludwig Kalisch, Theodor Fontane, Erich Kästner, Heinz Erhardt und Uwe Timm. Dabei wird deutlich, dass die Tradierung von Werturteilen und die Konzentration auf relativ wenige Titel zu einem Ausschluss von qualitativ hochwertigen literarischen Texten aus dem Kanon geführt hat.

In einem weiteren Schritt erfolgt die Einbeziehung anderer medialer Präsentationsformen in die Kanondebatte (am Beispiel von Popsong und Videoclip). Aus der theoretischen und textbezogenen Auseinandersetzung mit Wertungs- und Kanonfragen ergibt sich dann zwangsläufig der titelgebende Vorschlag einer "Revision des literarischen Kanons", der sich gleichzeitig als ein Plädoyer für die Neuorientierung des Umgangs mit Literatur und anderen Medien versteht - in Schule und Universität, Feuilleton und Verlag, aber auch ganz privat.

S. N.

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Titelbild

Stefan Neuhaus: Revision des literarischen Kanons.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002.
188 Seiten,
ISBN-10: 3525208197

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