Bedeutend bedeutender

Der Schriftsteller, Zeichner und Maler Robert Gernhardt ist nicht unumstritten

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Robert Gernhardt führt man nicht ein", sagte Loriot bei seiner Einführung vor fünf Jahren in der Black Box im Münchener Gasteig, "Seine Fangemeinde ist unabsehbar". Man braucht G nicht mehr vorzustellen, wird gesagt, aber wenn man ihn vorstellen sollte, , käme man nicht schnell ins Schwimmen? Denn wissen wir eigentlich, wer dieser G ist? Und hätte man die passenden Worte parat, ihn zu charakterisieren? Selbst wenn man nur sagte, dass er bedeutend ist, so würde man doch von ihm selber auf die Schalheit des Begriffs hingewiesen. In einem seiner Gedichte heißt es:

Natürlich bin ich bedeutender
als Reinhard Lettau,
bedeutend bedeutender,
aber was bedeutet das schon?
Was bedeutet "natürlich"?
Was bedeutet "bedeutender"?
Was bedeutet "Lettau"?
Was bedeutet "bedeutet"?
"Natürlich" bedeutet natürlich nichts.
"Bedeutender" bedeutet natürlich auch nichts.
"Lettau" bedeutet natürlich gar nichts.
"Bedeutet" bedeutet natürlich bedeutet.
Einzig "ich", das bedeutet was.
Unter "ich" kann ich mir etwas vorstellen.
Unter "mir" kann ich mir allerdings schon weniger
vorstellen, außer, natürlich, Reinhard Lettau.

Das Selbstgespräch ist mit "Anmaßender Dichter" überschrieben, was ihm aber keineswegs seine Schärfe nimmt. Heute muss man schon erklären, wer Reinhard Lettau war, denn es gibt nicht viel, was von ihm geblieben ist einzig vielleicht der Titel seines ersten Geschichtenbandes: "Schwierigkeiten beim Häuserbauen". Und auch der bleibt nur, weil uns G in seinem Buch "Die Magadaskarreise" von einem Handykap der Magedassen berichtet hat: "Schwierigkeiten beim Salzfaßfassen".

Wie und in welcher Hinsicht bedeutend ist also G, in welchem Rang muß man ihn suchen? Ist er der bedeutendste lebende deutschsprachige Lyriker? Was würden die anderen Lyriker und ihre Sekundanten dazu sagen? Und wären sie befriedet, wenn man abschwächte und sagte: G ist der bedeutendste komische Lyriker?

Weiter gefragt: Darf man ihn auf das Komische reduzieren, und auf die Lyrik? Wäre G damit zufrieden? Wo bliebe dann das Ernste? Und könnte man etwas anfangen mit der Formulierung: "G ist ein ernstzunehmender (komischer) Dichter"? Dürfte trotzdem gelacht werden? Darf man überhaupt komische Dichter ernst nehmen und umgekehrt: über ernste Dichtung lachen?

Man liest neuerdings, der komische Dichter G sei ernst geworden, will heißen seriös, und in der Regel wird diese These mit seiner Neubewertung verknüpft: Wer in der ernsten Sektion sitzen will, bedarf, wie es scheint, des Empfangschefs, der den Dichter irgendwo zwischen Enzensberger und Mayröcker, Rühmkorf und Kling platziert dezidiert ernste Namen sind das. Wollen sie G reinlassen in ihre illustre Runde? Thomas Kling hat sich kürzlich zu G These geäußert, das Gedicht könne alles. Er sagte:

"Wenn jemand so etwas behauptet, handelt es sich meistens um einen Alles- und Nichtskönner. Man kann in allem handwerksmeisterlich herumpfuschen. Aber wirklich einen Personalstil zu entwickeln, das bedeutet vor allen Dingen, dass man früh seinen Beruf ernst nimmt."

Der nun auch ernst gewordene Dichter G, so will es die jüngste Rezeption, war nur früher heiter. "Seine Gedichte regen zum Schmunzeln an", las man dann. Und wer ihn gleichwohl adeln wollte, nannte ihn "Humorpapst". Der "verschmitzte Virtuose", mit diesen Worten referierte kürzlich die FAZ (Wolfgang Schneider) auf Gernhardts berühmtestes Sonett aus den 80er Jahren, und es war freundlich gemeint.

Die einen marginalisieren ihn, die anderen machen ihn scharf: In den Feuilletons herrschte lange Zeit die Ansicht vor, G sei ein Satiriker. Gs Einwand, dass die Satire nicht sein Ding sei und er sich nicht gern als Satiriker bezeichne, verhallte ungehört.

Abstrahiert man das, was man über G hört oder liest, zu einem klassischen Lebenslaufmodell, so hat sich folgendes getan: Der Autor hat sich am Rande der Hochkultur mit dem anarchischen Witz seiner Sturm und Drang-Zeit einen Namen gemacht. Die Kritik hat ihn anfangs nicht oder kaum unterstützt. Seine Bildergeschichten und Bildgedichte fanden dann Eingang ins Zeit-Magazin, als vielseitiger Nischenautor und komischer Zeichner mit großer formaler Kompetenz sowie als theoretisch begabter Kopf wurde er bald für die großen Feuilletons interessant. Mitte der 80er Jahre kam der Durchbruch mit dem Erzählband "Kippfigur". Seine Bücher wurden jetzt vorrangig von der ersten Garde der deutschen Literaturkritik selbst besprochen.

Und plötzlich war er das, was man noch nicht in ihm gesehen hatte: Ein Repräsentant. Ein Autor, der sich mit den ganz bedeutenden Vertretern deutscher Zunge maß, dessen Sämtliche Gedichte in vollendeter Mimikri die Ausstattung der Insel-Klassiker-Bände im kleinen Sedezformat imitierte, der sich in gut kommentierten, gut ausgestatteten Sammelbänden selbst historisch wurde, dessen Hauptwerke sukzessiv in Einzelausgaben in einem renommierten Verlag zu erscheinen begannen. Kurz ein Autor, der - horribile dictu - den Literaturjurys im Lande als preiswürdig erschien.

Diesem Modell zufolge hätten wir jetzt einen für die Wahrnehmung G's in der Öffentlichkeit hochinteressanten Scheitelpunkt erreicht. Das Bild dieses Autors wäre keineswegs gefestigt, sondern erst jüngst erneut irritiert und auf den Prüfstand gestellt worden. Weder die Leser noch die Kritiker, weder die Verlage noch die sonst kulturvermittelnden Institutionen, die Akademien und literarischen Gesellschaften, die Literaturpreise zu vergeben haben oder sonstige Würdigungen aussprechen - wüssten demnach so ganz genau, mit wem sie es hier eigentlich zu tun haben. Ein Indikator dafür wären die Literaturpreise, die unserem Autor in den vergangenen Jahren verliehen worden sind. Es ist eine beachtliche Zahl, es sind nicht unbedeutende Literaturpreise darunter, doch die ganz großen wichtigen Auszeichnungen für das Werk fehlen. Bis vor kurzem war G Haffmans-Autor. Vor ziemlich genau einem Jahr ist Gerd Haffmans mit seinem Verlag gescheitert. Robert G. war sein wichtigster Autor, und zwar von der Verlagsgründung 1982 an. Hier erschien im ersten Programm der Roman "Ich Ich Ich", hier erschien in späteren Jahren alles, was man zum 'Hauptwerk' Gs' rechnen würde. Gerd Haffmans hat gute und wichtige Bücher gemacht, doch war er ein Verleger im emphatischen Sinne des Wortes? Sein Programm war ein Nischenprogramm, und hier zu erscheinen hatte für G ebenso gute wie nachteilige Auswirkungen.

Der gute Effekt: Er war ohne Zweifel der produktivste, vielseitigste, beständigste und nicht zuletzt auch wirtschaftlich wichtigste Autor des Verlages. Um ihn herum ein Gemenge aus Spaßprogramm, gehobener Unterhaltungsware, neu und verdienstvoll verlegten Klassikern, Tristram Shandy, Schopenhauer, Sherlock Holmes. Haffmans' Programm erreichte damit ein gemischtes Publikum: Auf der einen Seite das etwas 'steifere' Niveaumilieu, das an der Bildungstradition festhält und in G vor allem den 'Klassiker' sieht, der mit vertrauten Formen arbeitet. Auf der anderen Seite das vielleicht 'mobilere' und 'jüngere' Selbstverwirklichungsmilieu, das sich Literatur unkonventionell und selbstbestimmt aneignet und für Neuerungen und Wechsel jederzeit empfänglich ist. Den Höhepunkt seines Erfolges schien dieses Werk vor etwa fünf Jahren erreicht zu haben, als G 60 wurde und der Gedichtband "Lichte Gedichte" erschien, ziemlich einhellig gefeiert von Kritik und Publikum.

Doch plötzlich scheint es so, als habe die Kritik Angst vor der eigenen Courage bekommen, als habe sie die Befürchtung, den Autor ans Juste-milieu zu verlieren, wo vom anarchischen Feuerkopf der Frühzeit der Post-op-Dichter der Spätzeit bliebe. Eine Abrechnungsstimmung liegt in der Luft, und Stimmen sind laut geworden, die G schon immer für überschätzt hielten und nun vor allem mit seinen Fürsprechern ins Gericht gehen. Selbst die Metaphorik des Krieges hält Einzug in die Auseinandersetzung. So schreibt die Frankfurter Rundschau (Michael Braun) von der "totalen Kapitulation" der "bedingungslos schmunzelbereite[n] Gernhardt-Adjutanten" in den Feuilletons.

Ein weiterer Aspekt, als 'Furcht vor Dominanz' zu umschreiben, hat mit dem neuen Verlag und der Diskurshoheit zu tun, die G auf einigen Feldern des literarischen Lebens, auf dem Gebiet des Lyrischen sowieso, mittlerweile erreicht hat. Denn wer feiert Heine an seinem 200. Geburtstag, wer Hans Magnus Enzensberger an seinem 70? Wem wird es zugetraut, bei repräsentativen Anlässen wie dem Neujahrsempfang der Stadt Frankfurt aufzutreten und eine gute Figur zu machen?

G selbst wird mittlerweile unterstellt, auf dem Gebiete der Lyrik einen "Alleinvertretungsanspruch" erhoben zu haben: In der Wochenzeitung Die Zeit und anderswo ist er als "Lyrikwart" aufgetreten und hat lyrische Neuerscheinungen der Kritik unterzogen. Gs Sendungsbewusstsein richtet sich nicht zuletzt auf die Forderung nach handwerklichem Können, nach Stimmigkeit -und das heißt Überprüfbarkeit- der gefundenen Bilder und Bewahrung der poetischen Tradition. Aber nicht jeder kann und konnte sich seinen Forderungen anschließen, und nicht nur die von seiner Kritik getroffenen empfinden sie als zu normativ.

Die Antwort seiner Kritiker besteht darin, Gs Argumente gegen ihn zu wenden. Eine Strategie heißt auch Marginalisierung seines Werkes: Gs Œuvre ist dieser Lesart zufolge dann nur noch Handwerk, aber nicht mehr Genie. Es werde nach Rezept gekocht, es entstehe eine "Melange aus Ironie und Koketterie". G gilt nurmehr als "virtuoser Aufbereiter" der Nonsenstradition von Ringelnatz bis Morgenstern. Die F.A.Z (Heinrich Detering) rezensierte G kürzlich als larmoyanten Vanitas-Dichter, dessen Originalität sich im Selbstzitat erschöpfe. Die "gereimten Lustigkeiten", von der die Frankfurter Rundschau schrieb, wären demnach wohl unterhalb dessen, was die Kritik noch wahrnehmen sollte. Der Dichter im Matrosenanzug das ist das Bild, das ein österreichischer Kritiker (Anton Thuswaldner) für den Autor gefunden hat. Man könnte, um im Bilde zu bleiben, diesen Kritiker mit dem Passanten vergleichen, der beim Angler den Korken tanzen sieht, doch nicht den Haken darunter. Männer auf verlorenem Posten.

Das ist jedenfalls ein hochspannender Vorgang, ein Klärungsprozess, der mit einer Kanonisierung dieses Autors einher geht. Auf der anderen Seite wird ebenfalls hochgerüstet. Auch hier entsteht ein verschobenes Bild: G setzt, so will es seine Wahrnehmung in der Literaturkritik, Komik inzwischen verhaltener ein, neue Töne seien an die Stelle der Komik getreten, feine Schattierungen von Trauer und Melancholie. Der jüngste Gedichtband scheint diese These zu bestätigen, bietet er doch gleich vier Kapitel auf, deren Texte überwiegend Krankheit, Sterben und Tod thematisieren. Auf die Kammlinie des Lebens folge die Talfahrt der Sterblichen, und diese Morbidezza dient Gs Verteidigern als Argument. Vielleicht aber löst sich dieser offenkundige oder scheinbare Widerspruch auch ganz einfach auf. Der eingangs erwähnte Loriot beispielsweise sagte über Gs Gedichte, sie würden "weite Bögen schlagen von böser Komik über Lust und Trauer bis zu bewältigter Todesangst." Dem 'weiten Bogen' bei Loriot entspricht der Spagat, um den es eigentlich geht, der Spagat zwischen ernst und komisch, hoch und tief.

Titelbild

Robert Gernhardt: Im Glück und anderswo. Gedichte.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3100255038

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