Nutzlose Apologien

Piet Tommissens Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit 1988 gibt der belgische Carl Schmitt-Experte Piet Tommissen die Reihe der "Schmittiana" heraus. Es sind dies Sammlungen eines ideologischen Adepten und Liebhabers; Kritisches zur Biographie Schmitts, nach 1933 immerhin einer der wichtigsten Juristen des "Dritten Reichs", fehlt ebenso wie eine Diskussion jenseits von Bewunderung, etwa ob Aspekte des vielschichtigen Werks auch in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der westlichen Globalisierung nutzbar sind.

Die vorliegenden siebten "Schmittiana" bilden, wie der Herausgeber ankündigt, gleichzeitig den letzten Band. Das Bedauern darüber kann sich in Grenzen halten: Offenkundig sind zumindest aus diesem Kreis wenig Anstöße zu einer produktiven Beschäftigung mit Schmitts Schriften zu erwarten. Nützlich ist wenigstens ein von Tobias Wimbauer zusammengestelltes Personenregister zum Briefwechsel Carl Schmitt - Ernst Jünger, das in dem von Helmuth Kiesel herausgegebenen Briefband unbegreiflicherweise fehlt. Matthias Miguel Braun und Volker Pesch haben durch gründliches Aktenstudium eine freilich nebensächliche Episode aus Schmitts Leben erhellt: die Umstände seiner Berufung nach Greifswald 1921. Zum Vorschein kommen dabei kaum mehr als die nicht nur seinerzeit üblichen Professorenquerelen, die in diesem Fall anscheinend sogar auf das Persönliche beschränkt sind; jedenfalls haben mögliche politische und methodologische Konflikte den Weg in die Berufungsakten nicht gefunden.

Kaum der Rede wert sind die Inedita. Was Schmitt zu Thomas Hobbes zu sagen hatte, steht andernorts präziser; die Nachschrift eines Vortrags zum Thema "Frau und Politik" belegt allenfalls, dass, was als freie Rede möglicherweise überzeugte, zu Papier gebracht mangelnde Strukturierung aufweisen kann. Am ehesten noch interessiert "Der treue Zigeuner", eine Legende über Legendenbildung und daher über die von Schmitt zeitlebens mit Misstrauen betrachtete Funktionsweise des politischen Mythos.

Einen Großteil des Bandes füllen Briefe. Neben Schmitts Briefwechsel mit seinem Schüler Heinrich Gremmels, von dessen Sohn Christian Gremmels kommentiert, der von Christian Tilitzki bearbeiteten Korrespondenz mit der noch heute durch ihr Buch über den politischen Verrat bekannten Margret Boveri sowie ausgewählten Einzelbriefen, beruht auch Piet Tommissens Darstellung des Verhältnisses von Schmitt zu Raymond Aron weitgehend auf zumindest auszugsweise zitierten Briefen.

Philologisch ist das Ergebnis (wie auch der Ertrag der Inedita) düster. Nach einem nicht bekannten Prinzip wurden jeweils Fehler, die die Bearbeiter für offenkundig erklärten, korrigiert. Was das heißt ist unklar, und das Verfahren wirkt zumal deplatziert in einem Buch, das schon durch die Unzahl der sich auf fast jeder Seite tummelnden Druckfehler einen an sich renommierten Verlag schädigt. Die Briefe sind besonders dann allzu reichhaltig kommentiert, wo Tommissen selbst sich ans Werk machte: Unter einem Wust wahllos zusammengewürfelter Informationen verschwindet, was für die zeitgeschichtliche Einordnung der Personen und Dokumente hilfreich hätte sein können.

Der Eindruck, den Schmitt als Korrespondent hinterlässt, ist durchweg ungünstig. Nahezu alle der hier dokumentierten Briefe entstanden nach 1945: Anders als fast alle anderen Nazi-Wissenschaftler erhielt Schmitt seine Professur nicht zurück und wirkte nur untergründig durch sein 1945 im wesentlichen abgeschlossenes Werk und durch persönliche Kontakte. Zu einer politischen Einordnung seiner Lage war Schmitt dabei offenkundig nicht imstande. Zwar betrifft das nicht nur ihn: Insgesamt ist lustig anzusehen, welche Feinfühligkeit Rechte aufzubringen vermögen, die wie Schmitt Kampf, Krieg und Abgrenzung gegen den Feind als Grundprinzip des Politischen herausstellten. Sensibilität nämlich entwickeln sie genau dann, wenn sie selbst einmal in die Position des Schwächeren geraten. Schmitts Selbstmitleid, ab den 60er Jahren dann für Jahrzehnte durch körperliche Schwäche und Gedanken an den nahenden Tod verstärkt, schneidet jedenfalls die Diskussion jeder politischen Idee, wie sie Boveri und zumindest punktuell Heinrich Gremmels versuchen, radikal ab.

Insofern sind die "Schmittiana VII", wohl ungewollt, psychohistorisches Dokument. Dokument sind sie auch in der von Günter Maschke übersetzten und kommentierten Schrift des spanischen Juristen Alvaro d'Ors über Schmitts Nachkriegstagebuch "Glossarium". Hoffnungslos antiquiert wirken die Einwände des anti-etatistischen, faschistisch-katholischen Traditionalisten d'Ors gegenüber dem katholischen Staatsdenker Schmitt, der eine dem 20. Jahrhundert adäquate "Politische Theologie" zu erarbeiten suchte. Erhellender als der rückwärtsgewandte Antidemokratismus d'Ors ist der Kommentar Maschkes. In ihm geschieht der Schritt vom Rechtskonservatismus zum Neonazismus, wird ernsthaft als Literatur zur Kriegsschuldfrage im Zweiten Weltkrieg eine deutsche Propagandaschrift von 1940 und ergänzend ein Pamphlet des Auschwitz-Leugners Paul Rassinier, erschienen im rechtsradikalen Grabert Verlag, empfohlen. Hier wird das trübe Umfeld deutlich, in dem sich Autoren unter Tommissen gewollt oder ungewollt bewegen; hier fragt sich auch, ob der verdienstvolle Verlag Duncker & Humblot kein fachlich qualifiziertes Lektorat unterhält, dem ein solcher neonazistischer Revisionismus hätte auffallen müssen.

Ein einziger Beitrag, der zu ernsthaften Überlegungen anregt, hat sich in den Band verirrt: Gabriel Seiberth fasst wesentliche Ergebnisse seiner Dissertation zu Schmitts politischer Rolle in der Endphase der Weimarer Republik zusammen. Seiberth beurteilt Schmitt günstiger als dies Dirk Blasius kürzlich in einem wichtigen Buch geleistet hat. Anhand bisher nicht ausgewerteter Archivalien vermag er zu belegen, dass Schmitt im Winter 1932/33 als Berater des Reichskanzlers von Schleicher noch die Variante verfolgte, die Exekutive und damit zumindest kurzfristig die Republik mit einem Minimum an Verfassungsverletzung zu stärken.

In geringerem Maße überzeugen Seiberths Darlegungen zu Schmitts vorangegangener Rolle beim sogenannten "Preußenschlag" der rechtskonservativen Reichsregierung von Papen im Juli 1932. Mit der Absetzung der preußischen Landesregierung beseitigte von Papen die wichtigste sozialdemokratische Machtstellung im Reich. Seiberth zeigt, wie die SPD nur mit Geschäftordnungstricks die Übernahme der Exekutive durch die NSDAP im weitaus größten Bundesland verhindern konnte und deshalb selbst in sozialdemokratischen Kreisen die Einsetzung eines Reichskommissars nicht durchweg abgelehnt wurde, wie allerdings von Papens Vorgehen, gleich die ganze preußische Regierung zu stürzen, einen solchen möglichen Konsens weit überschritt und im Versuch, die Reichsregierung dauerhaft auf Kosten der Länder zu stärken und zumal in der Absicht, die SPD zu entmachten, in die Nähe eines Staatsstreichs geriet. Im Gegensatz zu anderen Staatsrechtlern erklärte sich Schmitt im Herbst 1932 bereit, die Position Papens in einem von der abgesetzten preußischen Regierung vor dem Staatsgerichtshof angestrengten Verfahren zu vertreten. In dieser Rolle musste er die Argumentation des Reichskanzlers übernehmen und hob er denn auch wie von Papen hervor, dass der Preußenschlag sich gegen die Kommunisten gerichtet habe.

De facto stimmte das, wie sich am 30. Januar 1933 bei der Machtübergabe an Hitler zeigte; auch die Intention von Papens richtete sich gegen links. Wer dennoch Papens Prozessvertreter Schmitt zum Verteidiger gegen die Nazis stilisieren will, hat es also nicht leicht. Seiberth führt als Begründung an, dass Papen sich überhaupt auf einen Prozess - den er rechtlich dann auch verlor - einließ, Schmitt sich insofern also an einer Rückkehr zur Legalität, an der Abkehr von Staatsstreichplänen beteiligte.

Das freilich ist allzu juristisch gedacht und vernachlässigt das politisch Faktische. Die preußische Regierung, die im Oktober 1932 vom Staatsgerichtshof als legal bestätigt wurde, verfügte nicht über die Machtmittel, ihre Amtsgeschäfte wieder aufzunehmen. Im Ergebnis zementierte die Strategie der SPD, die Entscheidung im Gerichtssaal statt auf der Straße zu suchen, die Erfolge der Rechten beim Staatsstreich vom 20. Juli 1932. Tatsächlich war Schmitt daran beteiligt, diese Erfolge juristisch abzusichern.

Als die NS-Fraktion der Rechten sich als erfolgreich erwies, zögerte Schmitt nicht umzuschwenken. Im Mai 1933 trat er in die NSDAP ein. Was dann folgte, fehlt bei Tommissen. Man lernt den Staatsrechtler kennen, der 1932 die Nazis zurückdrängen wollte, und 1945 sitzt dann da ein alter Mann, dem alle irgendwie Unrecht tun. Von der Zuarbeit Schmitts zur faschistischen Gesetzgebung, zu der von ihm geleiteten Tagung über das "Judentum in der Rechtswissenschaft" 1936, über seine geopolitischen Großraumkonzepte zwecks Rechtfertigung der deutschen Expansion erfährt man nichts. Tommissen et al. favorisieren offenkundig eine extreme Rechte, deren Verbindung mit gewissen nachteiligen Episoden der Vergangenheit sie geflissentlich zu verbergen suchen. Dabei werden sie weder Schmitt gerecht, dessen Widersprüche sie glätten und Verbrechen sie verschweigen, noch seinen Schriften, deren provokatives Potential für die Gegenwart nirgends auch nur in den Blickbereich gerät.

Titelbild

Piet Tommissen: Schmittiana. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts Band VII.
Duncker & Humblot, Berlin 2001.
418 Seiten, 74,00 EUR.
ISBN-10: 3428104331

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch