Ein Hauch von sozialistischer Ewigkeit und Erbrochenem

"Rosa oder Die Liebe zu den Fischen" von Michael G. Fritz

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Plötzlich war die Mauer weg und Deutschland wiedervereinigt. Zwölf Jahre nach der Einheit nimmt nun der Dresdner Autor Michael G. Fritz diejenigen, die eine seltsame Sehnsucht nach einem verschwundenen Staat, der allen gleichgültig war, verspüren, an die Hand und führt sie in die Villa eines ehemaligen SED-Funktionärs. Dessen Tochter lernt der namenlose, etwa vierzigjährige Erzähler des Romans kennen und wird von ihr als Hausverwalter der luxuriösen Familienresidenz am Rande einer Großstadt angestellt. Schnell merkt er, dass er als überbezahlter Hausmeister wenig Arbeit hat und seine eigentliche Aufgabe die des Zuhörers ist: Abends schlüpft Rosa in sein Zimmer, in sein Bett, und redet sich die Geschichte ihrer Kindheit und ihrer Eltern im untergegangenen Staat von der Seele - ein unerklärlicher und befremdendlich wirkender Mitteilungsdrang. Es ist die Geschichte von Harry Lehmert, eines "großen Redners" zu DDR-Zeiten, und seiner alkoholabhängigen Frau, die heimlich trinkt und deretwegen überall zwischen den Seiten des Buches ein Geruch von Erbrochenem zu ahnen ist. Der Leser lernt: Augen kann man verschließen - so war es lange Zeit in Harry Lehmerts Haus - und mit den Ohren absichtlich nicht zuhören - wie Rosa, wenn die Fragen des Erzählers nach dem Tod von Rosas Mutter unangenehm werden -, doch die Nase nimmt immer Gerüche wahr. Düfte begleiteten das Leben von Rosa - vor allem der Geruch nach der blaugrünen, ausgespienen und mit Alkohol vermischten Magensäure, die ihre Mutter täglich im Haus hinterließ.

Rosa beschließt, dass Augen und Ohren in der Villa, diesem Mausoleum der DDR, lange genug verschlossen worden sind. Und plötzlich sind immer verschlossene Türen offen, und der Erzähler kann heimlich in dem labyrinthischen Spukschloss umher schleichen. Er entdeckt düstere Räume, in die sich der greise Harry Lehmert zurückzieht, um Zigarren schmauchend in Erinnerungen zu schwelgen und den untergegangenen Staat im Geiste weiter existieren zu lassen: Die Vitrinen mit polierten Orden, die Wimpel und Fahnen, "aus deren tiefem Rot den Betrachter ein Porträt von Marx ins Auge sprang", und die Schallplatten mit Märschen aus der DDR umweht ein Hauch von sozialistischer Ewigkeit. Echte Spannung kommt dabei nicht auf. Auch nicht, als von Harry Lehmerts heimlicher Leidenschaft für westlichen Whiskey berichtet wird. "Russophiler" Wodka, der neutral und weich schmecken und in Drinks eigentlich nur den Alkoholgehalt erhöhen soll, ist nicht zum bedächtigen Trinken geeignet, daher der Griff zum Whiskey, im Bücherregal hinter Lenin versteckt. Trinken als "Akt der Solidarität" mit dem verhassten Westen: Dieses Haus mit seinen Bewohnern trotzte der Wiedervereinigung, geblieben sind nur Resignation und Alkohol.

Michael G. Fritz, der bereits zahlreiche Texte zur bildenden Kunst und literaturkritische Arbeiten veröffentlicht hat, erzählt wortgewandt, mit der Liebe zum Detail, aber der Roman kann sich eines Verdachts nicht erwehren: Die DDR war nicht immer die Spitzelhölle, als die sie in der Villa von Harry Lehmert erscheinen soll ("Die Ohren und Augen in den Wänden - ich hatte sie nie entdeckt"). Sie war oft nicht mehr als ein bedrückender Hort der Langeweile.

Plötzlich sterben die Fische in Rosas Aquarium, und der Roman nimmt eine erstaunliche Wendung. Der Erzähler flieht aus dem unüberschaubaren Geisterhaus, flieht vor unsichtbaren Augen, flieht vor der sozialistischen Langeweile, flieht vor Rosa und der Angst vor der Liebe zu ihr. Er erkennt: "Vielleicht habe ich mir die Bedrohung nur eingebildet, außer den Hinweisen in Rosas Erzählungen fiel mir nichts ein". So ist es wohl. Lesen muss man das nicht.

Titelbild

Michael G. Fritz: Rosa oder Die Liebe zu den Fischen. Roman.
Reclam Verlag, Leipzig 2002.
186 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3379007900

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