Fliegende Blätter

Hans Traxler und Friedrich Karl Waechter zeigen ihr Werk

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der wunderschöne Anfang einer fürchterlichen Geschichte" - so ist eine Zeichnung Friedrich Karl Waechters überschrieben, in der der alte Konflikt von Katz und Maus aufs Neue ausgetragen wird. Ein riesiger Kater sitzt, grotesk mit Hose, Stiefeln und Boxhandschuhen ausgestattet, auf dem Sparringboden und äugt misstrauisch zur männlichen Maus, die sich mit Hammer und Nagel an seinem Schweif zu schaffen macht. Im Vordergrund sitzt auf einem Hocker die offensichtlich bis über beide Ohren verliebte weibliche Maus - aufsteigende Herzen signalisieren, dass sie mit Inbrunst und Vertrauen ihrem Freund bei seinem Tun zusieht. Ist der Kampf schon vorbei, ist der Knock-out des Katers bereits erfolgt, oder soll der Nagel in seinem Fleisch ihn erst richtig aufstacheln?

Text und Bild geben weiter keine Antwort, und jeder Betrachter möge sich seinen eigenen Reim darauf machen. Es ist ein Bild auch im übertragenen Sinne und, wie viele Zeichnungen F. K. Waechters, ein Auftakt, ein Versprechen, ein Beispiel für seine hinreißende Erzählökonomie. Komik und Lakonik gelten als die beiden Grundelemente seiner Kunst - ein jedes Blatt ist spannungsvoll und mit Augenmaß inszeniert, der Kenner staunt, der Laie wundert sich über den skurrilen Witz, der hier reich entfaltet wird, voller Anmut, Schönheit und Eleganz.

"Der wunderschöne Anfang einer fürchterlichen Geschichte" - so manche Bildergeschichte aus seiner Werkstatt könnte so verheißungsvoll überschrieben sein. Gleich zwei Seiten später präsentiert uns der Künstler die Begegnung eines Chinesen und eines Raubtiers: "Ich heiße Wai", so die Sprechblase des einen, "Ich weiße Hai", so die des anderen. Das Ganze ist auf ein Stück Silberpapier gemalt und ergibt im Effekt eine edle und filigrane Chinoiserie. Daneben sieht man einen modernen Narziss, der selbstverloren sein Spiegelbild in einer Pfütze betrachtet. Er sieht allenfalls durchschnittlich aus mit seinem kahlen Schädel, seiner übergroßen Nase und seinem plumpen Körperbau, und dennoch mündet die Legende in ein emphatisches Bekenntnis: "Ich sah es lange an und sah, dass ich schön war". Ein paar Seiten weiter stößt man auf eine zeitgenössische Demeter von Ephesus, deren Dreifach-Büstenhalter aus dem Fenster im dritten Stock hängt.

F. K. Waechters Erzählungen sind menschlich-allzumenschlich, auch dort, wo sie - analog zum Erzählmodell der Fabel - tierische Akteure ins Zentrum der Handlung rücken. Auch der Mesalliance von Mensch und Tier wird gedacht, etwa im Bilde der Schwanzlutscherschnecke: "Sie war nicht schlecht. Trotzdem ärgerte sich Helmut über ihren Preis (100 Mark!)." Mensch und Schwein wiederholen die Passion Jesu, der Pfarrer trifft die Schlange zum Rendezvous, der Entenzüchter hat einen missratenen Sohn. Jedes Bild eine kleine Groteske, oft rätselhaft und unergründlich, obwohl Text und Bild genau aufeinander abgestimmt sind. "Karikaturen sollte man lieber nicht erklären", sagt Hans Traxler in seinem Nachwort, und er hat recht: Ihr Charme und auch ihr Rätsel sind erst dann wirkungsmächtig, wenn man sie betrachtet. Gelegenheit dazu gibt das Historische Museum Frankfurt, das dem Künstler zu seinem 65. Geburtstag eine Ausstellung widmet, die noch bis zum 19. Januar zu sehen ist. Und Diogenes, Waechters Hausverlag, hat dazu den Katalog produziert. Es ist eine Werkschau, die von den sechziger Jahren bis in unsere unmittelbare Gegenwart führt. Genial schon die Illustration von Gertrude Steins Wort "Eine Rose / ist eine Rose / ist eine Rose", die gleich zweifach datiert ist: 1967/1989. Hier manifestieren sich dialektischer Witz und zeitlose Spannung, zumal Waechters Drei-Phasen-Bild etwas anderes sagt als der Text: Eine Rose / ist eine Hose / ist eine Dose.

Die Werkschau enthält neben einem Text von Hans Traxler ("Doch noch ein Wort zu Waechters Zeichenkunst") eine Bio-Bibliographie und - dankenswerterweise - auch ein Verzeichnis der Entstehungsdaten der einzelnen Blätter. Das ist auch unverzichtbar: Womöglich würde sonst der Laie bei der scheinbar noch unbeholfenen Zeichnung "Herr und Hund" (1989) auf eine frühe Arbeit des Künstlers schließen, aber jetzt lernt er, dass dem Künstler Waechter eben jeder Stil und jede Technik zu Gebot stehen, auch der naive. Die Arbeiten sind so hervorragend reproduziert, dass man das Original in Händen und die Papierqualität zu spüren meint: die vergilbten, säurehaltigen, von den Rändern her angefressenen, die geknickten oder rückseitig bedruckten Papiere (einmal ist ein Lieferschein einer Baumaschinenfabrik erkennbar) sowie die Fettspuren von Tesafilmstreifen.

Viele Arbeiten enthalten politische Botschaften: Die Ölmultis werden als Straßenräuber dargestellt, zwei Käfer betrachten, trauriger Ausblick auf das Ende der Menschheit, die Ruine eines Atommeilers ("Das haben Käfer gebaut, die konnten auf 2 Beinen gehen"), in der Spielzeugabteilung ist eine Dritte-Welt-Puppe im Angebot, die "Hunger" sagen kann, und auch die Kirchenkritik ist ein unausschöpfliches Komikreservoir - Waechters berühmter Cartoon "Die Oberbohne liebt auch dich!" nimmt alle Proselytenmacher despektierlich aufs Korn.

Hans Traxlers Nachwort ist als Bekenntnis eines langjährigen und subtilen Kenners der Waechterschen Zeichenkunst von großem Nutzen, wiewohl auch er gerne zugibt, dass der Künstler seine Special effects zunehmend unerwartbar und irritierend einsetzt: "Immer öfter verzichtet er auf den Blackout der Pointe, nach dem nur das Lachen kommt und die verlegene Stille danach. Viele Blätter sind dann wie Momentaufnahmen aus einem zeitlichen Ablauf, die ein Davor haben und ein Danach, über das man viel spekulieren kann und das man weiterdenken kann." Das ist gut beobachtet, denn hier erfährt man auch etwas über die Person F. K. Waechter, die offenbar wortkarg ("Stilles Blatt" hieß eine Serie in der Zeitschrift "Titanic") und düster ihre Goldenen Eier legt. Fragmente zu einer (fiktiven) Biographie hat der Künstler selbst schon auf zahllosen Blättern ausgestreut. Eine Fotoserie aus Kindertagen erzählt in der Legende die wahre Geschichte vom "Heldentod" des Vaters 1941 bei Dnjeperpropetrowsk, während in einer anderen Serie dem Vater eine Parteikarriere und eine "geheime Mission" angedichtet wird. Ein Blatt wie aus einem alten Kontokorrentbuch erzählt vom Verschwinden des Großvaters, und ein Lebenslauf am Ende des Buches dokumentiert die wichtigsten Stationen großer Zeichenkunst: "1946 errege ich zum ersten Mal Heiterkeit mit einer Zeichnung, die Gott in Gummistiefeln bartlos und mit Jägerhütchen zeigt, wie er Moses auf dem Berge Sinai die Gesetzestafeln überreicht. Ich bin sehr gekränkt."

Auf der Flucht über die verminte Ostsee gibt es nur Feldpostpapier zum 'Bezeichnen', und der Kunstunterricht auf der Lauenburgischen Gelehrtenschule ist schlecht. Dennoch weiß der kleine Waechter schon 1950, dass er Zeichner werden will, und nichts sonst. Von der Kunstakademie in Hamburg wurde er abgelehnt, von der Kunstschule Alsterdamm, einer Spezialschule für Gebrauchsgrafik, jedoch angenommen. 1960 arbeitet er für "Twen", 1962 wird er Redakteur der Satirezeitschrift "Pardon". 1968 entdeckt Waechter sein Faible für das illustrierte Kinderbuch, Mitte der siebziger Jahre schreibt er ein Clownsstück für die Kindertheaterexperimenta. Die erste Regiearbeit erfolgt 1979 mit "Kiebich und Dutz" an den Städtischen Bühnen Frankfurt, 1983 und 1984 folgen Spielzeiten am Münchener Residenztheater. Waechter entwirft auch Bühnenbilder und Kostüme selbst und entwickelt das Genre des "Erzähltheaters" weiter, und er macht "Zeichnungen neu, die mir vom Einfall her gefallen, aber von der Ausführung her nicht mehr."

In seinem Lebenslauf betont Waechter den prägenden Einfluss der Neuen Frankfurter Schule, deren Kernmannschaft seit 1964 die "Pardon"-Beilage "Welt im Spiegel" verantwortete und bestückte. Zu F. K. Waechter, Robert Gernhardt und F. W. Bernstein kamen später Arend Agthe und Bernd Eilert, Chlodwig Poth und Peter Knorr hinzu. Zu den großen und bleibenden Leistungen der Neuen Frankfurter Schule gehören, wenn man nur den Traditionsbezug hervorheben wollte, neben dem von Eckhard Henscheid und F. B. Bernstein verantworteten Goethe-Lesebuch (1982) die Lichtenberg-Illustrationen Robert Gernhardts (und, in bescheidenerem Umfange, auch die von F. K. Waechter und Hans Traxler), die mit Bildwitz verwandelten Märchen F. K. Waechters sowie der von F. B. Bernstein illustrierte "Urfaust" und die ins Bild gesetzten "Gespräche mit Eckermann".

Im Gegensatz zu Waechter, der die filigrane Zeichnung und die lichtdurchflutete Tusche bevorzugt, arbeitet Hans Traxler gern mit kräftigem Strich und kräftigen Farben. Aber gilt die erwähnte liebevolle Aneignung auch für größere Bösewichte als Helmut Kohl? Gilt sie auch im Falle Hitlers? Durchaus: "Ein Bauherr, von dem man nur träumen kann", nannte Traxler seine Bilderfolge zu Adolf Hitler und Albert Speer (1994): Während die Ostfront zusammenbricht und Berlin im Flammenmeer untergeht, spielt der 'Führer' mit seinem Baukasten, und auch Speer weiß: "Die Nacht ist schon versaut - denn jetzt wird London umgebaut!"

Dass man dem historischen Wahnsinn komische Seiten abgewinnen kann, überrascht nicht: Jurek Beckers "Jakob der Lügner", Art Spigelmans "Maus"-Comics, Roberto Benignis Film "Das Leben ist schön" und jetzt kürzlich Kai Wessels "Goebbels und Geduldig" haben es gezeigt, und zu besonderer Meisterschaft auf diesem Gebiet hat es Hans Traxler gebracht. Sein historischer Weltatlas impliziert zumeist eine Neuinterpretation von Geschichte und rechnet dann mit dem "aufgebrachte[n], hochgebildete[n] Leser". Nicht selten sind seine "Comic-Charaktere" daher von weltgeschichtlich herausragender Bedeutung, bekleiden ein "öffentliches Amt", haben eine "große Nase" oder wenigstens eine auffällige Statur, besitzen die "nötige Reife" und sind "einmalig und unverwechselbar" wie etwa Charles de Gaulle, Gérard Depardieu oder eben Papst Paul VI. Traxler zeichnet einen blasierten Flaubert, einen übermüdeten Casanova, Le Corbusier und Friedrich Nietzsche mit ernsten Mienen und Goethe und Schiller im Streitgespräch. Und wenn es nicht Berühmtheiten sind, die er mit Strich, Linie und Farbe festhält, dann sind es Typen, Charaktere, Originale wie Dichter Gutmann, der sich sein Werk von seinen Lesern vorlesen lässt, wie Opa Krause, der das Altersheim aufmischt, wie der Affe, der Darwin liest, oder wie Rudi, der einst mit den Wölfen heulte und jetzt - nach einer längeren Psychoanalyse - mit den Schafen blökt.

"Wie kommen Sie bloß immer auf Ihre Einfälle, Herr Traxler?" fragt das Nachwort, ein Werkstattbericht "Über die oft sehr verschlungenen Wege der Ideenfindung", und dort bekennt sich Traxler zur Landschaftsmalerei: Bei der hochkonzentrierten und dennoch mußevollen Pleinair-Malerei kommt ihm so mancher Einfall, den er auch gleich in seinem Notizbuch festhält und später umsetzt. "Ideen kommen manchmal aus dem Nichts und sind flüchtig wie Äther. Sie müssen deshalb sofort notiert werden. Ich habe schon manchen guten Einfall für immer verloren, weil ich damit ein paar Minuten gezögert habe."

Die Bildidee (die auch eine Textidee sein kann), hat viel mit Eingebung zu tun, und Eingebung ist hier eine Mischung aus kulturellem Wissen, aus einem stupenden Bildgedächtnis, aus Gespür für situativen Witz und aus Erfahrung über das Umsetzbare. Viele Traxler-Blätter haben einen langen Vorlauf: So reicht die Geschichte des armen Özkül, der vergessen hat, sich rechtzeitig eine Bordkarte für die Arche Noah zu reservieren, bis zum Alten Testament zurück. Traxlers Bildlösung macht am Ende die Ambiguität jenes biblischen Charakters deutlich, der, als seine Ladung komplett ist, den Rest der Schöpfung ungerührt der Sintflut überlässt. Zwei Impulse waren für Traxlers Deutung ausschlaggebend, die als späte Zwischenstationen auf dem Weg der Bildfindung unerlässlich waren: zum einen ein Text von Leszek Kolakowski, zum anderen ein Holzstich von Gustave Doré.

Die Neue Frankfurter Schule, ursprünglich ein Medienhype, eine Abstraktion, ist in beiden Werkschauen unübersehbar. Sie ist zweifellos ein Gütesiegel der besonderen Art, zumal Erkenntnisse über den einen auch Rückschlüsse auf den anderen zulassen. Hier wird ein produktiver Wettstreit ausgetragen, von dem Leser und Betrachter profitieren.

Noch ein Wort zu den beiden Buchkonzepten: Traxlers Buch zeigt ausschließlich perfekte Lösungen und nur im Rahmen des Nachworts auch ein-zwei Skizzen aus dem Notizbuch. Waechters Buch hingegen fördert eine Fülle von Gelegenheitsarbeiten zutage, die hier erstmals publiziert sind. Traxlers Buch ist streng komponiert, auch in der Zusammenstellung der Bilder und Bilderfolgen; im Zusammenspiel von linker und rechter Seite steckt Überlegung. Waechters Buch dagegen wirkt zum Teil wie eine Pinnwand, in der jeder freie Fleck noch mit einem Exponat ausgefüllt wurde. Beide Konzepte gehen auf ihre Weise gut auf: Der eine bietet die Auswahl, der andere zeigt (scheinbar) alles, was er hat. Wünschen wir beiden eine lange produktive Zeit.

Titelbild

Hans Traxler: Das fromme Krokodil. Mit einem Werkstattbericht "Wie kommen Sie bloß immer auf Ihre Einfälle, Herr Traxler?".
Zweitausendeins, Frankfurt 2001.
224 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3861503875

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Friedrich Karl Waechter: Waechter. Ein Lebenswerk.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
368 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3257020783

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