Zu dieser Ausgabe

Nobelpreiswürdig sei Imre Kertész' gesamtes Werk, das sich, einschließlich der Erzählungen und Aphorismen, aus dem "Roman eines Schicksallosen" losspinne, schreibt Barbara Mahlmann-Bauer in ihrem großen Essay über den diesjährigen Literaturnobelpreisträger. Dieses Werk bestehe "aus einer Folge von Variationen derselben anthropologischen, wenn man so will: metaphysischen Struktur".

Dieser Struktur geht die Verfasserin nach, denn über sie lässt sich vielleicht auch die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie begreifen. Zumindest zeigt der eindrucksvolle Durchgang durch Kertész' Werk, dass die historische Erfahrung eines jüdischen Jungen aus Budapest die Vertragstheorien der Aufklärung in Frage stellen kann: "Der Wille, Schwache zu unterjochen, ihre Individualität zu vernichten und vorhandene Energien zur chaotischen Destruktion zu nutzen, ist nach Kertész das Normale, dagegen erscheint die Aufklärung durch Vernunft und Sittlichkeit wie ein außergewöhnlicher Betriebsunfall, über den die Geschichte schnell hinweggeht."

Am 9. Dezember wird Imre Kertész mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Anlass, sich verstärkt auch hierzulande mit seinem Werk auseinanderzusetzen.

Die Dezember-Ausgabe von literaturkritik.de bietet wie üblich eine Reihe von Rezensionen zu Neuerscheinungen aus der deutschen und der fremdsprachigen Belletristik, aus den Literatur- und den Kulturwissenschaften sowie den benachbarten Disziplinen. Unser Schwerpunkt gilt Robert Gernhardt, der am 13. Dezember 65 Jahre alt wird. Wir würdigen ihn und einige wichtige Neuerscheinungen aus dem Umkreis der Neuen Frankfurter Schule.

Die nächste Ausgabe von literaturkritik.de mit dem Schwerpunkt "Familie" erscheint zum Jahreswechsel.

Lutz Hagestedt