Wie ernst soll man die Spaßgesellschaft nehmen?

Viele Autoren äußern sich über Lachen und Demokratie

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gefragt wird in dem von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel herausgegebenen Sonderband des "Merkur" nach der Bedeutung des Lachens für die westliche Zivilisation. Denn im Lachen stecke beides, meinen Bohrer und Scheel: die Distanzierung des Anderen und die des eigenen Selbst. Gerade das kritische und selbstkritische Moment des Lachens sei ein Kennzeichen der westlichen Zivilisation. "Wo in der Öffentlichkeit über die Mächtigen gelacht wird, wo Presse und Medien auch über die in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft Bestimmenden lachen, wo sogar die Religion und Gott zum Gegenstand des Gelächters werden können, da befinden wir uns mit einiger Sicherheit im Westen, jedenfalls in einer Demokratie." Das Glück des Einzelnen komme auch in der Formel "the pursuit of happiness" in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vor. Diese kodifiziere den Anspruch aller Menschen, nach Glück zu streben - und dazu gehörten nun einmal auch das Lachen und Vergnügtsein - und sei inzwischen zum Grundgesetz des westlichen Hedonismus geworden, mitsamt seiner aktuellen Blüte, der "Spaßgesellschaft". In der Kritik daran sei allerdings noch häufig ein Nachklang der biblischen Propheten und ihrer Verachtung des Lachens zu hören.

Für alle Autoren, die sich hier zur christlichen Religion und zum Lachen äußern, steht fest: Der Gott der Bibel hat als das schlechthin Erhabene nicht gelacht. In der antiken Vielgötterwelt wurde dagegen noch kräftig gelacht - man denke nur an das homerische Gelächter. Nicht von ungefähr stellt daher Christoph Türcke, Philosophieprofessor in Leipzig, seinen Aufsatz unter die Überschrift "Götter lachen, Gott nicht". Denn mit dem Monotheismus wird alles ernster. Da das Lachen der Menschen der Heiligen Schrift fast immer ein Ärgernis war, hat die jüdisch-christliche Verachtung des Lachens das abendländische Nachdenken über das Lachen bis in die Neuzeit geprägt.

Erst im 20. Jahrhundert mehren sich die Stimmen, die das Lachen positiv betrachten und darin etwas prinzipiell Revolutionäres, Subversives und Fortschrittliches sehen. In England und Frankreich, den archetypischen Nationen des Westens, in denen die Säkularisation besonders früh eintrat und sich die Demokratie und eine ihr angemessene Gesellschaft entwickeln konnten, hat das Lachen einen ganz auffälligen Status im Diskurs inne. Trotzdem gilt auch heute, insbesondere für Intellektuelle, noch oft der biblische Vers: "Ein Narr lacht überlaut; ein Weiser lächelt ein wenig."

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das lacht, konstatieren übereinstimmend viele Autoren, und der Literaturwissenschaftler Rudolf Helmstetter, der sich mit dem "Lachen der Tiere, der Kinder, der Götter, der Menschen und der Engel" befasst, meint, dass das Lachen trotz unterschiedlicher Lachkulturen zur anthropologischen Ausstattung gehört. Immerhin könnten sogar taubblind geborene Kinder lachen.

Wann aber hat der Mensch zum ersten Mal gelacht? Als er sich nicht mehr fürchtete, nachdem die Furcht vor den Geistern sich aufzuhellen begann? Andererseits lachen Kinder und Narren besonders oft und lange. Wie verläuft der Zivilisationsprozess? Statt solchen anthropologischen und kulturhistorischen Fragen nachzugehen, betrachten die Mitarbeiter dieses Heftes überwiegend die Beziehung zwischen Zivilisation und Lachen in einem aktuellen politisch-historischen Licht.

Martin Seel, Philosophieprofessor in Gießen, der sich hier über "Humor als Laster und als Tugend" auslässt und diverse Spielarten des Humors untersucht - den ästhetischen, den literarischen, den theoretischen und den praktischen Humor - kommt zu dem Schluss, dass Humor eine Form der Moral sei und das Lachen ein Gewürz, das "nicht der eigenen Gewissheit, sondern der eigenen Ungewissheit Ausdruck verleiht."

Aber die Kunst des Humors sei auch eine politische Tugend, nämlich das Bewusstsein der begrenzten Regelbarkeit menschlicher Angelegenheiten, das die Bereitschaft mit einschließt, die eigene Position zur Disposition zu stellen, in deren Kultivierung Seel ein "Herzstück der Demokratie" sieht. Lachen ist mithin nicht nur Ausbruch und baut nicht nur Spannungen ab. Lachen ist auch und vor allem "akustische Urmanifestation" von Freiheit und Souveränität.

Auch Walter Grasskamp, Professor für Kunstgeschichte in München, misst dem Humor eine große zivilisatorische Relevanz bei. Gustav Seibt wiederum stellt Philosophien des Lachens von Platon bis Plessner vor und weist auf einen Aufsatz von Hannah Arendt hin, in dem die Philosophin behauptet hatte: Wozu das Lachen gut sei, hätten die Menschen offensichtlich noch nicht entdeckt - "vielleicht weil ihre Denker, die seit eh und je auf das Lachen schlecht zu sprechen waren, sie dabei ihm Stich gelassen haben, wenn auch hie und da einmal einer über seine unmittelbaren Anlässe sich den Kopf zerbrochen hat."

Im Grunde haben die gemeinen Menschen häufig über Philosophen gelacht, man erinnere sich nur an das Lachen der thrakischen Magd, die lauthals gelacht hat, als der Philosoph Thales eines Nachts beim Betrachten der Sterne in einen Brunnen fiel. Aber umgekehrt haben auch Philosophen oft über gemeine Menschen gelacht. "Das wechselseitige Auslachen markiert", so Seibt, "jene Grenze zwischen gesundem Menschenverstand und dem ,Wohnsitz des Denkens'".

Zugegeben, die Massen lachen anders als der elitär Gebildete. Humor und Lachen gehören, laut Kaspar Maase, zu den kulturellen Signalen, nach denen in unserer Gesellschaft noch immer ziemlich gnadenlos sortiert und eingeordnet wird. Wer bei einem saftigen Scherz in fröhlicher Runde nur ein Lächeln zustande bringe und nicht bereit sei, sich auszuschütten vor Lachen, der gilt schnell als jemand, der sich wohl zu fein ist für den Humor "von unsereinem". Vielleicht gilt auch hier ein bekannter, leicht abgewandelter Grundsatz: Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist.

Witz, Humor und Lachen sind auch von politischen Systemen abhängig, wie aus einzelnen Aufsätzen hervorgeht. In Zwangsregimen wurden und werden oft sehr viel bessere Witze erzählt als in Gesellschaften, die vor lauter Wohlergehen kaum noch etwas zum Lachen haben. Der politische Witz habe zwar zu allen Zeiten Diktaturen gestört, aber er entstand und entsteht, so behauptet Peter Bender, in erster Linie nicht als Waffe gegen Tyrannei, sondern als Hilfe für die Opfer der Tyrannei, erleichtert er doch das Leben unter schwierigen Verhältnissen.

Der Humor ist aber auch von Volk zu Volk, von Landschaft zu Landschaft verschieden. Ein für uns Deutsche klassisches Exempel britischen Humors, das alljährlich zu Silvester im Fernsehen ausgestrahlte Stück "Dinner for one", ist im Vereinigten Königreich unbekannt. Vielleicht gefiele es den Briten gar nicht, vermutet Hans-Martin Gauger, vielleicht ist es britischer Humor für uns Deutsche, und umgekehrt: Was an Wilhelm Busch lustig sein soll, könne man einem Franzosen, Spanier und wohl auch Engländer kaum je klarmachen.

Ferner gibt es eine Historizität des Komischen. Der Roman "Don Quijote" war für seine Zeitgenossen sehr "lachkräftig", bei uns weckt er eher heiteres Mitgefühl.

Aber mit Spaß und Hedonismus lassen sich nur wenige Probleme lösen, gibt Hans Martin Gauger zu bedenken. Am Ende steht immer der eigene Tod. Zudem begleiten Todesfälle in nächster Nähe unseren Weg von früh bis spät. Auch aus anderen Gründen vergeht uns oft das Lachen.

Der "Diplomclown" Robin Detje (im Nebenberuf Autor und Übersetzer) fragt "Warum Komik?" und steuert einige Geistesblitze zu einem "todernsten Thema" bei, wobei auch er die Komik mit dem Tod in Verbindung bringt. Denn die Komik, so glaubt er, "weiß mehr vom Tod als die Tragik, ihr Zerrspiegel zeigt uns ein vollständigeres Bild von uns selbst. Sie ist die klügere Form. Und das Einverständnis, das sie durch Gelächter erzeugen will,[...]ist ein Einverständnis mit der Krise, wie es der Bewältigung jeder Krise vorangehen muss. So ändert das Lachen die Sitten."

Helmut Plessner nennt das Auslachen "die billigste und schmutzigste Methode der Geselligkeit", und in der Tat, gelacht wird oft auf Kosten anderer. An Gruppenabenden der SS wurde sicherlich, nimmt Grasskamp an, wacker auf Kosten derer gelacht, denen draußen das Lachen längst vergangen war. Der Witz ist also nicht von vornherein unschuldig. Nicht selten deklassiert er Abwesende, sei es im Irrenwitz, sei es im Ethnowitz - damit sich der Erzähler mit seinesgleichen solidarisieren und nach außen hin abgrenzen kann.

Walter Grasskamp beleuchtet die negative Seite des Humors außerdem an Wilhelm Busch, an Wolfgang Hildesheimer, Loriot und Heinz Rühmann, dem man den "Tod eines Handlungsreisenden" nicht abnehmen wollte, weil er längst zu seinem eigenen Markenzeichen einer schwiemeligen Bonhomie geworden war. "Robert Gernhardt mögen die lyrischsten Gedichte gelingen, Elke Heidenreich die gnadenlosesten Beziehungsanalysen - im Lob, das sie dafür erfahren, schwingt immer die unwillkommene Überraschung mit, dass sie das ,auch' können, und nie werden sie auf gleicher Kritikerhöhe vermessen wie ihre schattierungsloseren Kollegen."

Die islamistischen Anschläge am 11. September 2001 und am 11. April 2002 auf die La-Ghriba-Synagoge auf der Insel Djerba haben sich, nach Meinung einiger der in diesem Heft vertretenen Autoren, explizit gegen den westlichen Hedonismus gewandt, wofür hiesige Kulturkritiker in etwa Verständnis aufbrachten. Nicht wenige von ihnen hofften, dass damit die "Spaßgesellschaft" ihr Ende finden möge. Jörg Lau hingegen vertritt die Ansicht, dass es auch ein Menschenrecht auf Spaß gibt. Auch er erinnert daran, dass das Streben nach Glück unter der Bezeichnung "pursuit of happiness" am 4. Juli 1776, dem Tag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, festgeschrieben wurde. Wir sollten uns durch Schuldgefühle den Blick auf die eigenen Vergnügungen nicht trüben lassen, so Lau. Nicht das Glück werde dem Menschen garantiert, lediglich das Streben danach. Der kluge Autor hat sicher Recht. Dem einzelnen Menschen darf und soll man in seinem Streben nach Glück und seinem Verständnis von Glück keine Vorschriften machen. Man kann beides allenfalls leise kritisieren, und Terroranschläge, gleich aus welchen Gründen und Ursachen sie erfolgen, sind niemals gerechtfertigt. Nur sollten wir begünstigte Mitteleuropäer bei der Verfolgung des eigenen Glücks vielleicht doch etwas mehr Sensibilität und Umsicht walten lassen und nicht gerade in einem Luxushotel uns dem Wohlleben ergeben, während ringsherum die Bevölkerung darbt und hungert, oder in einem fremden Land einem ungehemmten Hedonismus frönen, wenn er den dortigen Kulturen und Mentalitäten ein Dorn im Auge ist.

Auf das Phänomen der Spaßgesellschaft kommen in dem Merkur-Heft übrigens viele zu sprechen. Der Historiker Christian Meier, der über "Homerisches Gelächter, Spaß, Brot und Spiele" schreibt, gesteht frank und frei, dass ihm die Spaßgesellschaft ein Gräuel sei: "albernes Gegacker und die Hingabe eines ganzen Publikums daran."

Harald Martenstein hingegen geht mit den Kritikern der Spaßgesellschaft ins Gericht, die in diesem Zusammenhang gleich von Vergnügungsfaschismus (Elke Schmitter) sprechen, von "Amüsierfaschismus" (Peter Sloterdijk) oder wie der Germanist Jochen Hörisch erklären, dass die Spaßgesellschaft totalitär geworden sei. Kritik an der Spaßgesellschaft sei in erster Linie nicht Kritik am Humor, führt Martenstein weiter aus, sondern an den Vorlieben der breiten Masse, an der Massendemokratie. Die von vielen Zwängen befreiten Volksmassen nutzten ihre Freiheit in der Regel nicht dazu, Goethe, Plessner oder Sloterdijk zu lesen. Wer als Stimme der Kritik von den Massen ernst genommen werden wolle, müsse zuerst bewiesen haben, dass er auch das Spiel der Affirmation mitspielen könne - wie Harald Schmidt oder Marcel Reich-Ranicki. "Das Fernsehen ist die große Volksmaschine, durch die auf dem Weg zu geistiger Macht jeder hindurch muss, sogar der Kulturkritiker, und kaum etwas ist peinlicher, als bei diesem Versuch zu scheitern, wie zum Beispiel Sloterdijk mit seiner Philosophie-Talkshow. Da ist es klüger, das Fernsehen zu meiden wie Hans Magnus Enzensberger oder Botho Strauß."

Viele Autoren kommen hier mit unterschiedlichen Themen zu Wort: Literaturwissenschaftler, Philosophen, Germanisten, Redakteure und Publizisten. Nur einige von ihnen seien noch stichwortartig genannt: Karl Heinz Bohrer, der sich mit "Elementen des englischen Humors", befasst, Hans Ulrich Gumbrecht, der sich dem "Amerika, wie es lacht" widmet und Marc Degen, der der Frage nachgeht, wie amerikanische Comic-Books die Welt verändert haben.

"Wer lacht, kann nicht beißen", unter dieser Überschrift stellt Michael Schröter den bisher unveröffentlichten Essay von Norbert Elias' "Essay on Laughter" vor. Walter Klier unternimmt dagegen einen humorwissenschaftlichen Streifzug durch die austriakische Literatur, Gert Raethel durch deutsche Humorlandschaften und Oliver Maria Schmitt singt unter der Überschrift "Lachstandortverbesserer" ein Loblied auf die Neue Frankfurter Schule, auf Deutschlands erfolgreichste "Boygroup", die vor über vierzig Jahren im Oktober 1961 mit der Zeitschrift "Pardon" ins Leben gerufen wurde, während sich Eckhard Schumacher unter "Konkurrenzloses Lachen" über das Auftreten und die Entwicklung von Harald Schmidt Gedanken macht. Die Publikation endet mit zwei mehr oder weniger komischen Geschichten von Gerhard Henschel und Volker Zastrow und einem Gedicht von Robert Gernhardt mit dem für das hier behandelte Sujet zutreffenden "Lied vom Lachen".

Titelbild

Lachen. Über westliche Zivilisation Doppelheft Merkur Nr. 641/642.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002.
263 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3608970401

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