Gott hat sich aufgehängt

Tobias O. Meißners Hiob-Buch treibt ein absurdes Spiel

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kaum eine andere biblische Erzählung hat die Hiobsgeschichte Schriftsteller immer wieder zu Reflexionen und eigenen Schöpfungen inspiriert. Doch Meißners Buch mit seinen Blut- und Gewaltorgien bei gleichzeitiger Gedankenarmut setzt allen bisherigen Publikationen eine düstere makabre Krone auf, und man fragt sich am Ende, ob das Werk wirklich, wie der erste Blick suggeriert, ein genaues Spiegelbild unserer gottfernen und von Verbrechen durchtränkten Epoche ist.

Erzählt wird hier von Hiob Montag. Er lebt als Künstler in Berlin und stellt in einer kleinen Galerie seine Bilder aus, in denen Kritiker lediglich mehr oder weniger unverständliche Abstraktionen erblicken, Eingeweihte indessen sadistische Schreckensszenarien erkennen - nicht von ungefähr. Immerhin hat Hiob einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, "um den Karren aus dem Dreck zu ziehen", nachdem er gemerkt hat, dass ihn das, was in der Welt geschieht und im Fernsehen übertragen wird, krank macht und er Tag für Tag mehr "an einem in unsrer heutigen Zeit geradezu destruktiv luxuriösen Defekt namens Gewissen" leidet und daran zu "verrecken" droht. Also habe er, bekennt Hiob, "irgendwann die Konsequenz gezogen" und sich zur Spielfigur in einer Partie gemacht, deren Regeln die höchste Macht des Bösen selbst bestimmt. Seitdem spielt Hiob mit einem "NuNdUuN" genannten Satan um die Seelen der Welt und muss schwierige Aufgaben lösen, die ihm je nach Schwierigkeitsgrad unterschiedliche Punktzahlen einbringen, und teuflische Gegner vernichten. Gewinnt er, wird er Herr über die Welt, verliert er, fällt sie dem Bösen anheim. Wenn man sich allerdings Hiobs Taten anschaut, kann einem, gleich wie die Wette ausfällt, so oder so um die Welt angst und bange werden. Denn im Grunde ist auch Hiob ein übler Bursche, der vor nichts zurückschreckt. Er betätigt sich als Vampir und trinkt Blut. Zudem macht es ihm Spaß, wie Diana, seine Gefährtin auf Zeit, ganz richtig bemerkt: "andere Leute wie Scheiße zu behandeln" und "irgendwelche Arschlöcher" zu drangsalieren", denn "das ist" nach Hiobs Dafürhalten, "sinnvoll und bringt Spaß." Er stiehlt und mordet, da er "das Töten für eine sozial-historische Grundkonstante in zwischenmenschlichen Verhaltensmustern" hält. Menschenleben zählen für ihn nicht. Einmal steht er vor der Frage, sollen fünf Menschen oder acht Kinder dran glauben? Aber, so denkt Hiob kaltschnäuzig, letztlich kommt der Tod für die "kleinen Kinderchen einer Erlösung gleich. Sie würden niemals vor den Strahlen der Sonne Angst haben müssen, Sommersmog riechen oder Beverly Hills 90210 sehen müssen."

Die erste Aufgabe führt ihn zur Karnevalszeit nach Kolumbien, nach Barranquilla, der Stadt des Mülls und der Fliegen, und dort in eine Irrenanstalt, in der reihenweise Menschen ins Jenseits befördert werden. Mit Hilfe einer aidskranken deutschen Studentin dringt Hiob in die Todesfabrik ein und befreit die vegetierenden Insassen. Die junge Frau - sie heißt "Diana wie die einsame Prinzessin" - war zuvor in Deutschland von einem kolumbianischen Austauschstudenten angesteckt worden. Nun versucht sie in Kolumbien, sich an anderen jungen Männern zu rächen, indem sie sie infiziert und sich selbst dabei, nach Hiobs Aussage, "zu Tode vögelt". Er kommt dem zuvor, indem er, als ihm Diana lästig wird und sogar gefährlich zu werden droht, sie mirnichtsdirnichts auf todbringende Weise "aus dem Verkehr" zieht.

Für das zweite Prognosticon (Prognosticons bedeuten in dieser abstrusen Geschichte kleinere Warnungen und Fingerübungen) bricht Hiob in ein amerikanisches Hochsicherheitsgefängnis ein. Er lässt sich auf dem elektrischen Stuhl festbinden, um einer bei der letzten Exekution ins Stromnetz eingedrungenen Mörderseele habhaft zu werden. Das dritte Prognosticon ereignet sich in den zwanziger Jahren - Hiob muss sich also in die Vergangenheit versetzen lassen -, in Bayern, wo der aus der Hölle zurückgekehrte Geist eines gefallenen Soldaten die Familie seiner Verlobten mit der Axt auslöscht. Später spürt Hiob im Berlin der neunziger Jahre einer Teufelssekte nach und bereitet ihr den Garaus.

Zwischendurch werden immer wieder Kinder geschlachtet, Mädchen geschändet, Menschen gequält und bei lebendigem Leib verbrannt. Auf Deubel-komm-raus werden Knochen freigelegt, Geschlechtsteile abgeschnitten, Blutorgien gefeiert und am Ende gar die Hirnmasse eines lebendigen Säuglings geschlürft. Detailliert berichtet der Autor von sexuellen Perversionen und grausamen Ritualen. Offenbar ist ihm jedes Mittel recht, um die Leser zu schockieren.

Nebenbei feiert man Incubus-Messen, eine Art Schwarze Messe, die während einer Weißen Messe begangen wird. Es tauchen Satanisten und nächtliche Dämonen auf - einer der Dämonen nennt sich "Monsieur 500.000 Volt", in Anspielung auf einen französischen Chansonier - und andere merkwürdige Gestalten. Und wo bleibt Gott bei alledem? Er hat sich aufgehängt, erfahren wir, als er feststellte, welchen Fehler er am Abend des sechsten Tages im Zustand großer Erschöpfung begangen hat, so dass nun Satan ganz allein oben und unten durch verwaiste Hallen streift und auf eine echte, herausfordernde Lebensaufgabe wartet. Dann wieder heißt es, Gott und der Teufel seien ein und dergleiche: Gott der Rentner und Teufel der Reiche, und an einer Stelle wird Gott sogar von Raben gefressen.

Am Ende hat Hiob nur sieben Punkte erreicht - viele mussten dafür ihr Leben lassen. Zum Sieg über seinen Rivalen benötigt er allerdings 78 Punkte. Das braucht uns indes nicht weiter zu bekümmern, da Hiobs Spiel, nach Vorstellung des 1967 geborenen und in Berlin lebenden Autors, ein auf mehrere Bände und fünfzig Jahre angelegtes Programm ist. "Frauenmörder" war nur der Anfang. Doch das schwer verdauliche Buch strotzt nur so von merkwürdigen, von sadistischen und monströsen Einfällen sowie von Folter- und Gewaltszenen. Manchmal freilich - das sei zugestanden - wird man auch durch witzige Einlagen überrascht. Eingefügte Experimente mit Typographien und Dialekten wiederum wirken dagegen nur albern und lächerlich. Gedanklich jedoch gibt das, laut Klappentext, "schonungslose Projekt über die Nachtseite der menschlichen Existenz" wenig her. Meißners groteske Schilderungen, bei denen er sich mit Vorliebe einer vulgären und schnoddrigen Sprache bedient, bieten keine neuen Perspektiven und bereichern die Diskussion um das Hiob-Problem um keinen Deut.

Titelbild

Tobias O. Meißner: Hiobs Spiel. Roman.
Eichborn Verlag, Berlin 2002.
300 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3821806915

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