Durch Schützengräben und Granatlöcher

Jacques Tardi verarbeitet neuerlich den Ersten Weltkrieg im Comic

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jacques Tardi hat wie kaum ein anderer Autor dazu beigetragen, dass der Comic von der Massenzeichenware zur graphischen Literatur avancieren konnte. Die großen Bildschöpfer der 70er und 80er (Schuiten, Moebius, Bilal) verstanden sich weniger auf die Bildererzählung als auf opulente und faszinierende Tableaus. Die Schnittstelle zwischen Text und Bild hat erst Tardi zu nutzen gewusst.

Dabei liegt Tardis spezifisches Talent im Synchronismus der Anwendungsmöglichkeiten von Bild und Text: kein Element dominiert das jeweils andere. Das hat der Pariser Autor in seinem vielseitigem Werk häufig bewiesen, etwa in den "Leo Malet"-Adaptionen, den Geschichten um Adèle Blanc-Sec oder in der tristen Nachkriegslandschaft Frankreichs in "Tödliche Spiele".

Wie schon in "Der Dämon im Eis" arbeitet Tardi auch in seiner aktuellen Produktion mit den Mitteln der grafischen Erzählung, was seinen Niederschlag auch in der Seitenaufteilung findet: der gesamte Comic ist in 2 großen Panels pro Seite durchgestaltet, quasi im Spiegelverfahren aufgeschnitten. Dabei gelingt es Tardi, die Grenzen von Traum und Realität in surrealistischer Manier aufzuheben; das geht dann so weit, dass der Leser, am Ende angekommen, von vorne beginnen kann und in rückblickender Relektüre die Evidenz des Traumes in der Erzählung überprüfen kann. Geschichte und Geschichten werden so als Perpetuum mobile gekennzeichnet.

Der neue Comic handelt von Tardis alter Obsession: vom Ersten Weltkrieg. Anhand der Erinnerung von Soldat Varlot macht er die Schrecken des Krieges greifbar. Der Leser teilt den Gang Varlots durch Schützengräben und Granatlöcher, seine Flucht vor dem Krieg, der ihn letztlich doch immer wieder einholt. Auch den Leser holen die Bilder bald ein: die abgerissenen Gliedmaßen der Soldaten fliegen in großformatigen Panels dem Leser entgegen. Das tiefschwarze Blut der Kämpfenden verliert sich in der drucktintigen Düsternis der Unterstände und Verstecke. Die Kraft der Explosionen setzt Tardi auch grafisch um, der gewählte Bildausschnitt ist oft bewusst willkürlich gewählt, so dass dem "Außenraum", also dem, was abzubilden wäre, wenn der Seitenrand mehr Plätz böte, eine herausragende Bedeutung zukommt. Damit nimmt Tardi in das Bild hinein, was sich außen (also in der "Realität") spiegelt. Gleichzeitig erlaubt ihm die Konfusion der Physik (also die Darstellung der Explosionen) einen Verweis einzubringen auf die Auflösung von Ordnungen, oder genauer: auf die Abhängigkeit von Ordnung und Unordnung. Dem tritt kontrapunktierend die klare grafische Aufteilung zur Seite.

Tardi erzählt hier die Vorgeschichte zu Daeninckx' Roman "Den letzten beißen die Hunde", den er gleichfalls grafisch adaptiert hat. Insofern lässt sich auch verstehen, warum Tardi das Thema des Ersten Weltkrieges erneut aufgearbeitet hat. Ansonsten hat die Story nicht viel neues zu bieten, und ähnlich eindrucksvoll hat Tardi auch schon in früheren Arbeiten den Wahnsinn des Krieges vorgeführt.

Titelbild

Jacques Tardi / Didier Daeninckx: Soldat Varlot.
Edition Moderne, Zürich 2001.
38 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3907055454

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