Die Rosen vom Wörthersee

"Die Besten" aus Klagenfurt wurden benutzerfreundlich kompiliert

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Krankheiten und vom Sterben war bei den Tagen der deutschen Literatur 2002 in Klagenfurt viel zu hören. Depressionen, wuchernde Tumore, sterbende Tanten, Väter und Nachbarn, schließlich gar Online-Killer bevölkerten die konkurrierenden Texte. Wenn man dem Feuilletonecho, das dieser Veranstaltung nachhallte, Glauben schenkt, gewinnt man rasch den Eindruck, diese thematische Präferenz könnte ein Resultat unbewusster Selbstreflexion sein. Die Literatur liegt todkrank darnieder und kennt daher nur noch ein Thema, das Sterben. Aber dazu später mehr.

Die "besten" Wettbewerbsbeiträge sind unter der Federführung von Herausgeber und Jury-Mitglied Robert Schindel in einem Sammelband, der durch die angefügten Diskussionsauszüge und Pressereaktionen zugleich eine Art Materialienband ist, kompiliert worden. Den Einstieg bildet die mit einer knappen Entscheidung von vier zu drei Stimmen im zweiten Wahlgang mit dem ersten Preis dotierten "Geschichte vom Nichts" des Grazers Peter Glaser. Zwar ging es in Glasers Text auch um den Tod, aber darum ging es gerade nicht, zumindest nicht nur. Denn die Fülle der darin verwobenen Themen, Schauplätze und Motive lassen sich kaum unter einem Schlagwort subsumieren. Und doch fand die Jury hierfür eine treffende, indes die knappe Entscheidung nicht rechtfertigende Vokabel der "Welthaltigkeit". Vom Nah-Ost-Konflikt zum 11. September, von Ägypten über Griechenland nach Hamburg, vom Tod der Tante zur reduzierten SMS-Kommunikation mit der Geliebten bietet Glasers Text so ziemlich alles, was eine schlaglichtartige Weltbetrachtung dieser Tage so hergibt. Dieses rasant geschnittene Globalisierungszapping triumphierte über die etwas dröge und brav germanistische "Insel Vierunddreißig" der Annette Pehnt, einem Romanausschnitt über die schwierige Adoleszenz einer Hochbegabten.

Hilf- und glücklos agierende Jury-Mitglieder waren zu bestaunen, Spuren davon finden sich in den Diskussionsauszügen. Birgit Vanderbeke vermied konsequent jegliche Argumentation und beschränkte sich in ihren Kommentaren auf sich vermeintlich selbst beweisende Behauptungen. Robert Schindel gestand, in eine Geschichte (von Norbert Zähringer) nicht hineingekommen zu sein, stimmte aber nächsten Tags doch für diesen Text, nachdem er über Nacht wohl noch Zugang gefunden hatte. Denis Scheck und Burkhard Spinnen überzeugten schließlich als eingespieltes Duo mit gelegentlich polemischen Anklängen, und die Jury-Debütantin Pia Reinacher bereicherte die Runde mit überlegten und profunden Einschätzungen.

Die nahezu einmütige Ablehnung der Erzählung "Buchenhofstaffel" von Nina Jäckle ist vielleicht ein Beispiel für den in Klagenfurt vorherrschenden Literaturbegriff. Eine aus Kindesperspektive geschilderte Familiengeschichte um einen grotesken Nachbarschaftsstreit, ein banales, realistisch und scheinbar geheimnislos geschildertes Drama einer exemplarischen Eskalation. Naive, zu leicht konsumierbare und durchschaubare Lesebuchliteratur sei das, lautete der Vorwurf, indes darf gemutmaßt werden, ob nicht der Mangel an "Welthaltigkeit" diesen atmosphärischen und gemessen an der gewählten Perspektive in sich stimmigen und damit gelungenen Text in Klagenfurt scheitern ließ. Und war es nicht die Absenz einer bei vielen besser bewerteten Werken zu konstatierende bemüht originäre Metaphorik, die des Jurors Glück und des wahren Dichters Ausweis darstellt?

Es gehört zu den Vorzügen des Bandes, dass ein durchaus selbstkritisch zu lesender Pressespiegel von Robert Schindel angehängt wurde. Nahezu einhellig und daher nicht gerade unverdächtig bewertete das Feuilleton das Niveau der Veranstaltung hinsichtlich der Kompetenz von Lesenden und Beurteilenden als erschreckend niedrig. Ein Mangel an guten Autoren, Geschichten und Wertungskriterien sei abermals, wie bereits in den Vorjahren festzustellen, Herausragendes indes gebe es kaum. Und wenn jemand wie Raphael Urweider mit dem sprachlich elaboriertesten Text, dem lyrisch verspielten Prosastück "Steine" vorstellig wird, bekommt er lediglich den vierten, den 3sat-Preis zugesprochen. Es zeugt von einer bewundernswerten Offenheit, dass ein verantwortlicher Protagonist des so viel gescholtenen Projekts von "nachgerade katastrophale[r] Qualität" (Cornelia Niedermeier im "Standard"), dass jener Eingang suchende Robert Schindel sich selbst der berechtigten Kritik nicht entzogen, und die eigene Verurteilung zum unterhaltsamen Bestandteil seines Buchs gemacht hat.

Titelbild

Robert Schindel (Hg.): Die Besten 2002. Klagenfurter Texte.
Piper Verlag, München 2002.
200 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3492044484

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