Schon der Pharao wollte Juden vernichten

Zwei Historiker spüren die Ursprünge des Judenhasses auf

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anhand zahlreicher Texte aus der Antike, der Bibel, aus frühchristlichen Schriften und dem Koran decken die beiden Historiker Carsten Peter Thiede und Urs Stingelin die Ursprünge der traditionellen Judenfeindschaft auf und weisen nach, dass unverhohlener Hass auf Juden, wie ihn palästinensische Muslime heute noch lehren und ihn die Christen Jahrhunderte lang gepredigt haben, sowohl auf den Koran wie auf frühchristliche Quellen zurückgeht.

Schon antike Autoren haben den Grund bereitet, auf dem vom zweiten Jahrhundert ab ein zunehmend römisch-griechisch geprägtes Christentum, das sich seiner jüdischen Wurzeln zu entledigen begann, in Wort und Tat gegen Juden vorgehen konnte. In die gleiche Tradition stellte sich, allerdings eher frühmittelalterlich als spätantik, eine neue weitere Weltreligion, nämlich der Islam.

Genau genommen geht der Judenhass bis in das zweite vorchristliche Jahrtausend zurück, bis in die pharaonische Epoche vor dem Auszug aus Ägypten. Denn schon im Buch Exodus (2. Mose) heißt es vom Pharao: "Und der König von Ägypten sprach zu den hebräischen Hebammen, deren eine den Namen Shiprah trug, und die andere hieß Puah; und er sagte: ,Wenn ihr das Amt der Hebamme an einer hebräischen Frau ausübt, dann sollt ihr [...] wenn es ein Sohn ist, [...] ihn töten'." Darüber hinaus befahl Pharao seinem ganzen Volk, jeden Sohn, der bei den Israeliten geboren werde, in den Fluss zu werfen. Dies waren, meinen die beiden Autoren, die erste uns bekannte Aufhetzung gegen das jüdische Volk, der erste Versuch, die Juden zu vernichten.

Gleichwohl steht in der Antike der Hass gegen Juden noch in einem allgemeineren Zusammenhang. Denn die Animositäten, die bis zu Hass, Verfolgung und Pogromen führen konnten, waren in erster Linie gegen Menschen gerichtet, die sich als identifizierbare Gruppe absonderten und nicht so lebten wie die Mehrheit. Es handelte es sich hierbei um eine Art Fremdenhass oder Xenophobie gegen sogenannte "Barbaren".

Eine erkennbar religiöse Motivation des Judenhasses taucht erstmals im Buch Esther auf, das zur Zeit des persischen Königs Xerxes (Ahasveros), 486-465 v. Chr., angesiedelt ist. In diesem heißt es: "Und Haman sprach zum König Ahasveros: ,Es gibt da ein Volk, verstreut und abgesondert unter den Völkern [...]Es ist dem König nicht angemessen, sie gewähren zu lassen. Gefällt es dem König, so werde geschrieben, dass man sie ausrotte'." Das sind Sätze, in denen unverhüllter Hass gegen den Gott der Juden zum Ausdruck kommt.

Nicht von ungefähr sehen daher die Autoren in Hamans Plan einen frühen Vorläufer der Wannsee-Konferenz von 1942, auf der die bereits 1941 von den Nationalsozialisten beschlossene Ausrottung der Juden in ihrer logistischen Umsetzung festgelegt wurde. Zwei antike Schriften, das Buch "Exodus" und das Buch "Esther" sind somit, literaturhistorisch gesehen, die ältesten Belege für den traditionellen Antijudaismus, der dann dem Antisemitismus der Moderne den Weg bereitet hat.

Ferner wurde im Jahr 411 v. Chr. auf der Nilinsel Elephantine der Tempel der jüdischen Militärkolonie in Brand gesetzt und zerstört, wobei politische Interessen und religiöse Kontroversen Hand in Hand gingen. Denn diesmal war die Bevölkerung nicht gegen einen innenpolitischen Gegner oder sozialen Fremdkörper aufgehetzt worden, sondern gegen die Vertreter einer verhassten Religion und ihrer Praktiken, die in direkter Konkurrenz zu den eigenen Riten standen.

Der erste Grieche, dem eine schriftlich überlieferte Äußerung gegen die Juden nachgewiesen werden kann, ist Hecataeus von Abdera, der etwa von 360 bis 290 vor Christus lebte und als Autor volkskundlicher Schriften mit philosophischem Einschlag bekannt war. Doch lassen die frühesten griechischen Belege noch keinen eigentlichen Judenhass erkennen, weder gegen das Volk noch gegen die Religion, obgleich sie, laut Thiede und Stingelin, nicht mehr allzu fern davon entfernt gewesen seien. Auch Manetho, ein in Ägypten lebender Grieche des dritten Jahrhunderts v. Chr., der als Oberpriester in Heliopolis amtierte, war ein ausgesprochener Judenhasser.

Der mit Abstand wichtigste Überlieferungsträger judenfeindlichen Gedankenguts aus der Antike war indessen nicht ein Grieche, nicht ein Römer, nicht ein Christ oder Moslem - sondern ein Jude, Flavius Josephus, Verfasser der Schrift "Jüdischer Krieg". Seinem Werk verdanken wir fast unser gesamtes Wissen über die Judenfeindschaft in der Antike. Im Grunde wollte Flavius Josephus in erster Linie die jüdische Sache verteidigen. Doch sprach er vor allem die Gegner der Juden an und wurde so unversehens zum Hauptüberlieferungsträger antisemitischen Gedankenguts in der Antike.

Eine Reihe antiker, also nichtchristlicher, Autoren haben über Juden in einem unüberhörbar judenfeindlichen Ton geschrieben, wie etwa Lysimachus, Posidonius, Seneca der Jüngere, Tacitus, Rutilius Claudius Namatianus, Macrobius und andere. Ihre einschlägigen Texte werden in dem Büchlein ausgiebig zitiert.

In einem weiteren Kapitel wird die Judenfeindschaft im Neuen Testament untersucht, wobei auch hier die Autoren in erster Linie einzelne Texte für sich sprechen lassen, wie etwa das Matthäus-, Lukas- und Johannes-Evangelium, die Apostelgeschichte, die Römer- und Galaterbriefe. Freilich dürfe man nicht übersehen, betonen Thiede und Stingelin mit Nachdruck, dass im Neuen Testament Juden mit anderen Juden über entscheidende Fragen des Glaubens und des Lebens streiten -- nicht in einem gepflegten Diskurs, eher hart, aggressiv, polemisch und manchmal mit brachialer Gewalt. Aber selbst in den scharfen Anklagen der zitierten Bibelstellen wird Christen, nach Meinung der beiden Verfasser, "keine Handhabe zu Judenhass und Judenverfolgung geliefert." Häufig habe man aus dem Neuen Testament, obwohl es noch fest im Judentum verankert ist, herausgelesen, was nicht in ihm steht, und habe in ihm fälschlicherweise eine Quelle der Judenfeindschaft gesehen.

Erst in späteren Schriften seien ausdrücklich Judenfeindschaft und Judenhass gepredigt worden. Während das Judentum nach dem Verlust des Tempels dazu übergegangen sei, die Jesus-Anhänger auszustoßen, habe das frühe Christentum seine Jüdischkeit geleugnet. Kein einziger Autor, der sich jetzt fanatisch äußert, stammt noch aus dem Judentum. Die Judenfeindschaft war und blieb mithin ein "Privileg" der Heidenchristen.

Gerade die Großen unter den Kirchenvätern, wie Ambrosius und Augustinus, lieferten dann mit Predigten und Traktaten "gegen die Juden", die in dem Buch ebenfalls im Wortlaut wiedergegeben werden, das Rüstzeug für Judenhass und ungestrafte Judenverfolgung. Die Nachwirkungen ihrer Schriften reichten bis in die Reformationszeit und stießen in allen christlichen Kirchen bis in die jüngste Vergangenheit keineswegs auf einhellige Ablehnung.

Auch die zweite auf das Judentum folgende große monotheistische Religion, der Islam, übernahm in ihren Ursprüngen das Erbe des Judenhasses und führte es weiter. Einzelne Suren des Koran enthalten durchaus die Aufforderung zur Verfolgung, Bekämpfung und Vernichtung der Juden.

Angeführt werden von Thiede und Stingelin im letzten Kapitel vor allem jene Aussagen aus dem Koran, die in unmissverständlicher Deutlichkeit den vernichtenden Hass gegen Juden predigen. Offensichtlich ist die anfängliche Anerkennung der Auserwähltheit des Volk Israels vor anderen Völkern in dem Maße der aggressiven Feindschaft gewichen, in dem die Juden, statt sich auf die Seite Mohammeds zu schlagen, bei ihrem Glauben blieben, den Koran ablehnten und dessen Gebote ignorierten. Die Zitate zeigen, dass es Abstufungen gibt zwischen der scharfen Zurückweisung jüdischer Positionen und der Aufforderung zur Tat, gegen Juden mit aller Brutalität vorzugehen. Viele Vorwürfe und Klischeevorstellungen, die den mittelalterlichen und neuzeitlichen Judenhass geprägt haben, kommen auch im Koran vor wie: Die Juden nehmen Wucherzins, beuten andere aus und betrügen sie um ihr Einkommen.

Hilfreich an dem informativen Büchlein sind nicht nur die ausführlich zitierten Quellen, sondern auch der bibliografische Anhang mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen.

Was an den Ausführungen indes empfindlich stört, ist, dass der frühe Judenhass häufig mit den Vokabeln Antisemitismus oder antisemitisch belegt wird, obwohl, wie die Autoren gleich zu Beginn ihrer Ausführungen einräumen, dieser Begriff erst im 19. Jahrhundert von Wilhelm Marr eingeführt wurde und in einem rassistischen Sinne gegen Juden gerichtet war.

Titelbild

Carsten Thiede / Urs Stingelin: Die Wurzeln des Antisemitismus. Judenfeindschaft in der Antike, im frühen Christentum und im Koran.
Brunnen-Verlag, Gießen 2002.
176 Seiten, 11,95 EUR.
ISBN-10: 3765512648

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