Die Psychoanalyse des körperlichen und gestischen Agierens

Über ein neues Paradigma für Psychotherapie und Kulturwissenschaften mit einem Ausblick auf Ernst Jüngers "In Stahlgewittern"

Von Harald WeilnböckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Harald Weilnböck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein kleiner Ritsch und rot bist du. [...] tut schon weh. Soll ja weh tun. Weißt erst, dass es dich gibt, wenn du spürst. Tut gut, wenn es weh tut. [...] Schlitz es auf das Glitschhautding, dann kann das Raus rein und das Rein raus. Jetzt siehst du von draußen hinein und von drinnen hinaus." Das Phänomen der Selbstverletzung der Haut tauchte in den kulturellen Repräsentationen früherer Jahrzehnte wenn überhaupt dann als besonders schockierende Szene des Grausens auf: So fügte sich im Film "Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen" eine jugendliche Schizophrene am abseitigen Ort, in der öffentlichen Toillette, mit der Zigarette Verbrennungen am Oberarm zu. Und die Protagonistin ist - beruhigendermaßen - eindeutig dem semantischen Feld der Psychotischen zugewiesen. Heutige Zeiten sind in allem etwas cooler, und so sind Praktiken des "Schneidens" und "Ritzens" der Haut gerade bei Jugendlichen, ohne dass dies bisher viel Aufsehen erregt hätte, zu einem soziokulturellen Pathologie-Trend geworden. Die Zeiten, als sich der Punk-Rock-Pate Iggy Pop auf der Bühne mit einer Glasscherbe die Brust aufritzte oder Rainald Goetz beim Klagenfurter Literaturwettbewerb um den Ingeborg Bachmann-Preis während der Lesung mit einer Rasierklinge die Stirn aufschnitt, sind vorbei. Heute stellt "Schneiden" eine flächendeckende "neue Dimension bewusster Selbstverletzung [dar], die in der Häufigkeit Magersucht und Bulimie längst überholt hat" ("Die Zeit" vom 8. 8. 2002). Der zunächst so verblüffende Erfolg des oben zitierten Jugend-Theaterstücks von Walter Kohl mit dem Titel "Ritzen" ist also bei genauerem Hinsehen so überraschend nicht. Jugendliche, die sich die Haut ritzen oder schneiden ('cutting'), beschreiben das Gefühl des Kontakts mit dem warmen fließenden Blut als "wohltuend". Wie kommt es, dass das Blut des eigenen Körpers, das sich doch im Innen befindet, als schützende "Sichterheitsdecke" wahrgenommen wird, die man - so eine Patientin Reinhard Plassmanns - ständig "mit sich herumtragen kann", um sich gegebenenfalls von außen her zu bedecken, indem man die Haut "ritzt" und das Blut "über die Haut laufen" lässt?

Die heutige Spätmoderne als Zeitalter des Körperagierens?

Die Beschäftigung mit Formen des Körperagierens - Selbstbeschädigung/Selbststimulation, Magersucht, Bulimie, Adipositas, Hypochondrie, selbst verursachte Krankheiten (sog. Münchhausen-Syndrome), psychogener Schmerz - war schon aus verfahrenstechnischen Gründen stets in den Bereich der Medizin und Psychiatrie gefallen; so auch die chronischen psychosomatischen Syndrome. Die Psychoanalyse und ambulante Psychotherapie hatten dergleichen Phänomene, die dem mittleren (borderlinen) psychischen Funktionsniveau zugewiesen werden, zumeist als nicht oder nur schwer analysierbar eingeschätzt und abgewiesen. Aus guten Gründen wollte und konnte man die medizinische Gesamtverantwortung nicht übernehmen, und aus weniger guten Gründen hatte man oft das nötige therapeutische Engagement gescheut und wollte die gutbürgerlichen Räumlichkeiten einer eher sanften Neurosenkultur nicht verlassen. Die Funktionsträger der psychiatrischen und psychosomatischen Institutionen konnten diesen brisanten Erscheinungen des Frühstörungsbereichs nicht ausweichen und haben in ihrer - zumeist uneingestandenen - Hilflosigkeit häufig zu drastischen Mitteln des medikamentösen Vollzugs gegriffen. Umso bemerkenswerter ist, dass in diesen eher medizinisch-klinisch verfassten Therapiefeldern in den letzten Jahren eine dezidiert psychoanalytische Theoriebildung auf der Basis von experimenteller und qualitativ-empirischer Forschung betrieben wurde, die nun ihrerseits die zögerliche Psychoanalyse zu befruchten beginnt.

Es findet damit eine Wissenschaftstradition ihre Fortführung - und auch ihre nüchtern-verantwortliche Korrektur, die in den Siebzigerjahren ausgehend von Franco Basaglia, Ronald D. Laing, Gregory Bateson und vielen anderen bereits eine Konjunktur verzeichnete, als man - der Mentalität der Zeit entsprechend - in zumeist aktivistisch-spontistischer und romantisierender Weise das Feld der Psychiatrie für die praktische Gesellschaftskritik erschloss. Immerhin haben sich die damals unterstellten sozialpsychologischen und gesellschaftspolitischen Hypothesen über die Ursachen der genannten Syndrome seither zur völligen Unfraglichkeit erhärtet. Denn gerade für die Patientenpopulationen mit dem Krankheitsbild der offenen Selbstbeschädigung der Haut konnte vielfach nachgewiesen werden, dass die Mütter/Eltern "sämtlich psychisch schwer krank" waren und zumeist Depression, Suizidalität, Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit aufwiesen. Die Patienten waren also als Kinder - fremdindikatorisch belegbar - "schweren Deprivations- und/oder Missbrauchserfahrungen" ausgesetzt. Diese reichen von "massiven Realtraumata in Latenzzeit oder Pubertät", "gewalttätigen Misshandlungen" oder "sexuellem Missbrauch während der gesamten Kindheit und Pubertät", bis hin zu den subtileren Beziehungstraumata, wie sie z. B. die systematische "Parentifizierung" von Kindern, also deren Einsetzung in Eltern- und Partnerfunktionen darstellt.

Vom Anfang der neunziger Jahre an maßgeblich an der klinischen Theorieentwicklung beteiligt sind die Arbeiten von Mathias Hirsch und seinen Kollegen und seit kürzerer Zeit das Engagement Peter Geißlers, der das jährliche Wiener Symposium "Psychoanalyse und Körper" veranstaltet und die gleichnamige Fachzeitschrift nebst Sammelbänden herausgibt. Von beiden Autoren gehen auch Impulse in die Kulturwissenschaften aus. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass Hirsch vor über zehn Jahren zunächst mit einer Arbeit über Inzest hervortrat. Denn damit war eine psychotraumatologische Thematik berührt, die in der Psychoanalyse im Rahmen von Freuds so genannter 'Verführungstheorie' (über frühe Sexualisierung/Sexualmissbrauch als Ursache für Hysterie) stets kontrovers diskutiert wurde. Die Psychotraumatologie ist neben der Theorie des Körperagierens, der schweren Psychosomatosen und der borderlinen Störungen einer derjenigen klinischen Bereiche, die in jüngster Zeit die psychoanalytische und kultursoziologische Theoriebildung nachhaltig beeinflussten (vgl. "Psychotraumatologie. Über ein neues Paradigma für Psychotherapie und Kulturwissenschaften." In: www.literaturkritik.de 10 (2001). Hirschs Inzest-Buch geht auf systematische Weise der interaktiven Psycho- und Familiendynamik des Inzest nach und stellt das Spektrum der psychischen und psychosomatischen sowie der gesellschaftlichen Folgen dar.

Entsprechend werden auch in den Arbeiten über das Körperagieren die Symptomatiken in psychosozialer Dimension als beziehungsdynamische Phänomene verstanden - als Inszenierungen von "Zwei-Personen-Stücken mit sich selbst": In pathologischen Zuständen stellt sich der eigene Körper dem Subjekt als äußeres Objekt gegenüber und agiert mit ihm die destruktiven Objekterfahrungen der frühen erinnerungslosen Zeit. Das psychische Innen wird zum konkreten Außen. Wenn - wie oben - das wohltuend warme, fließende Blut aus dem Inneren des Körpers zur von außen einhüllenden "Sichterheitsdecke" wird und der Schmerz aufflammt, leben die frühen Szenen von Mangel und Konflikt wieder auf. Die Szenen drängen nach selbst-erschließendem Erzählen, können aber als solche vom Subjekt nicht erkannt, symbol-gestützt gedacht und diskursiv in Sprache gebracht werden und bleiben deshalb im unerbittlichen Wiederholungszwang der Wiederkehr der gleichen Körperakte gefangen. Dabei versichert der Schmerz das Selbst seiner immer auch psychischen Hautgrenze und lindert die latenten psychosenahen Ängste und Spannungen; gleichzeitig erfolgt eine rächende Attacke gegen das versagende frühe (Mutter-)Objekt. In ähnlicher Dynamik giert der Essgestörte nach Nahrung, die sich dann jedoch auf einer anderen, abgespaltenen Erfahrungsebene als (psychisch) so vergiftet erweist, dass der Körper sie gleich wieder ausstoßen muss. Der paradoxe Körperreflex verweist auf tief liegende symbiotische Abhängigkeits-Autonomie-Konflikte. Und der Hypochonder in seiner ständigen Angst vor tödlichen Erkrankungen ist unbewusst eigentlich von der Angst vor einer psychischen Unterversorgung seiner selbst getrieben, die aufgrund der frühen Defizite an versorgender Präsenz so bedrohlich nahe rückt. Die beständigen Körpersorgen bewirken dabei auch, dass das Selbst nie allein gelassen ist, wobei "der Leib als Partner missbraucht" wird. Bei all diesen Formen rückt der Körper ersatzhaft an die Stelle "der Begegnung mit der Welt überhaupt". Und dies ist durchweg Resultat der Tatsache, dass das Kind als "Selbstobjekt" der Eltern zu deren eigener prekären "Selbstregulation" benutzt worden war.

Nicht nur jedoch für die Ursachen, sondern auch für die Auswirkungen ist die psychosoziale und interaktive Perspektive aufschlussreich. Das Stichwort 'Körper' sollte keinesfalls zu dem Missverständnis verführen, man hätte es mit einem mehr oder weniger sozial-befreiten, nämlich leiblich-konkreten Problemfeld zu tun. Die Syndrome des Körperagierens - auch die der Psychosomatosen - bedingen zumal in ihren blanden, d. h. in ihren weniger auffälligen und subtileren Erscheinungsweisen, für das umgebende soziale (und politische) Leben hohe Kosten. Denn es ist nach den Erfahrungen Sachsses "der zentrale psychische Mechanismus der projektiven Identifikation", mittels derer die PatientInnen mit offener Selbstbeschädigung "ihr Selbst und ihre Objektbeziehungen regulieren". Und projektive Identifikationen haben stets affektiv hoch brisante Gruppen- und Sozialdynamiken zur Folge, die im Bereich des gesellschaftlichen Handelns zumeist überaus destruktive Auswirkungen zeitigen. Beispielgebend denke man dieser Tage an die insititutionellen und gesellschaftlichen Schäden, die der Fallschirm-springende - also körperagierende - Parteipolitiker Jürgen Möllemann anrichtete, ferner an die psychosomatischen Folgen für ihn selbst. Man denke ferner an die politischen Folgen des offensichtlich fettsüchtigen - also ebenfalls körperagierenden - Helmut Kohl insbesondere für das konservative politische Lager. Beide Personen stellen öffentliche Figuren dar, an denen sich in exemplarischer Weise der Handlungszusammenhang zwischen narzisstischem Körperagieren, projektiver Identifikation und psychosozialen Folgeschäden ablesen lässt. Hans-Jürgen Wirth gibt unter dem Stichwort "Narzissmus und Macht" detaillierte fallbezogene Auskunft über die Psychoanalyse des politischen Agierens. Während die Einlassungen zu Helmut Kohl, Uwe Barschel, Joschka Fischer, die 68-Generation, die RAF sowie Slobodan Milosewic den Körperaspekt nur am Rande ansprechen, ist er hinsichtlich der Terrorakte der Al-Qaida von selbstverständlicher Relevanz; zudem erwägt Wirth in einigen Seiten zu Milosewic das Borderline-Syndrom, dem (fokal-)suizidales Körperagieren inhärent ist. Freilich sind auch abgesehen von den mehr oder weniger großen Unmenschen der Weltgeschichte die Hochleistungsbereiche der westlichen Gesellschaften - in Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Feldern - für dissoziative/borderline Handlungs- und Diskursweisen durchaus anfällig; zumal sie zumeist nicht in ihrem destruktiven Potenzial erkannt werden, sondern häufig sogar als Anzeichen von Genialität und Gestaltungskraft missverstanden werden.

'Analytische Körperpsychotherapie' als leibhaftige Übertragungsanalyse

Mit zunehmender klinischer Häufigkeit von Symptomen des Körperagierens wurde die klinische Erfahrung gemacht, dass körpertherapeutische Interventionen positive Wirkungen haben können. Gleichzeitig ist die Notwendigkeit erkannt worden, die verschiedenen Verfahren dahingehend zu sichten und zu beurteilen, inwiefern sie therapeutisch-technisch den Maßgaben eines konzentrierten Arbeitens in der analytischen Übertragungsbeziehung gerecht werden. Die ersten Umgrenzungs- und Definitionsversuche der analytischen Körperpsychotherapie gehen davon aus, dass das offene Setting körperlich-gestische Handlungen und Berührungen grundsätzlich ermöglichen soll. Denn das leibliche wie das mentale Erleben erfahren gleichermaßen Beachtung. Der freie Einfall wird nicht nur für das sprachliche Assoziieren, sondern auch in den Dimensionen von "Körperausdruck, Körpererfahrung und szenischem Handeln" genutzt. Dabei können die Fantasien und Gesten von körperlicher Handlung in der Therapie die Erfahrungsebenen der vorsprachlichen Entwicklungsphasen manchmal besser erreichen; es erschließt sich ein direkterer Zugang zu den "unausdrücklichen Modellszenen" von Kindheit und Jetztzeit. Allerdings werden Berührungen/Handlungen nur mit großer Umsicht, feiner Dosierung und präziser Zielrichtung eingesetzt; und sie dienen einzig dem Zweck, die systematische Arbeit an der Übertragungsbeziehung zwischen Therapeut und Klient zu intensivieren. Es ist hier nicht um 'energetische' oder 'kathartische' "Übungen" zu tun. Vielmehr setzen die eingefügten körperlich-gestischen Interaktionen spezifische Akzente, die erst in der vertiefenden verbalen Nachbereitung fruchtbar werden. Eine Fraktion der analytischen Körperpsychotherapeuten beschränkt sich gänzlich auf den "Fantasieraum" von leiblichem Erleben, in dem Berührungen nur in der Verbalisierung eines Wie-wäre-es-Wenn aufleben und nicht tatsächlich ausgeführt werden. Die Abgrenzung erfolgt somit gegenüber den nicht-analytischen, "schwerpunktmäßig funktionalen" Körpertherapien, die primär korrektive Erfahrungen vermitteln wollen. Denn dort wird zumeist mit energetischem Schwung die Abwehr der KlientInnen unterlaufen, weshalb es dann zu keiner genauen Widerstandsanalyse mehr kommen kann. Als dezidierte Ex-Bioenergetiker insistieren Pfannschmiedt und Geißler auf dem Arbeiten in der Übertragungsbeziehung.

Die theoretische Basis der analytischen Körperpsychotherapie ruht auf mehreren Fundamenten, die auch die Grundlage der modernen Psychoanalyse darstellen; um nur die wichtigsten zu nennen: (1) Die Ich-Psychologie (Hartmann, Blanck), die vor allem auf die Abwehrmechanismen des Ichs achtet, (2) die Selbstpsychologie (Kohut), die die frühen Primärbeziehungen und die sich daraus ergebende narzisstische Selbst-Beziehung der Person - ihr "Kern-Selbstempfinden" - in den Blick nimmt, (3) die Objektbeziehungstheorien und Beziehungsanalysen (Balint, Fairbairn, Winnicott, Kernberg, Bauriedl u. a.), die die zu Objekt- und Selbstrepräsentanzen verinnerlichten Beziehungserfahrungen hervorkehren (4) die Bindungs- und Säuglingsforschung (Stern, Lichtenberg, Dornes), die die experimentalpsychologische Erforschung der frühesten, präsymbolischen Interaktionsprozesse zwischen Kind und Mutter/Eltern betreibt, (5) die medizinisch-naturwissenschaftliche Neurophysiologie, die die Verarbeitung von 'sensoaffekt-motorischen Mustern' und 'Körpererinnerungen' hirnphysiologisch zu beschreiben sucht, und, eng damit verbunden, (6) die klinisch-psychologische Psychotraumatologie (Fischer/Riedesser), die sich mit den Wirkungen traumatischer Entwicklungsstörungen beschäftigt. Diese jüngeren theoretischen und klinisch-therapeutischen Ansätze der Psychologie und Psychoanalyse haben den Blickpunkt entschieden auf die frühesten, 'präödipalen' Erlebensphasen gerichtet und arbeiten in der Forschung zunehmend mit 'empirisch harten' Mitteln der experimentalen Psychologie.

Als konzeptuelle "Essentials" bzw. als theoretisch-praxeologische "Bausteine" der analytischen Körperpsychotherapie nennt Geißler: (1) die Dimension der Vitalitätsaffekte. Sie prägen die andauernd wirksame Grundstimmung und die elementaren physiologischen Lebensvorgänge einer Person (Ernährung/Verdauung, Schlaf, den "hedonischen Tonus" und die Grundstimmung der Wachaktivitäten) (2002). Die Vitalitätsaffekte werden sehr früh ausgebildet und sind in ihren unmittelbaren Erscheinungsweisen körpernah verankert. (2) Sie schlagen sich von Anfang an als affektmotorische Schemata, (defensive) Körperstrategien und leibliche Selbstartikulationen in den verschiedenen menschlichen Bedürfnisbereiche nieder (Physiologie, Bindung, Autonomie/Selbstexploration, Aversion, Sinnlichkeit, Sexualität). Sie können im experimentellen Forschungssetting per mikroanalytischer Videodokumentation beobachtet und beschrieben werden. Vitalitäts- und affektmotorische Schemata treten im bewussten Leben meist weit in den Hintergrund, bilden jedoch nichtsdestoweniger die primäre Grundierung der gegenstandsbezogenen kategorialen Affekte und ihrer Handlungen. Sie spielen in der Therapie wie im Leben eine untergründige, aber stets präsente Rolle - und dies betrifft die Handlungsbereiche der direkten und der medienvermittelten ästhetischen Interaktion gleichermaßen. (3) Dem entsprechend stellt die Säuglingsforschung die frühe Ausbildung von protonarrativen Hüllen fest - dies im dezidierten Widerspruch zur orthodox psychoanalytischen Vorstellung vom Kleinkind als eine primär narzisstische Tabula rasa oder zur naturwissenschaftlichen Vorstellung vom genetisch determinierten Wesen. Protonarrative Hüllen sind "einfache narrationsähnliche Denk- und Wahrnehmungsmodi", also grundständige Narrative, die bereits erste Kategorien von Subjekt, Intention/Ziel, Aktion und Objekt enthalten und sich im Zuge von frühen interaktiven Erfahrungen und Imitationshandlungen ausbilden (Daniel Stern). Sie enthalten somit vielfältiges prozedurales Erfahrungswissen und Mikropraktiken, die "weder symbolisch, noch verbal, noch verdrängt" sind, aber nichtsdestoweniger auch auf das spätere Leben eine unvermerkt hohe strukturelle Prägekraft ausüben. Weil diese körpernahen Narrative sich jedoch immerhin teilweise in sprachliche Artikulation überführen lassen und Frühformen von psychischen Konflikten enthalten, wohnt ihnen ein hohes therapeutisches Potenzial inne. Es allein mit verbalen Mitteln zu erschließen, ist überaus schwierig. Denn wo Formen des Körperagierens und der Psychosomatik vorliegen, wird etwas im oder "am Körper erledigt" und nonverbal ausagiert, was aus der Sprache, der Beziehung und dem Bewusstsein abgespalten ist.

Bemerkenswert an diesen konzeptuellen ,Essentials' der analytischen Körperpsychotherapie scheint mir vor allem ein wissenschaftsgeschichtliches Phänomen: Während sie wesentlich auf Befunden der 'empirisch harten' Bereiche der klinisch-psychologischen und der medizinisch-naturwissenschaftlichen Forschung beruhen, führen diese Essentials in der therapeutischen Praxis zu einer hilfreichen technischen 'Aufweichung' - und ferner dazu, dass diverse lange gehütete heilige Kühe der orthodoxen psychoanalytischen Behandlungtechnik behutsam entsakralisiert werden. Denn die Konsequenz in der Praxis ist eine mutigere und dennoch umsichtige Handhabung der viel beschworenen analytischen Abstinenz. Sie ist nach wie vor maßgeblich, wird jedoch nicht mehr in erster Linie als negative Verhaltensmaßregel der Nicht-Interaktion, sondern eher als spezifisch regelgeleiteter Möglichkeitsraum verstanden: als ein aufmerksames Sich-zur-Verfügung-Stellen des Therapeuten für einen freien Interaktionsdialog mit dem Klienten. (4) So werden mit Verweis auf die klinisch-experimentell gestützten Arbeiten Daniel Sterns die Verfahrensweisen des mikroanalytischen Interviews in diese Essentials mit einbezogen. Dabei lässt sich das therapeutische Paar auf ein ergebnisoffenes, technisch kaum reglementiertes Moving-along ein, das zu immer wieder sich ereignenden Now-moments führt. Weil in ihnen die unvermerkt sich entspinnende Beziehung "plötzlich auf dem Tisch" liegt, haben diese Now-moments hohen therapeutischen Wert, wenn sie - als meist affektiv stark geladene und gerade für den Therapeuten angstbesetzte Momente - couragiert wahrgenommen und nicht technisch-abstinent übergangen werden.

Dem entspricht (5) die entschiedene Konzeption eines interaktionellen Übertragungsbegriffs, der das therapeutische Paar weniger in einer asymmetrischen und künstlichen als in einer wechselseitigen und realen Beziehung stehen sieht. Die gleichwohl unterschiedlichen Funktionen/Rollen und Kompetenzen von Klient und Therapeut tun der Tatsache keinen Abbruch, dass beide Beteiligte auf allen Kommunikationsebenen volle interaktive Wirkungen aufeinander ausüben und dies auch dürfen/sollen. Sie gehen einen (6) Handlungsdialog ein, und es kommt zu Enactments, d. h. zu symbolischen, aber nicht explizit-sprachlichen Interaktionen, die sowohl für den Klienten als auch für den Therapeuten unbewusste Bedeutungen haben und auch den Charakter von Agieren und projektiver Identifikation annehmen können. Dass sich dabei phasenweise (Gegen-)Übertragungs-Verstrickungen ergeben und traumatische Interaktionsmuster in der Therapie wieder auferstehen, weil "unter zeitweiliger Aufgabe der beobachtenden Ich-Instanz" (dem Therapeuten) agiert wird, ist durchaus vorgesehen. Im anschließenden Durcharbeiten kommt dies einer "Intensivierung des therapeutischen Geschehens" zugute. Es sind in diesen Essentials offenkundig einige 'rote Tücher' im Sinne der orthodoxen Psychoanalyse enthalten, die jegliche Handlung und Einwirkung der Person des Analytikers entschieden ablehnt und mittels ihrer therapeutischen Technik zu verhindern versucht. Jedoch: Konnte dergleichen überhaupt jemals gelingen? "Was immer ich als Therapeut tue oder nicht tue, immer beeinflusse ich den Patienten". Gerade im Zuge des inzwischen allgemein anerkannten Verfahrens der Gegenübertragungs-Analyse wurde man sich der Paradoxie von Abstinenz im alten Sinne immer mehr bewusst: Denn was sollte der Therapeut mit seinem Klienten durcharbeiten, wenn sich nicht beide zuerst ein Stück weit in wechselseitiger Projektion und Übertragung verstrickt hätte. Und was die älteren therapeutischen Verfahrensweisen der Abstinenz betrifft: Die Retraumatisierungen, die Abstinenz vor allem bei den psychotraumatischen Symptomlagen auf dem mittleren psychischen Niveau verursacht hat, sind nicht unbeträchtlich und noch gar nicht hinlänglich reflektiert worden.

Wenn man also zunächst den Eindruck haben mag, dass die Technik der Therapie in Folge der empirisch harten klinisch-naturwissenschaftlichen Forschung 'weicher' und deshalb eventuell fragwürdiger geworden wäre, erliegt man einer optischen Täuschung. Die körperanalytischen - wie auch die systemischen - Therapieformen sind ganz im Gegenteil komplexer und differenzierter geworden. Und sie haben ihre eigene wissenschaftliche und methodische Kontrolle in Form der seit jüngerer Zeit betriebenen empirischen Psychotherapieforschung bereits mit konzipiert (vgl. dazu z. B. die Zeitschrift "Psychotherapie und Sozialwissenschaft"). Es ist also der interdisziplinäre Austausch mit den klinisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen, der die Zurückweisung der neoreichianischen Konzepte des kathartischen Körpers zugunsten eines dialogisch-interaktiven Körper-Konzepts ermöglichte und in der Zukunft dazu führen kann, dass sich die analytischen Körpertherapien von dem Odium des spontistischen Ausagierens befreien. Dabei ist umso offenkundiger geworden, dass der Ödipuskomplex auf dieser Handlungs- und Reflexionsebene keine hinreichende konzeptuelle Orientierung mehr gewährleisten kann. Maßgeblich werden vielmehr kognitionspsychologisch fundierte und experimentell operationalisierbare Einschätzungsgrößen, wie z. B. die Rate der in einer spezifischen Interaktion psychisch verarbeiteten Rigs: Denn die Anzahl von "Representations of interactions that have been generalized" (Rigs) bezeichnet die Menge der nicht-traumatisch erlebten, mithin psychisch assoziierbaren und erinnerungsfähigen Erfahrungsmomente pro Interaktionssequenz. Und diese Menge definiert den relativen Reichtum/Mangel an psychischen "Interaktionsrepräsentanzen", d. h. an unwillkürlichen Assoziationen und bewussten Erinnerungen, auf die eine Person aufgrund ihrer Sozialisation und Lebensgeschichte zurückgreifen kann und die ihr bewusst zur Verfügung stehen, um in aktuellen Situationen spezifische Handlungsaufgaben zu bewältigen. Nur die nicht-traumatisch erlebten Interaktionen sind hierfür nutzbar, denn die traumatischen können psychisch nicht integriert bzw. kognitiv generalisiert und assoziativ erinnert werden.

Ein hohes Maß an Rigs ermöglicht der Person einen sicheren Umgang mit den psychosozialen Wechselfällen des Lebens und stellt die Voraussetzung für Lernfähigkeit und Therapieerfolg dar. Je geringer dieses Maß, desto bedrohlich näher rücken Dissoziation, psychotische Selbstfragmentierung und Körperagieren. Eines jedenfalls wird hieran deutlich: Wo anhand des Quantums an Rigs die Qualität von Selbstempfinden und Beziehungserleben bemessen wird, hat die Therapie und Hermeneutik der Psychoanalyse sich grundlegend gewandelt. Die interdisziplinäre Vernetzung eröffnet die Möglichkeit, die eher mythischen Komponenten der psychoanalytischen Theorie, die ihre Außenwirkung häufig sehr belastet hat, durch sozialpsychologische Kategorien und empirisch harte klinische Beobachtungskriterien ergänzen.

Protosymbolisches Körperagieren als entwicklungspsychologische Basis einer Zeichentheorie der soziokulturellen Interaktion

Für die Kulturwissenschaften interessant ist insbesondere die Frage nach dem eigenen Körper als Symbol, wie Hirsch und seine ausnahmslos fachärztlichen Kollegen sie formulieren (die nichtsdestoweniger auch ganz unerschrocken über Kleists "Prinz Friedrich von Homburg" oder Georges-Arthur Goldschmidts Erzählungen schreiben). Die soziokulturelle Relevanz ist zunächst jedoch eine grundlagentheoretische. Sie betrifft die psychoaffektiven und sozialisatorischen Bedingung der menschlichen Symbolisierungsfähigkeit und des Denkens und damit immer auch die Grundlage seines medialen und ästhetischen Handelns. Den Kulturwissenschaften noch am ehesten bekannt sind die Arbeiten, die Alfred Lorenzer in den siebziger Jahren zum psychoanalytischen Symbolbegriff vorlegte. Lorenzer schaffte Aufmerksamkeit dafür, dass die Symbolisierungsfähigkeit des Menschen spezifische Sozialisationsschicksale erfährt und große qualitative Unterschiede aufweisen kann. Denn chronische Traumatisierungen und Konfliktlagen führen dazu, dass die symbolischen Interaktionsformen (nach heutiger Terminologie die Rigs), die die menschliche Psyche erst handlungsfähig machen, desymbolisiert werden. Die zerfallenden Symbole spalten sich dann in die psychokognitiven Teilbereiche von "Klischee" und "Zeichen" auf, um dort ein entweder unterstimuliert-depressives oder dissoziativ-hysterisches Eigenleben zu führen. Jedenfalls kann dieses eventuell auch postmodern zu nennende Floating von "Klischee" und "Zeichen" die lebenswichtige psychische Integrationsleistung und kognitive Gestaltbildung nicht mehr erbringen. In ähnlicher Weise beschreibt der in Deutschland erst seit einer guten Dekade rezipierte Bion (ferner Segal und Gaddini) die Entstehung der Symbolisierungsfähigkeit als Umwandlung von präpsychischen oder somatopsychischen Beta-Elementen, unter denen die "rohen Sinnesdaten der äußeren Welt" und die rein "körperlichen Sensationen" des kleinkindlichen Erlebens verstanden werden. Erst wenn aus ihnen Alpha-Elemente geworden sind, haben sie einen Status als vollgültige psychische Elemente erreicht, d. h. sie können gedacht, sprachlich-medial ausgedrückt, spezifisch gefühlt, erinnert und geträumt werden. Diese Umwandlung ist essentiell auf die gute primäre Versorgung durch eine empathisch-abgegrenzte Bezugsperson angewiesen, die die Containing-Funktionen des psychischen Haltens und Umfangens ausübt, indem sie die Affekte erträgt/enthält, sie im gemeinsamen Austausch moderiert und ihnen Zeichen und Gedanken - mithin Symbole - gibt. Und weil immer auch das Umfeld der Texte und Medien an diesen Halte- und Rahmenfunktionen beteiligt ist, hat bereits Winnicott in seinem Begriff des Haltens (und der Übergangsphänomene) eine Theorie der menschlichen Kreativität angelegt.

Jüngste neurobiologische Untersuchungen der Gehirn- und Gedächtnisforschung haben Lorenzers und Bions noch weitgehend hermeneutisch und spekulativ fundierte Modellvorstellungen über die menschliche Symbolisierung vollauf bestätigt und weiter differenziert. Gerade in der psychosomatischen und auch in der Säuglingsforschung dokumentiert sich darüber hinaus, wie das Floating von erlebnis- und inhaltsleeren "Klischees" sowie verbindungs- und formlosen Proto-Zeichen immer auch den Körper in Anspruch nimmt. Denn diese werden, wie Bions affektive Beta-Elemente, per "intrasomatischer projektiver Identifizierung" in den eigenen Körper ausgestoßen. Wenn dann das Selbst mit seinem Körper entweder konversionshysterische oder chronisch-psychosomatische Phänomene erzeugt, wird der Körper als Quasi-Symbol benutzt. Was ursprünglich eine mentale Erfahrung war oder hätte werden können, wird inhaltlich und affektiv fragmentiert und verkörperlicht. Der Leib ist dann paradoxerweise gleichzeitig Zeichenmaterial und Projektionsfläche. Es ergeben sich reine "Organsprachen", die freilich keine Sprachen im linguistischen Sinn sind, weil die ausagierte Erfahrung nicht eigentlich gemacht wird und deshalb weder als Symbol niedergelegt noch erinnert werden kann. Diese "Organsprachen" haben allerdings die essentielle Aufgabe, das gefürchtete Einbrechen eines psychotischen Chaos zu verhindern und die bestehende rudimentäre Zeichenordnung zu sichern. Bion spricht deshalb auch von "somato-psychotischen" Ausstoßungen. Die nachhaltige psychische Kopplung von Erfahrung und Zeichen, in der aus den vagen proto-narrativen Mustern stabile und vernetzungsfähige symbolische Interaktionsrepräsentanzen gebildet werden, vermag das Kind lediglich in der abgegrenzt-empathischen Containing-Beziehung mit den Erwachsenen zu erreichen

Die Prozesse der (De-)Symbolisierung, d.h. der Somatisierung vs. Symbolisierung von Erfahrung, sind also in erster Linie interaktiver Natur. Als rein kognitions-psychologische sind sie nur ungenügend begriffen. Sie vollziehen sich auf dem Wege der intersubjektiven Auseinandersetzung und sind unmittelbar durch die familiär-mikrosozialen und die gesellschaftlichen Kontextbedingungen geprägt - übrigens immer auch durch die Formen der Medieninteraktion, die das direkte lebensweltliche Dasein begleitet. Wie tief greifend dieser interaktive Faktor wirkt, macht die Forschung über die transgenerationale Weitergabe von traumatischen Desymbolisierungen deutlich. Denn körperliche Symptome kleiner Kinder weisen gestisch-gestalthafte Korrespondenzen mit elterlichen Fantasien und Spannungszuständen auf. Sie sind vermittelt, und zwar auf vorsymbolischen Wegen der Affektübertragung. Wenn ein Mädchen im Alter von zwei Jahren eine massive chronische Verstopfung entwickelt und sich zum Teil so verspannt, dass sie nur auf Zehenspitzen geht, und wenn sie ferner zunehmend passiv und sprachlos wird, kann es sich um die körperliche Inszenierung einer durch Beziehungs- und Arbeitsprobleme vielfältig bedrängten Situation der Eltern handeln. Das Kind, das diese Bedrängnis nicht verstehen kann - insbesondere deshalb, weil sie auch von den Eltern selbst partiell desymbolisiert und also nicht hinreichend verstanden/gefühlt werden kann -, wird selbst zum namenlosen Körperzeichen dieser Bedrängnis. In einem ähnlichen Fall erweist sich die chronische Verstopfung eines Kindes als Niederschlag einer elterlichen Beziehungskonstellation der Depression/Aggression, in der "sich beide Partner auf Distanz einfrieren und zugleich auf der Lauer liegen". Verstopfung meint hier körpersprachlich: "Innehalten, den Körper still halten, keine Beziehung lebendig und gefährlich werden lassen [...] nicht mehr spielen, nicht mehr denken, auch im intrapsychischen Leben nichts geschehen lassen". So authentisch die Körperinszenierung der Familienproblematik ist, beim betroffenen Kind findet keine Symbolisierung statt, und es entsteht keine Geschichte, die erinnert und erzählt werden könnte.

Die Proto-Zeichenhaftigkeit des Körperagierens und ihre interaktiven, beziehungsdynamischen Untergründe gelten für Essstörungen gleichermaßen. "Der Mensch ist, was er isst" - dies eines jener Bonmots, im Kontext derer Ludwig Feuerbach seinen Materialismus gegenüber Hegels Idealismus einläutete. Entwicklungspsychologisch neu verstanden meint die Sentenz: Der Mensch ist, d. h. er vermag Symbole zu bilden, in dem Maße, in dem die frühen Interaktionen des Essens und der Ernährung vor allem auch psychisch fruchtbare Erlebnisse waren. Denn bereits das Stillen, die Gabe der Muttermilch, ist stets begleitet von dem Augenkontakt und von allen Affekten und Ambivalenzen/Ambitendenzen, die einem Blick innewohnen können, und zwar vorher, während und danach. Und besonders im Vor- und Nachher, der faktischen Abwesenheit von Nahrung also, entsteht im "Augen-Blick" der Vorahnung und der Er-Innerung die innere Vorstellung - das Symbol - der erfüllenden Interaktion. "Die erste Psychisierung des Menschen geschieht entlang des Essens". Und diese über die bloße Körpererfahrung hinaus führende Psychisierung der Handlungsszene kann nur im Zuge des interaktiven Austauschs in einer haltenden Beziehung (containment) zwischen dem sich bildenden Kind-Subjekt und einem Betreuer-Subjekt erfolgen. Wenn ein Fünfjähriger (oder auch ein Erwachsener) sein Essen gierig verschlingt, um es noch am Tisch sitzend wieder zu erbrechen, kann die konkrete Nahrung gerade auch psychisch nicht gehalten werden; und zwar deshalb, weil die innerpsychischen Basissymbole des Selbst, der haltenden Primärpersonen und der Nahrung nicht hinreichend ausgebildet worden sind. Der haltende "Augen-Blick" zwischen Versorger und Kind, der zum tragfähigen psychischen Symbol hätte werden können, war nicht hinlänglich präsent, oder er war (durch unbewusste Wert/Selbstwert-Ambivalenzen) emotional vergiftet.

In der antiken Begriffsgeschichte ist ein Symbol das Zusammenwerfen (symballein) der beiden Hälften eines Rings oder Täfelchens, an dem die Gastfreunde, zwei in existenzieller Beziehung befindliche Personen, sich einander zu erkennen geben. In Handlung und "Augen-Blick" der geteilten Gegenwart zwischen Kind und Versorger werden die Bedeutungstäfelchen zusammengeworfen und Symbolfähigkeit entsteht. Dass jener Fünfjährige in seinem dritten Lebensjahr von seinen beiderseits alkoholkranken Eltern zur Adoption frei gegeben wurde, macht beziehungstraumatische Rahmenbedingungen erahnbar, unter denen der geteilte "Augen-Blick" der Symbolbildung erheblich beeinträchtigt gewesen sein muss. Die konstitutiven Symbol-Hälften können so nicht zueinander finden: Denn stets stehen den sym-bolischen Sprach- und Körperhandlungen zwischen Menschen die dia-bolischen gegenüber, die als destruktive Vektoren des Auseinanderwerfens (diabollein) fungieren. Sie dürfen keineswegs - in postmoderner Logik - als geglückte Loslösungen und Flottationen missverstanden werden, die, wenn sie erfolgreiche Abgrenzungen wären, tatsächlich das innere (Symbol-)Wachstum und die Beziehungsfähigkeit befördern würden. Denn diabolische Handlungsformen (dissoziatives und borderlines Abwehragieren; unaufgelöste projektive Identifizierungen, Körperagieren, konkretistisches Denken/Sprechen u. a. m.) führen - im Gegensatz zu den symbolischen - zur Erhöhung der desymbolisierenden Affektspannung und zum Auseinanderfallen von Zeichen, bezeichnetem Ding/Objekt und affektivem Objekt-Erleben. Wo Assoziation sein könnte, tritt Dissoziation in Kraft. Die Verknüpfung von Bions oder Lorenzers Symboltheorie mit der handlungstheoretischen Semiotik von Pierce ergibt die Konzeption eines prekären psycho-physischen "Übergangsbereichs" (sicherlich auch im Winnicottschen Sinn). Er konstituiert sich in der "semiotischen Triade (Interpretant - Objekt/Ding - Zeichen)" und insbesondere in der Differenz zwischen Objekt/Ding und Zeichen. Beides droht unter traumatischen Bedingungen zu zerbrechen. Dies entspricht Hanna Segals Beschreibung des konkretistischen Denkens, das keine psychischen und/oder subjektiven Realitäten zu denken vermag und das Symbol mit dem Symbolisierten gleichsetzt. Bereits Lorenzer stellt fest: "Die materialen Dinge sind immer auch 'mater' in präsymbolischer Art und Weise", und ihre Psychisierung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine immer neu zu erbringende kulturelle Leistung.

In der psycholinguistischen Unterscheidung zwischen symbolischen und diabolischen Subjekthandlungen ist auch die Möglichkeit einer grundlagentheoretischen kulturwissenschaftlichen Kategorienbildung enthalten. Im therapiewissenschaftlichen Feld wird die Dichotomie symbolisch-diabolisch als "Kriterium für die Symboltauglichkeit", also als Kriterium für die therapeutische Ausgangslage genommen, die einem spezifischen Phänomen des Körperagierens innewohnt. Das kulturwissenschaftliche Analogon dazu wäre die Ausgangslage und das Potenzial eines Textes für das sozialtherapeutische Durcharbeiten. Eine solche Kategorie hat jedenfalls durchaus kulturwissenschaftlichen Nutzwert. Denn dass eine psychobiografisch beeinträchtigte Symbolbildung wirksam ist, bedeutet keineswegs, dass deshalb gleichzeitig das Sprechen aufhörte; es wird eventuell sogar umso mehr und unaufhörlicher erzählt und geschrieben. Und auch im Hinblick auf spezifische Gegenstände wäre zu erwägen, wie der Frage nach den sozialtherapeutischen/ traumaverarbeitenden Potenzialen z. B. von Ernst Jüngers Kriegsbüchern oder auch einer Literatur wie der von Botho Strauß oder Martin Walser nachgegangen werden kann (dies speziell vor dem Hintergrund von "Anschwellender Bocksgesang" bzw. der Frankfurter Friedenspreis-Rede). Nicht grundsätzlich anders, aber mit direkterem Bezug stellt sich diese handlungstheoretische Frage bei Themen mit von vornherein evidenter Traumarelevanz, wie z. B. bei Shoah-Literatur und Shoah-Filmen. Für den psychotherapeutischen Bereich differenziert Böhme-Bloem drei Symbolisierungsstufen, (1) das Protosymbol, das keine Erinnerung und kognitiv-assoziative Verknüpfung leisten kann und im wiederholungshaften (Körper-)Agieren befangen bleibt, (2) das Übergangsphänomen, das erste Verbindungen von körperlicher Affektpräsenz und kreativem psychischen Zeichen-Spiel bildet und einen Formwandel erzeugen kann, und (3) das reife Symbol, das vielfältige intrapsychische Assoziationen und kommunikative Bezüge herstellt sowie manigfaltige ästhetische Ausdrucksformen hervorzubringen vermag. Das Körperagieren der oben genannten Kinder erzeugt Protosymbole, denn diese Kinder konnten zu Beginn der Therapie auch über Spielen und Malen zu keiner wie auch immer bildlich-metaphorischen Geschichte ihrer Körpererfahrung kommen und deshalb auch keine Linderung erlangen. Eine vergleichbare erwachsene Essstörungspatientin mit Borderline-Symptomen zeichnete zwar, aber es entstanden stets stereotype Schwarz-weiß-Flächen, die keine weiteren motivischen Verknüpfungen entfalten konnten. Wo erste noch halb konkretistische (Körper-)Motive auftauchen und benennbar werden, entstehen (linguistische/ narrative) Übergangsphänomene. Und erst im freien metaphorisch-assoziativen Austausch von Bildern und Gedanken werden voll entwickelte, vielfach verknüpfbare Symbole gebildet; erst sie vermögen es, individuelle und gesellschaftliche Leiderfahrungen zu verarbeiten und sie somit den Kreisläufen der Gewalterzeugung zu entziehen.

Eine analoge kulturwissenschaftliche Kategorienbildung entlang der Dimension von symbolischer vs. diabolischer Subjekthandlung (auch: assoziativ vs. dissoziativ bzw. integrativ vs. projektiv-identifikatorisch) würde also die Möglichkeit in Aussicht stellen, soziokulturelle Handlungsformen zu beschreiben, die dem sozial- und individual-therapeutischen Durcharbeiten von traumatischer Sozial-/Geschichtserfahrung zuträglich sind. Gleichzeitig ließen sich auch die gegenläufigen soziokulturelle Handlungsformen der Abwehr und Traumaaffirmation (Retraumatisierung) unterscheiden, die, wie z. B. die Mechanismen der Verdeckung, Spaltung, Dissoziation und Desymbolisierung, einem solchen Durcharbeiten entgegenstehen. Diese Kategorie steht auf der Basis eines psychoanalytisch versierten handlungstheoretischen Begriffs von ästhetischer Interaktion, die das Kunstwerk als Sprachhandlungsraum von Gegenübertragungs-Prozessen zwischen AutorInnen und Publika betrachtet; in methodischer Hinsicht wären hierbei auch Mittel der qualitativ-empirischen Rezeptionsforschung anzuwenden. Es eröffnet sich hier also eine Perspektive, in der für spezifische kulturelle Phänomene in theoretisch-methodisch fundierter Weise qualitative Unterscheidungen ihrer sym-bolischen und dia-bolischen Funktionsanteile vollzogen werden könnten. Die kulturellen Phänomene (der ästhetischen Interaktion) könnten im Einzelnen dahingehend betrachtet werden, inwiefern ihre Formen/Mechanismen den soziokulturellen Funktionen des traumatherapeutischen Durcharbeitens mehr oder weniger zuträglich sind. Dabei wären diese Formen/Mechanismen deskriptiv zu beschreiben, handlungsgenetisch zu rekonstruieren und in ihrem handlungsdynamischen Wirkungspotenzial für das psychosoziale Feld einzuschätzen. Es ist hier im Grunde um eine handlungstheoretische Unterscheidung zu tun, die bisher häufig in missverständlicher Weise als normativ-kunstkritisches Urteil etwa über "triviale" oder "politisch unverantwortliche" (oder auch "postmoderne") Literatur/Kunst zu erledigen versucht wurde.

Zur kulturwissenschaftlichen Dimension von Handlungen des Körperagierens

Während sich diese methodisch-theoretische Dimension einer handlungstheoretischen Kulturwissenschaft direkt aus dem interdisziplinären Austausch mit den neueren Entwicklungen der psychosozialen Wissenschaften erschließt, fällt sie in eine Zeit, die für die angestammten Geisteswissenschaften durch Momente von Verunsicherung und Unübersichtlichkeit gekennzeichnet ist. Eine Vielfalt von z. T. gegenstrebigen Strömungen ist präsent, die, wie der seit geraumer Zeit im Rückgang bzw. in Stagnation befindliche Poststrukturalismus/Postmodernismus und dessen Gegenströmung, die so genannte Rephilologisierung der Einzelfächer, keine auch nur ansatzweise konsensuellen Grundüberzeugungen zuzulassen scheint. Dadurch hat sich die in der langen Tradition der autonomieästhetischen Kunstauffassung fest verankerte Enthaltsamkeit gegenüber handlungstheoretischen Überlegungen zu den gesellschaftlichen/ interaktiven Funktionen von literarischen Texten eventuell noch verstärkt. Auf der Ebene der institutionellen Eigendynamik der Geisteswissenschaften kann diese handlungstheoretische Enthaltsamkeit als (psychotraumatologische) Reaktion begriffen werden, die auf Phasen der unsachgemäßen Politisierung der Geisteswissenschaften folgte bzw. durch sie bestärkt wurde. Sie betraf insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus, aber in verschiedener Weise auch die linksliberalen Siebzigerjahre, was in der Konsequenz jeweils zu einem Abrücken vom Blick auf die gesellschaftlichen und psychosozialen Dimension von kultureller Interaktion führte, so dass theoretische Schwerpunkte der Textimmanenz bzw. der Systemtheorie dominierten. Umso mehr würde der Zugriff auf die neueren Konzeptionen der psychosozialen und auch der neurophysiologischen Wissenschaften, die ihrerseits ja bereits Theorien der (De-)Symbolisierung bzw. der semiotischen Pro-/Regression entwickeln, dazu beitragen können, inner-disziplinären Blockierungen und Antagonismen aufzulösen.

Wie sehr die Kulturwissenschaften aufgerufen sind, sich in dieser Richtung zu investieren, mag auch daran abgelesen werden, dass bereits die Therapeuten und Fachärzte für Psychosomatik selbst literaturwissenschaftliche Aufsätze verfassen. So stellt Mathias Hirsch seinem Inzest-Buch das Lied von Goethes Mignon über das "Land, wo die Citronen blühn" als Motto voran ("Was hat man dir, du armes Kind, getan? / [...] Es stürzt der Fels und über ihn die Flut / [...] Dahin! Dahin / Geht unser Weg! o Vater laßt uns ziehn!"). Wenn Hirsch ferner über Goldschmidts autobiografische Erzählungen schreibt, wird auch deutlich, wie sehr sich von einer interdisziplinären Zusammenarbeit profitieren ließe. Denn der Texte wird rein inhaltlich als Kompendium von psychotraumatologischen Abwehr-Symptomatiken aufgefasst. Dies ist durchaus legitim und ergiebig; denn der zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung in einem französischen Internat vielfach systematisch misshandelte Jugendliche Goldschmidt gibt umfassend und explizit Auskunft über die Erfahrungen von Affekt- und Körper-Dissoziation, Depersonalisation, Selbstbeschädigung, Körpergrenzen-Agieren, masochistische Reaktionen u.a.m. Jedoch: Ergänzend zu den inhaltlichen Aspekten wären auch die rezeptionsdynamischen Aspekte der Text-Leser-Übertragung zu erarbeiten, die als Folge der traumatischen Erlebnisse entstehen und die literarische Interaktion des Traumatisierten prägen.

Claudia Benthins kultur- und literaturwissenschaftliche Arbeit über die Haut ist sprach- und motivgeschichtlich sowie diskurstheoretisch ausgerichtet. Die psychoanalytische Grundlegung bezieht Benthin im Wesentlichen von dem französischen Psychosomatiker Didier Anzieu ("Das Haut-Ich", 1991). Sprachgeschichtlicher Ausgangspunkt sind die über zehn Spalten der Redewendungen mit Hautmetaphorik, die das Grimmsche Wörterbuch verzeichnet. Sie lassen sich Anzieus System der Hautfunktionen (z. B. die der psychischen Umhüllung/Umfassung bzw. der psychischen Individualisation) zuordnen. Medizinhistorisch lässt sich im neunzehnten Jahrhundert ein Paradigmenwechsel beobachten. Die Haut wurde zunächst als porös und durchlässig wahrgenommen, und so wendeten Ärzte Praktiken des Öffnens und Herausleitens von Krankheit an; später ging man zunehmend dazu über, in den geschlossenen Körper Medikamente einzuführen. In kulturgeschichtlicher Perspektive zeigt sich im Vergleich von Mythen der Enthäutung (Marsayas) eine Dialektik von Machteinschreibung und Selbstbefreiung. Ergänzend von Medizinerseite ist hier auf den Beitrag zur Psychologie von Tattoo und Piercing hinzuweisen, den die Psychosomatikerin Aglaja Stirns vorgelegt hat. Benthins literaturwissenschaftliche Lektüre einer Semantik der Haut führt durch eine Reihe von Texten. Sie reichen von amerikanischen AutorInnen der Jetztzeit (Toni Morrison, Ralph Ellison) und deren Umdeutungen von traditionellen Zuschreibungen der Hautsemantik des Errötens, Erbleichens etc. über Balzacs und Kleists Missverständnisse der Haut-Kommunikation bis hin zur "Hautselbstwahrnehmung" von Musils Törless. Ein theoretisch-hermeneutisch gewagteres - um nicht zu sagen riskantes - Kapitel konzipiert eine "Teletaktilität", in der räumlich entfernte Körper im Cybersex jenseits des "Visualprimats" miteinander verschmelzen und "primärnarzisstische" Regressionen erleben.

Auch für die in poststrukturalistischer Philosophie verankerten AutorInnen lässt sich eine gewisse Konjunktur von Körperbegriffen verzeichnen. Unter dem Stichwort: Kollektivkörper - "Massen, Meuten, Gruppen oder Paare" - wird in begrüßenswerter Ambition ein Brückenschlag zwischen dem physiologischen und sozialen Aspekt in Aussicht gestellt, jedoch - es sei vorweggenommen - nicht einmal ansatzweise geleistet (Sasse/Wenner). Durchweg sympathisch ist die Idee, an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz in einer "interdisziplinären Konferenz" die "theoretische und künstlerische Arbeit und Aufführung" zu verbinden, also Tanz und Performance mit theoretischen Erörterungen und Reflexionen über die Lage der zeitgenössischen Dinge zu begleiten. Gegenstand der soziokulturellen Betrachtungen waren verschiedenste überaus interessante Themen: Die kollektiven Jubelszenarien der frühen sowjetischen Gesellschaft sind, während sie ein Bild der kollektiven Freude inszenierten, im Grunde als Ausdruck "einer extremen Erscheinungsform der Angst" begreiflich und entsprechen zudem den privaten Halluzinationen der postsowjetischen Drogenliteratur. Feldforschung über die magischen und Schamanismus-artigen Praktiken im südlichen Italien rekonstruieren einen vormodernen, spiritistischen Kollektivkörper. Die Untersuchung der Werke zweier brasilianischer Künstler formuliert den Begriff der "Ankörperung", in der durch Inkorporation ein neuer Raum der "transnationalen Gemeinschaft" entsteht. In der teilnehmenden Beobachtung an der multikulturellen Musikszene westlicher Gesellschaften erschließt sich die zunehmend große Schnittmenge zwischen Pop- und Sportkultur, die mit einem artifiziellen Glauben an die Güte der "schwarzen Kultur" von jamaikanischer und afroamerikanischer Provenienz konvergiert. Diese wird in Deutschland schon wegen der Sprachbarriere eher kollektiv-körperlich rezipiert.

Ein weiterer Beitrag, der über das "erlösende Potenzial kollektiver Gewalt" handelt, bespricht David Finchers "Fight Club", Francis Coppolas "Apokalypse Now" und Sylvia Plath: Körperliche Gewalt an sich selbst wird als Subversion erwogen und in revolutionstheoretische Begriffe des Exzesses überführt. Im gleichen begrifflichen Rahmen ist ein anderer Beitrag dem Künstlerkollektiv der Neuen Slowenischen Kunst gewidmet und der Frage, wie die Traumata der "ästhetischen Affizierung durch totalitäre Ideologien" psychisch und vor allem auch körperlich nachvollziehbar gemacht werden können. Des Weiteren sind Thema: Theaterwissenschaftliche Untersuchungen zum körperlichen Einbezug von Publika; filmwissenschaftliche Überlegungen zur Star-Trek-Serie und deren Bild von der Staatengemeinschaft und den Feinden, den zum Kollektivkörper vernetzten Cyborgs; das Bild des kulturellen Körpers in Walter Benjamins Passagen-Werk; die gelebten und geschriebenen Liebesdreiecke des Vladimir Majakovskij.

Jedoch: Das nicht enden wollende Leid mit den poststruktural Inspirierten! Nicht nur, dass nichts, aber auch gar nichts von der sozialpsychologischen und soziopsychosomatischen Literatur über Körperphänomene zitiert wird, oder von der sozialwissenschaftlichen und insbesondere der gruppenanalytischen Literatur, die für Phänomene des Kollektiven und der "Massen und Meuten" doch heranzuziehen wäre. In vollkommener Selbstbezüglichkeit verweist man, wie gehabt, auf Lacan, Derrida, Foucault, Merleau-Ponty, Deleuze/Guattari u. ä. Und von der jeweiligen Spezialliteratur wird auch vor allem das herangezogen, was ebenfalls Lacan, Derrida... zitiert. (Freilich: Die konventionellen Philologien verfahren in der Struktur ganz ähnlich.) Darüber hinaus agieren die als akademische Avantgarde anmutenden Post-Philologien in theoretischer Hinsicht nach wie vor diffus, entschieden idiosynkratisch und redundant. Und so ist die "Spezifik des Kollektivkörpers [...] vor allem [die] Korrelation von Ordnung und Transgression [...] das Ineinander von gemeinschaftlich imaginärer und symbolischer Figurierung und körperlicher Teilhabe im Konflikt von Abgrenzung, Verbindung, Regulierung oder Exotopie". Und eine Literaturanalyse schließt mit dem inzwischen hinreichend bekannten Befund, dass die Figuren gelenkt sind von "der Bewegung [...] zwischen dem Realen, dem Imaginären und dem Symbolischen" und dass dies "die Aufrechterhaltung des Begehrens möglich" macht.

Am fruchtbarsten sind die Arbeiten dann dort, wo sie weitgehend theoriefrei verfahren, den Gegenstand genau beschreiben oder eine historische Entwicklung nachvollziehen, wie z. B. angesichts der Vorstellungen vom "Kollektivkörper und seinen Säften" seit dem Mittelalter (Blut und Leib Christi, elementare Fluida, galvanische Ströme, Geldkreisläufe, Internet-Verknüpfungen). Neben den traditionellen - inzwischen sich "rephilologisierenden" - Geisteswissenschaften tragen leider gerade auch die Post-Theorien im Ganzen dazu bei, tatsächliche Interdisziplinarität zu verhindern, sei es durch die Schein-Interdisziplinarität ihrer vollkommen autoreferenziell in sich selbst ruhenden Theoriegebäude und Zitiergewohnheiten, sei es durch den diffusen Unmut, den sie in der größeren geisteswissenschaftlichen Gemeinde hinterlassen und der sich dann grosso modo gegen alles Fremddisziplinäre richtet. Dabei wäre der Austausch gerade mit den psychosozialen (und auch mit den medizinisch-neurowissenschaftlichen) Fakultäten in den vorliegenden Fragen so hilfreich. Denn wie sonst will man eigentlich die Körperphänomene oder die anderen psychosozialen Phänomene in Kunst und Literatur verstehen, wenn man nicht die einschlägigen Spezialwissenschaften zur Hilfe nimmt?

Die Formen der körperagierenden Selbstzerstörung als entgleiste "Selbstfürsorge" unter extremen biografischen Bedingungen begreiflich zu machen und dabei sowohl psychiatrische wie kulturgeschichtliche Aspekte mit einzubeziehen und die Funktion der Kunst anzusprechen, ist der Impetus des Bandes von Joachim Küchenhoff. Dass die Reflexe der Selbstdestruktion - von den verschiedenen Typen des Suizids bis hin zu den leisen psychosomatischen Reaktionen (die von der Senkung der Körperabwehrstoffe zur Entstehung von Krebszellen reichen können) - nichts mit einem 'Todestrieb' zu tun haben, sondern dem unerträglichen Schmerz über das verhinderte Leben entspringen, stellt Raymond Battegay dar. Lebensaufgabe des Einzelnen in seiner Sorge um sich ist es, "sein eigenes Erleben nicht spalten zu müssen", so dass die positiven und negativen Aspekte einen gemeinsamen Zusammenhang herstellen können. Nur so kann ein assoziations-integriertes Gefühl des Leib-Seins entstehen, und der eigene Körper muss nicht zum dissoziierten Objekt werden und Wiederholungsszenen der Gewalt und Vernachlässigung ausagieren. Die Lebensaufgabe von gesundheitsorientierten Gesellschaften wäre es dementsprechend, die notwendigen Bedingungen dieses psycho-physischen Leib-Seins zu schaffen. Und hier kommt - Battegay unterstreicht dies - der gruppendynamische/kollektive Aspekt ins Spiel, wie auch der kulturgeschichtliche. Fragen der Kriminalisierung von Gesten der Selbstzerstörung bzw. der Suchterkrankung/"Trunkenheit" im Übergang von Mittelalter und Neuzeit erbringen Indizien für die Einschätzung der psychosozialen Gesamtsituation von Gesellschaften vis-à-vis des ihnen eigenen Ausdrucks von Leiden. Antike Sichtweisen der Berechtigung bzw. Verwerflichkeit des Selbstmords bilden demgegenüber einen tieferen historischen Hintergrund. Vor ihm entfalten sich zeitgenössische Konzepte der Selbstsorge in den Bereichen der Pädagogik, Philosophie und Ethik.

Hartmut Raguse liest Karl Philipp Moritz' "Anton Reiser" als Darstellung und literarische Bewältigung von Suizidalität - insbesondere der auf Frühstörungen zurückgehenden fusionellen/antifusionellen Suizidalität. Sie tendiert zur "reinigenden" Verschmelzung mit ozeanischen Sphären und zum Selbstmord durch Sturz/Flug und Ertrinken. In den konnotativen Semantiken des freiheitssuchenden Fliegens und des nährenden Trinkens ist der Aspekt der Selbstfürsorge hinter seiner suizidalen Verstellung noch erkennbar. Die subtile Lebensflucht und Todessucht der religösen Milieus des Quietismus/Pietismus (der Schriften Madame Guyons), die den Protagonisten umgeben, stellt eine maßgebliche Kontextgröße dar. Biografisch sieht Raguse im kontinuierlichen Austausch Moritz' mit Goethe einen wesentlichen Faktor der Lebensstabilisierung. Der Prozess des literarischen Schaffens wird nicht weiter erörtert. Karl Pestalozzi behandelt die Thematik der "Entsagung" in Goethes "Wilhelm Meisters Wanderjahre", die den Untertitel "Die Entsagenden" tragen. Goethes Schriften entwickeln einen dezidiert anti-klerikalen Begriff der Entsagung als "Verzicht auf alles die eigene Naturanlage Behindernde und [als] Beschränkung auf das ihr und ihrem Wachstum Gemäße". Einbrüche des Reizschutzes durch Affekt-Überflutung und Manie, wie sie im "Werther" und "Tasso" zur Darstellung kommen, können so erfolgreich vermieden werden. Die Umsetzung dieses Prinzips der positiven Entsagung in den "Wanderjahren", die Nichterfüllung in Wilhelms rein brieflicher Bindung an Natalie, das restriktive Prospekt der amerikanischen Gesellschaft, die dämonischen Züge des Eros in der Binnennovelle "Der Mann von fünfzig Jahren", all das wirft Fragen der psychischen/narrativen Abwehr auf, die Pestalozzi andeutet, aber nicht weiter ergründet. Auch die mutmaßlich "heilende Funktion" der Kunst wird nicht genauer diskutiert.

Zu Desideraten einer interdisziplinären sprachhandlungstheoretischen Kulturwissenschaft am Beispiel Ernst Jüngers

Eine Dimension der kulturwissenschaftlichen Erörterung, die - gerade für den engeren Phänomenkreis von (Körper-)Destruktionsdynamiken - noch keine hinreichende Aufmerksamkeit erhalten hat, betrifft die Form von literarischen Texten/Filmen und das in ihr enthaltene psychodynamische Interaktionspotenzial. Wenn man davon ausgeht, dass Literatur und Kunst es vermag, psychotraumatische Erlebnisse in der Autor-Text-Leser-Beziehung interaktiv durchzuarbeiten und somit besser zu integrieren und dem Kreislauf des Wiederholungsagierens zu entziehen - und zwar in individueller wie in gesellschaftlicher Hinsicht gleichermaßen, dann wäre zu beschreiben, auf welche Weisen dies geschieht. Darüber hinaus müsste damit gerechnet werden, dass dieses literarische/ästhetische Durcharbeiten von Traumata im Einzelfall mehr oder weniger gut gelingt. Mehr noch: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Versuche der kreativen Traumabearbeitung - aus verschiedenerlei Gründen - scheitern oder sogar retraumatisierende Wirkungen entfachen; und dies hat auf gesellschaftlicher Ebene eine Affirmation von psychotraumatischen Handlungsstrukturen zur Folge. Denn wie psychotherapeutische Interaktion scheitern kann, wenn sie nicht sachgerecht gehandhabt wird bzw. ungünstige Übertragungskonstellationen bestehen, so kann auch literarische Interaktion hinter ihren (traumatherapeutischen) Möglichkeiten zurückbleiben und zur Affirmation des traumatischen Status quo beitragen. Um hier lediglich in kurzer Erwähnung prägnante historische Beispiele zu nennen: Wenn zum hundertsten Todestage Friedrich Hölderlins der Gedenkkranz Hitlers zuoberst am Grab des Dichters prangte und der Reichspropagandaminister und Germanist Dr. Josef Goebbels die Schirmherrschaft übernahm, wenn ferner die von Friedrich Beißner zusammengestellte Feldauswahl von Texten Hölderlins gerade in den Kriegsjahren massenhaft gelesen wird, besteht Anlass zur Frage, ob literarische Interaktion hinter ihren (traumatherapeutischen) Möglichkeiten zurückgeblieben ist, denn es liegen Handlungskontexte des Gewaltagierens von immensem Ausmaß vor. Auch wo, um ein weiteres Beispiel zu nennen, Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" (1920) als Ausbildungs-Bibel für das Rekruten-Training gelesen wurde, müssen ähnliche Erwägungen angestellt werden, zumal der Text destruktives Körperagieren und Selbstbeschädigung direkt und ausführlich, zumal idealisierend, thematisiert.

Von der therapiewissenschaftlichen Literatur her gesehen, lautete dieser Gedanke folgendermaßen: Wenn man, wie oben, mit Sachsse davon ausgehen kann, dass Patienten mit offener Selbstbeschädigung ihre Umweltinteraktion vorzüglich mittels der Mechanismen der "projektiven Identifikation" regulieren, dann steht dem drastischen und recht offensichtlichen Körperagieren eine überaus filigrane, intelligente und vielfach verdeckte Form der zwischenmenschlichen und sozialen Interaktion zur Seite, die nichtsdestoweniger hohe Destruktivitätslatenzen birgt. Dieser Interaktionsmodus wird sich ohne Zweifel auch komplexeren - und eben auch ästhetischen - Diskursforen zu bedienen wissen und die ästhetischen Handlungsfelder in den auktorialen Haushalt der psychischen/narrativen Abwehrmechanismen mit einbeziehen. Jenseits der inhaltsanalytischen und motivgeschichtlichen Betrachtung von Literatur wäre also in funktionaler Dimension nach den integrativen, traumatherapeutischen bzw. nach den dissoziativen, abwehr-affirmativen Wirkungspotenzialen von literarischen Texten/Interaktionen zu fragen (womit die psycholinguistische Frage nach den sym-bolischen versus dia-bolischen Interaktionsfiguren literaturwissenschaftlich aufgenommen wäre): Welche psychoaffektiven Übertragungen richtet ein Text - vorzüglich mittels seiner Form - auf seine LeserInnen? Und wo das psychische Funktionsniveau der "projektiven Identifikation" und borderlinen Spaltung dominiert, ist diese Frage umso dringlicher, denn dort können die Übertragungen affektiv hoch brisante Modi der Gruppendynamik und des gesellschaftlichen Handelns ins Werk setzen.

Um beim Beispiel von Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" zu bleiben: Es ist hier um einen autobiografischen, unentwirrbar zwischen Dokumentation und Imagination changierenden Erzähler zu tun, der in den Schlusspassagen des Textes im Lazarett liegt und die im Feld erhaltenen Körpertreffer addiert. Mit unverhaltenem Stolz (und Freude an der runden Zahl) zählt er "mit Ein- und Ausschüssen" die Zahl von "zwanzig Narben", bevor er wenige Zeilen später die Verleihung des Pour le mérite, des höchsten Kriegsordens, berichtet, den bekanntlich nie zuvor ein jüngerer Soldat als Ernst Jünger je erworben hatte. Auch darüber hinaus enthält der Text unzählige Motive des (auto-)destruktiven Körperagierens durch blutiges Durchtrennen oder Brennen der Haut. Hitzige Verschmelzungsfantasien von Selbst und Anderem an der Hautgrenze des Ichs durchziehen die Erzählung: Die Kameraden waren zu einem "großen, begeisterten Körper zusammengeschmolzen", oder "im Laufe von vier Jahren [hat] das Feuer ein immer reineres, immer kühneres Kriegertum" herausgeschmolzen; das soldatische Ich will mit dem "heißen brüllenden Atem" der "Wand aus Feuer und Stahl" verschmelzen. Und insofern der Protagonist hier "zur Einheit von Werkzeug und Arm" verschmelzen will, ist eine Detailsicht der Grenzauflösung der Haut gegeben, die zwischen dem eigenen Körper, nämlich dem "Arm", dem körper-fremden "Werkzeug" und dem szenischen Wirkungsfeld eröffnet. Nicht erwähnt ist hier die Hand, deren Nennung die Abgrenzung zwischen dem eigenen Körperselbst und dem Außen am präzisesten gezogen hätte; denn genau dies ist dem Befinden innerhalb der borderlinen Persönlichkeitsorganisation beinahe unmöglich. Und wenn dann die "Wand" ausdrücklich als ein aus "glühenden Atomen zusammengeballtes" Wesen wahrgenommen wird, erhalten selbst die einzelnen Atome ihre je eigene Haut, an der sie sich in wechselseitig erhitzender Selbstvergewisserung reiben.

Es ist also Ausdruck einer Wahrnehmungs- und Handlungsdynamik des Körperagierens, dass Körpermotive der Haut wie auch visuelle Phänomene der Rand-Setzung auf der Inhaltsebene der frühen Jüngerschen Texte eine so große Rolle spielen. Dabei symbolisiert die Haut die psychische Begrenzung des Selbst, und der Rand profiliert erst die Gestalt des Objekts. Eine Ikonografie der energischen raumstrukturellen Kreisbildungen und der Bildelemente von Wand, Rand und (Selbst-)Grenze sind Ausdruck der hohen affektiven Besetzung dieses Körperagierens. "Die Trichter" haben einen "engen Horizont"; er reicht so weit wie der Radius des eigenen "Handgranatenwurfs". Der Kämpfer "zeugt an den feurigen Rändern jenseits der Grenzen", und sein Gesicht erscheint "unter dem blinkenden Helmrand". Die Grenze des Selbst wird als "feurige Ränder" hypersensitiv besetzt, um damit dem drohenden Zusammenbruch der psychischen Selbstgrenze entgegen zu wirken.

Zu größter bildlicher Intensität verdichten sich diese Verschmelzungsfantasmata in der hoch ambivalenten "Danteschen Vision", die sich dem Erzähler nach dem Einschlag einer feindlichen Granate darstellt. Sie bietet den Anblick eines "Gewühls von Leibern", die sich wie "Amphibien" in der "rötlichen Glut" des Granaten-Trichters "vielfältig und schwerfällig wälzen"; und beim Erzähler gerät die Semantik des Horrors und der Faszination in Verwirrung. Denn wo die basalen Selbstgrenzen der Körperhaut labil sind, werden auch die sprachlichen und semantischen Differenzen brüchig. Entsprechend hat auch das Motiv des Streifschusses für die körperagierende (narrative) Disposition zur Hautverletzung eine hohe Attraktivität. Denn der Streifschusses fährt als willkommenes Projektil an der Haut entlang und zieht deutlich spürbar und sichtbar die Grenze des Körpers nach, auf dass die brüchige Grenze des psychischen Selbst sich schließen möge. Die psychosozialen Kosten und Risiken sind hoch. Denn das borderline Empfinden, wie auch das borderline Erzählen, hat Zustände der prä-psychotischen Fragmentierung und namenlosen Angst sowie unkontrollierbare Aggressionsschübe zu gewärtigen. Jüngers Streifschuss war zudem "gerade unter dem Eisernen Kreuz quer über dem Herzen durch die Brust gefahren".

Je weniger metaphorisch und je mehr konkretistisch der wahrnehmungspsychologische Status ist, den die Bilder/Wahrnehmungen des Körperagierens inne haben, desto weiter ist der Symbolisierungsgrad des narrativen Erlebensausdrucks in Jüngers Texten abgesunken. Dies konnte weiter oben den Symboltheorien der Psychotherapiewissenschaften entnommen werden. Denn psychische Prozesse der (De-)Symbolisierung bzw. der (Re-)Somatisierung von erlebter Erfahrung können dazu führen, dass die (auch literarische) Interaktion eines erzählenden Subjekts, trotz weitläufiger narrativer Produktion, auf die Ebene der Proto-Zeichenhaftigkeit zurückfällt. Im Handlungsbereich des Körperagierens und der ihm entsprechenden filigranen Interaktionsmechanismen der "projektiven Identifikation" ist dies als typischer symptomatologischer Verlaufsweg nachgewiesen. Für Jüngers Texte, die vielfach über Formen des Körperagierens im Krieg handeln, ergibt sich daraus die konkrete Aufgabestellung, den ihnen inhärenten Symbolisierungsgrad des narrativen Erlebensausdrucks einzuschätzen. Und dies würde - jenseits der inhaltsanalytischen Bestandsaufnahmen von Themen und Motiven des Körperagierens - eine genaue Analyse von Phänomenen der Textform notwendig machen, von der im Wesentlichen die Affektübertragungen auf den Leser ausgehen.

Die grundsätzliche kulturwissenschaftliche Frage an Texte und Sprachhandlungs-Phänomene des destruktiven Körperagierens wäre also: Inwiefern vermag es die narrative Äußerung, eine in ihr enthaltene psychotraumatische Erfahrung in der medialen Übertragungsbeziehung mit den Lesern therapeutisch durchzuarbeiten? Inwiefern vermag die Narration, die traumaerzeugende Erfahrung individuell-psychisch und gesellschaftlich-diskursiv zu integrieren und damit immer auch: zu entschärfen? Oder wird sie ausagiert und geht die Wege der wiederholungszwanghaften Retraumatisierung bzw. der Traumasucht? Dadurch freilich würden die psychotraumatischen Handlungsstrukturen des sozialen Umfeldes, auf das der Text bezogen ist, affirmiert. Für Jünger hieße die Frage: Inwiefern vermögen es seine Text, die Weltkriegserfahrung, aber vor allem auch die davor liegenden, ungenannten Erfahrungen des persönlich-biografischen Bereichs in einer Weise zu erzählen und erinnerbar zu machen, die eine durcharbeitende psychische (und psychosoziale) Integration des traumatischen Erlebens ermöglicht? Dass bei Jüngers "In Stahlgewittern" viele Indizien für eine Dominanz des affirmativen Ausagierens sprechen, dass also im Wechselspiel von "symbolischen" und "diabolischen" Interaktionsfaktoren (nach Böhme-Bloem) letztere die Überhand gewonnen haben, kann hier lediglich vermutet werden. Und historische Indizien wie die Tatsache, dass "In Stahlgewittern" als Ausbildungsschrift für Kämpfer/Landser in der Zwischenkriegszeit genutzt wurden, sind dahingehend keine hinreichenden Belege. Vielmehr wäre jenseits spezifischer Verwertungszusammenhänge in genauer analytischer Arbeit aufzuweisen, inwiefern die Übertragungsstruktur der Texte projektiv-identifikatorische Übertragungen von abgespaltener Aggression auf den Leser begünstigt. Es gilt, den Modus einer "borderlinen literarischen Interaktion" zu beschreiben.

Einen weiteren Hinweis auf eine affirmative Übertragungswirkung stellt auch die überraschend hohe zeitgenössische Anziehungskraft dar, die Jüngers "In Stahlgewittern" in diesen Tagen des Pathologie-Trends der Selbstverletzung auszuüben vermögen. Denn nicht nur lassen sich kulturgeschichtliche Parallelen ziehen, etwa die des Narben-Stolzes und der Verwundungseuphorie, die heutige PatientInnen mit borderlinem Selbstverletzungsverhalten (übrigens in der Mehrzahl Frauen) mit Ernst Jüngers Ich-Erzähler teilen. Darüber hinaus wird seit kürzerer Zeit von zunächst ganz unerwarteter Seite wieder ausdrücklich auf Jünger Bezug genommen. So hat die internationale Jugendmusik-Kultur des Techno in ihren maschinengewehrartigen Rhythmen-Salven den Ernst Jünger der Kriegstagebücher zum "ersten deutschen Raver" gekürt. Des Weiteren ist festzustellen, dass die extreme politische Rechte in Deutschland und Österreich - dort im Wesentlichen Jörg Haiders FPÖ - in den letzten Jahren erfolgreich damit begann, die Techno-Szene anzuschließen und den Techno für Zwecke der Eigendarstellung zu nutzen. Selbst die äußersten Formen des psychosozialen Agierens, die (Selbst-)Destruktivität von Selbstmordattentätern, gehen letztlich auf eine "kommunikative Strategie" zurück. Es handelt sich - hier wie dort - um symbolisches Handeln, das einer interaktiven, wenngleich in diesem Fall überaus dissoziativen und borderlinen Struktur folgt (und immer auch mythologische und ästhetische Komponenten beinhaltet). Körperagieren hängt immer auch mit symbolischem und politischem Handeln zusammen und bedarf umso mehr der sorgsamen interdisziplinären Analyse durch die Kultur- und Gesellschaftswissenschaften.

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Mathias Hirsch (Hg.): Der eigene Körper als Objekt.
Psychosozial-Verlag, Giessen 1998.
310 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3932133331

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Claudia Benthien: Haut. Literaturgeschichte - Körperbilder - Grenzdiskurse.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
320 Seiten, 13,50 EUR.
ISBN-10: 349955626X

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Mathias Hirsch: Realer Inzest. Psychodynamik des sexuellen Missbrauchs in der Familie.
Psychosozial-Verlag, Giessen 1999.
275 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3932133846

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Joachim Küchenhoff (Hg.): Selbstzerstörung und Selbstfürsorge.
Psychosozial-Verlag, Giessen 1999.
321 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3932133870

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Peter Geissler (Hg.): Psychoanalyse und Körper.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2001.
247 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-10: 3898060632

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Peter Geissler (Hg.): Über den Körper zur Sexualität finden.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2001.
329 Seiten, 25,90 EUR.
ISBN-10: 3898060640

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Mathias Hirsch (Hg.): Der eigene Körper als Symbol? Der Körper in der Psychoanalyse von heute.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2002.
281 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-10: 3898061388

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Sylvia Sasse / Stefanie Werner (Hg.): Kollektivkörper. Kunst und Politik von Verbindungen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2002.
320 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3899421094

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Hans-Jürgen Wirth: Narzissmus und Macht. Zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2002.
439 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3898060446

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Peter Geissler (Hg.): Psychoanalyse und Körper. Heft Nr.1. 1. Jahrgang 2002.
Psychosozial-Verlag, Giessen 2002.
140 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3898061639

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