Kein weibliches Verlangen nach dem männlichen Blick

Ein Sammelband zur Visualisierung des Körpers in Science und Fiction

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "wissenschaftlich fundierte[n]" Romane, Erzählungen und Kurzgeschichten der neuen Reihe "Goldmanns Zukunftsromane" zeigten "technisch-physikalische Entwicklungen" auf, denen die Lebensweise des Menschen künftig unterworfen sein werde, warb der Verlag. Das ist an die fünfzig Jahre her. Schwerlich dürften sich mit einer solchen Werbestrategie heute noch große Verkaufszahlen erzielen lassen. Ganz abgesehen davon, dass sich das Verhältnis der meisten dort vertretenen Autoren zur Wissenschaft (Frauen hatten nach Auffassung der Verleger seinerzeit in diesem Genre offenbar nichts verloren) auch von Nichtwissenschaftlern schnell und leicht als prekär erkennen ließ.

Dem gegenwärtigen Verhältnis zwischen - wie es heute heißt - Science und Fiction wendet sich der von Marie-Louise Angerer, Kathrin Peters und Zoë Sofoulis herausgegebene Sammelband "Future Bodies" zu. Allerdings geht es hier weniger um phantastische oder wissenschaftlich fundierte Literarisierungen möglicher Zukünfte, sondern um die "Visualisierung von Körpern in Science und Fiction". Das gemeinsame Anliegen der AutorInnen besteht darin, die derzeit kursierenden Bilder des (menschlichen) Körpers in eine "historische und kulturelle Perspektive" zu setzen. Zielvorgabe ist es, die Dichotomien Natur/Kultur und Organismus/Technik "an[zu]kratzen".

In den einleitenden Bemerkungen legt Kathrin Peters dar, die "Auflösung der genealogischen Familie" weise zusammen mit dem "öffentliche[n] Sichtbarwerden sexueller Subkulturen" und der "Entkoppelung" von sexueller Identität und sexuellem Verhalten darauf hin, dass das von Foucault in "Der Wille zum Wissen" entfaltete Sexualitätsdispositiv brüchig geworden sei. Für feministische Wissenschaft und die Gender Studies ziehe das nicht zu unterschätzende Konsequenzen nach sich. Bilde das Sexualitätsdispositiv doch ebenso sehr den "Fluchtpunkt ihrer Kritik" wie auch die "Basis ihrer Begriffe".

In den vier Abschnitten des Hauptteils, "Funktionen der Wissenschaft", "Sichtbarkeit der Informationen", "Figurationen der Kunst" und "Vergangene Körper der Zukunft", sind Beiträge von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen versammelt. Die Kunsthistorikerin Ilka Becker kritisiert in einem Aufsatz zur zeitgenössischen Photographie Mary Ann Doanes filmtheoretische These, der zufolge der "männliche Blick" stets von neuem "weibliches Verlangen" hervorbringe. Zwar sei es nicht obsolet, die kulturelle Wirksamkeit des "verfügenden, männlichen Blicks" zu untersuchen, doch müsse die Frage nach der "Verknüpfung" von Medium und Geschlecht neu gestellt werden.

Barbara Becker, Medienwissenschaftlerin an der Universität Paderborn, lotet die Art und Weise aus, wie "der Blick auf den Leib" Grenzziehungen in Frage stellt und diese sich zu einer "Umdeutung des 'Selbst'" nutzen lassen. Leibliche Existenz, so eine der Thesen der Autorin, sei sowohl natürlich als auch kulturell. Einseitige Zuschreibungen eines "primordialen Status" würden die sich ständig "verschiebende Überkreuzung" beider Momente verkennen. Angesichts der im Zusammenhang mit Cyber-Utopien entstandenen Konzepte von "universeller Berührung" und "entgrenzter Körperhülle" werde es notwendig, sich der "Besonderheit der menschlichen Haut" und dem "Phänomen des Taktilen" aus einer anderen Perspektive zu nähern. Die Kunst- und Medientheoretikerin Yvonne Volkart wiederum zeigt anhand einer Reihe von Beispielen - etwa Ausstellungen und deren Katalogen, aber auch dem Cyberfeminismus zuzurechnenden Künstlerinnengruppen -, dass die "Frage nach dem Geschlecht" zwar "tendenziell in eine Art Auflösung" oder gar in "überirdische und virtuelle Weiblichkeit" mündet, dass der "Geschlechterdualismus" jedoch von keiner der untersuchten KünstlerInnen "wirklich desavouiert" wird. Vielmehr werde der Eindruck erweckt, als habe "das Weibliche" einen "privilegierten Zugang zu neuen Formen einer entsubjektivierten, niederen Existenzweise". Mag dies auch zutreffen, so befremdet Volkarts implizite Reduzierung des Geschlechterdualismus auf die Seite der Weiblichkeit doch etwas.

Einige bedenkenswert klingende Überlegungen zur Gender-Forschung stellt Zoë Sofoulis, Professorin am Institute for Cultural Research der Universität von Sydney vor. Die von Katherine Hayle entwickelte Unterscheidung zwischen "Körper" und "Verkörperung" sowie diejenige zwischen "Inschrift" und "Einverleibung" erinnert die Autorin an Ferdinand de Saussures Semiotik, die zwischen language, der "implizite[n] Struktur der Sprache", und parole, ihren "spezifischen Äußerungen", differenziert. Sofoulis' Idee ist nun, dass diese Unterscheidung auch für die Gender-Theorie "von Nutzen" sein könnte. Daher schlägt sie vor, die binäre Struktur von Gender mit einer language zu vergleichen, also einer "'makrosoziologischen' Struktur", die zwar "ideologisch eingegrenzt", aber dennoch in den "offensichtlichen biologischen Unterschieden" zwischen den Geschlechtern fundiert sei. Sofoulis regt an, das Hauptaugenmerk nicht länger auf die "makrosoziologischen Kategorien von gender (als language)" zu richten, sondern sich stärker der Frage zu widmen, wie die mikrosoziologischen, körperlichen und affektiven "Muster menschlicher/nicht-menschlicher Beziehungen" die parole von Gender im jeweiligen kulturellen Kontext "konstruieren". So werde es möglich die parole von Gender zu untersuchen, ohne auf einen binären Ansatz zurückgreifen zu müssen. Allerdings versäumt Sofoulis zu begründen, wieso ihr Vorschlag einen nicht-binaristischen Blick auf die parole von Gender gewähren kann. So bleiben Zweifel, ob sie sich nicht einer trügerischen Hoffnung hingibt, ist doch jede parole von language immer schon durchdrungen.

Marie-Luise Angerer, Professorin für Gender und Medien an der Universität Köln und ebenso wie Sofoulis Mitherausgeberin des Bandes, geht den "Verschiebungen auf dem Terrain des 'Wissens'" vom Humanen und der "Verlagerung" von "antihumanistischen" zu "posthumanistischen" Modellen nach. Hierzu referiert sie unter anderem die Genealogien und sich verzweigenden Filiationen der diesbezüglichen Auffassungen Heideggers, Lacans, Agambens und Sloterdjiks. Ungenau oder gar falsch wird ihre Darstellung allerdings des öfteren dann, wenn sie eine Position darlegt, ohne eine Quelle zu benennen. So etwa bezüglich Kant. Ende des 18. Jahrhunderts finde sich bei dem Königsberger Transzendentalphilosophen eine bislang unbekannte Fragestellung. In der Formulierung der Autorin lautet sie: "Was sind wir gegenwärtig?" Also, wie sie erklärend hinzufügt, "nicht mehr: Was können wir erkennen? Was ist die Wahrheit? Was ist der Mensch? Sondern: Was sind wir heute, hier und Jetzt?" Bekanntlich lautet Kants berühmte Frage-Trias, mit der er nicht weniger als das gesamte Gebiet der Philosophie abdecken wollte, jedoch: "Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich Hoffen?" und bündelt sich in der vierten, anthropologischen Frage "Was ist der Mensch?".

Doch referiert die Autorin nicht nur, sondern bezieht auch selbst Stellung. Und genau da wird sie am überzeugendsten; insbesondere, was ihre Kritik am Cyberfeminismus betrifft. Donna Haraway, 'Erfinderin' der weiblichen Cyborg, moniert Angerer, sitze einem Missverständnis auf, wenn sie den "a-humanen Part" des Humanen als Metaphysik verwerfe, "um ihre Cyborg(s) auf der Oberfläche des Körpers anzusiedeln". Besonders hart geht sie jedoch mit Sherry Turkle ins Gericht, neben Sadie Plant eine der bekanntesten Propagandistinnen gender-paradiesischer Netzutopien. Ihr hält Angerer vor, das "gespaltene, fragmentierte Subjekt", von dem die Psychoanalyse, aber auch Kultur- und Politiktheorien ausgehen, zum bloßen "Figurenspiel" zu machen, und dasjenige, "was Butler theoretisch zu fassen sucht", als "leichtes Spiel im Netz" hinzustellen, das bei ihr auf die Frage "unterschiedlicher Buttons" reduziert werde, "die die jeweiligen Aspekte/Zustände im Netz darstellen/ins Netz stellen". In Turkles "Berichten" aus dem Internet werde "alles 1:1" gleichgesetzt: Netz-Theorie und Netz-Praxis, Kommunikation und Erfahrung, Bewusstes und Unbewusstes, Rollenspiel und 'doing gender'. Judith Butler propagiere jedoch gerade nicht den Rollentausch, sondern zeige auf, "wie sehr die Körper vom Geschlecht durchzogen sind, wie sehr deren Morphologie immer auch und vor allem eine imaginäre Dimension aufweist". Allerdings, so konzediert die Autorin, habe Butlers gender trouble zum gender swapping im Netz geradezu aufgefordert.

Angerer beschließt ihren Beitrag mit der plausiblen Feststellung, die Sexuierung des Menschen habe das "antihumanistische 'Menschenbild' als Spaltung des Subjekts, als jenes Moment vor dem 'Zu-sich-selbst-Kommen'" eingeführt. Es sei diese Spaltung, die im posthumanen Entwurf des Humanen "gelöscht" werde. Daher könne es weder darum gehen, "den weiblichen Part wieder zu gewinnen", noch darum, "Frauen als die besseren Cyborgs zu installieren". Vielmehr gelte es, "das spezifische Moment des Humanen als jenes Begehren zu begreifen, das zutiefst mit seiner Entfremdung in und durch die Sprache auftaucht", wie die Autorin etwas vage formuliert.

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Marie-Luise Angerer / Kathrin Peters / Zoë Sofoulis (Hg.): Future Bodies. Zur Visualisierung von Körpern in Science Fiction und Fiction.
Springer Verlag Berlin, Wien / New York 2002.
327 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3211837787

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