Eine Liebe zwischen Tango und Familiengeheimnissen

Sonja Steinerts Debütroman "Cantando"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Cantando" ist ein Lied der Sängerin Mercedes Simone. "Aus den einfachen Worten dieses Liedes ist auch unsere Geschichte gemacht, so simpel und so brutal. Herz reimt sich zu allen Zeiten auf Schmerz." Ein Erstlingsroman als einfache Herz-Schmerz-Geschichte also? Eher nicht, auch wenn es um mehrere zeitversetzte Liebesgeschichten geht. Hinzu kommen ein Familiengeheimnis, wissenschaftliche Kämpfe, Machtspiele und Entdeckungen, Frauennetzwerke, Tango und ein kleines Haus in Mezières in Frankreich. Die Handlung ist folgende: Ruth, eine Berliner Fotografin zwischen der Routine des Berufsalltags und dem Wunsch nach Freiberuflichkeit, findet nach dem Tod der Mutter in deren Wohnung ein Päckchen Briefe. Es sind Liebesbriefe eines Mannes, den Ruth nicht kennt. Ihre eigene Beziehung mit Andreas ist gerade gescheitert, ihre melancholische Neugier auf diese geheime Liebe ihrer Mutter ist geweckt. In dieser Zeit lernt sie Lilli kennen, eine lesbische Saxophonistin, die Tango und Jazz liebt, für die Musik lebt und ihr Geld als Musiklehrerin verdient. Lilli lebt eine Leichtigkeit zwischen Berufsalltag und Kreativität, die Ruth in ihrem eigenen Leben vermisst.

Parallel dazu läuft eine Geschichte in Frankfurt. Jana, eine eifrige Studentin, die gern forscht und eine Professur anstrebt, wird mit ihrem Dissertationsexposé über eine noch unentdeckte Exilautorin, Grete Herzberg, von ihrem Doktorvater Professor Böschenstein abgewiesen. Der übergibt das Projekt seinem Protegé Jordan, damit dieser sich damit habilitieren und auf einen Lehrstuhl für Frauenforschung gehievt werden kann. Die Intrige läuft an. Jana gerät in die Machtkämpfe, wie sie an deutschen Universitäten zuhauf vorkommen, ihr wird - falls sie auf das Thema verzichtet - Job und Geld angeboten. Sie nimmt an, forscht jedoch heimlich weiter, unterstützt von der Frauenbeauftragten und einer Privatdozentin mit dem Schwerpunkt Exilautorinnen, die in einer Buchhandlung jobbt.

Schließlich treffen Jana und Ruth, verbunden durch die Neugier auf die Biografie des unbekannten Geliebten, aufeinander. Es stellt sich heraus, dass dieser Geliebte jene Grete Herzberg ist, die in Mezières den Krieg überlebt und sich Jahre später das Leben nimmt. Der Pfarrer des Ortes hat ihren Nachlass gehütet, den Ruth nun Jana zur Edition und wissenschaftlichen Auswertung überlässt. Jana entscheidet sich in diesem Prozess gegen eine wissenschaftliche Laufbahn, möchte lieber weiter im Verlag arbeiten. Ruth hingegen entscheidet sich gegen die Probleme des freiberuflichen Arbeitens und für eine Liebesbeziehung zu Lilli.

Es stecken offensichtlich Erfahrungen in diesem Roman, die die Autorin, selbst Literaturwissenschaftlerin, an deutschen Hochschulen und im Austausch mit anderen Wissenschaftlerinnen machen musste, was nicht bedeutet, dass hier autobiografisches Material begegnet. Die Probleme von Frauen im männlich geprägten Wissenschaftsbetrieb sind bekannt und werden hier exemplarisch vorgeführt. Relativ ausgewogen schildert die Autorin die Probleme nicht nur der Studentin Jana, sondern auch den Preis, den Jordan zahlen muss, um von seinem Professor gefördert zu werden: Seine Aufsätze werden unter dem Namen des Professors veröffentlicht, er kann nicht frei arbeiten, dafür hat er ein Verhältnis mit der Frau des Professors, eine kleine billige Rache, die dennoch nicht frei von Liebesgefühlen ist.

Die Spannung wird durch die Suche nach den unbekannten Personen - Exilautorin und Geliebter der Mutter - erzeugt und gehalten. Ruths Suche nach der Geschichte ihrer Mutter und Janas Forschungstrieb ergänzen sich.

Des Weiteren wird die Liebesgeschichte zwischen Ruth und Lilli erzählt, deren Problematik in der sich allmählich herauskristallisierenden und unglücklich verlaufenden Liebesgeschichte zwischen Ruths Mutter Hanna und Grete Herzberg gespiegelt wird. Ruth schafft den Schritt, sich zu ihrer Liebe zu stellen, sie erfüllend zu leben. Die Leidenschaft für Musik und für das Tangotanzen verbindet die beiden Frauen, auch und gerade auf sinnlicher Ebene.

Also viel Stoff für einen Erstling. Dabei bleibt die sprachliche Darstellung etwas abstrakt, an der Oberfläche, eine Atmosphäre entfaltet sich nicht. Auch die Figuren bleiben unkonturiert und wirken psychologisch unausgereift, die dargestellten Innenwelten sind nur umrissen und können nicht überzeugen. Die Autorin verwendet zu viele konventionelle Bilder, die aufgrund ihrer Abgegriffenheit keine große Wirkung entfalten. Leidenschaft, sinnlich beschworene Emotionen tauchen nur in den Briefen der Geliebten auf.

Sonja Steinerts erster Roman ist handwerklich in Ordnung, die einzelnen Sequenzen fügen sich ineinander. Auch die Themen erscheinen gut recherchiert, die Leserin erfährt einiges über Musik, Saxophonspielen, den Tango, die Wissenschaft und das Fotografieren. Doch die sprachliche Umsetzung wirkt ungelenk, da machen es andere Autoren, die nach einer Promotion erste Romane veröffentlichten, besser. Aber was noch nicht so rund ist, kann ja noch rund werden.

Titelbild

Sonja Steinert: Cantando.
Krug und Schadenberg Verlag, Berlin 2002.
209 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3930041308

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