Zwischen Pepsi und Jom Kippur

Mona Yahia erzählt ihre Geschichte einer jüdischen Kindheit im Irak

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom" ist der erste Roman der im Irak geborenen Autorin Mona Yahia, für den sie in der englischen Originalfassung 2001 den Jewish Quarterly Wingate Prize erhalten hat. Mit Recht. Die Geschichte beginnt und endet mit der Flucht der Familie aus dem Land, in dem jüdische Menschen in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmenden Repressalien ausgesetzt waren. Doch zunächst ist für das Mädchen Lina die Welt in Bagdad in Ordnung. Sie wächst in einer begüterten Familie auf, zusammen mit dem älteren Bruder Shuli, Mutter und Vater, den Freundinnen aus der Schule. Ihr Leben verläuft ruhig und unterliegt den üblichen Krisen durch Prüfungen, Schule, dem erwachenden Interesse für Sexualität, der ersten Menstruation. Mit dem Sechs-Tage-Krieg und den ständigen Regierungswechseln verwandelt sich die buntgemischte Stadt zu einem Ort der Bedrohung, in Form von randalierenden Massen und grauen VW-Käfern. Lina begreift nach und nach, welcher Gefahr sie selbst als Jüdin ausgesetzt ist. Sie sieht die selbstzensierenden Handlungen der Eltern, der Bruder wird verhaftet und für mehr als ein Jahr inhaftiert, ihr Schwimmlehrer wird als angeblicher Spion hingerichtet und sein Leichnam öffentlich zur Schau gestellt. Immer öfter bleiben Plätze in der Schulklasse von Lina leer. Bis sie eines Tages nach Hause kommt und sich auch ihre Familie entschieden hat, zu fliehen, in den Iran und von dort aus nach Israel oder in ein anderes Land.

Die Autorin beschreibt den eigenen Weg, bis zur gelingenden Flucht. Sie selbst lebte danach einige Jahre in Israel, studierte später in Kassel Bildende Kunst und lebt derzeit in Köln. Ihr Buch zeichnet sich durch eine ausgewogene Mischung aus Kindheitsschilderung, orientalischem Lebensstil und politischer Darstellung aus. Die Geschichte ist plastisch erzählt, ohne moralisch zu ideologisieren oder mit dem politischen Zeigefinger zu wedeln. Was vor allem besticht, sind die eingeflochteten kulturellen Anspielungen und Zitate aus arabischen, jüdischen und christlichen Traditionen. Linas Identität erwächst aus dieser Melange, die sich in den verschiedenen Sprachen manifestiert, die sie erlernt und spricht. Sie entscheidet sich schließlich, das Arabische Wort für Wort aus ihrem Wortschatz zu tilgen. Eine Überlebensstrategie, die zum Schutz vor weiteren Verletzungen dient.

Yahia erzählt in ihrer poetischen Geschichte eine Identitätssuche zwischen verschiedenen Kulturen, die sich in der Protagonistin Lina verbinden könnten, wenn nicht die politische Realität dies verhindern würde. Lina überlebt mit Hilfe von Humor und der Hoffnung darauf, in einem Land leben zu können, das ihr als Jüdin nicht feindlich gesinnt ist. Die Autorin beschreibt all dies in sprachmächtigen Bildern. Die ausgewogene Mischung zwischen der Beschreibung der schrecklichen Greueltaten und der Familiengeschichte erreicht sie, indem sie mit ihrer Perspektive durchgängig bei ihrer Protagonistin und deren Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen bleibt. Ein gutes Buch und unbedingt lesenswert.

Titelbild

Mona Yahia: Durch Bagdad fließt ein dunkler Strom. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Aeckerle.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
426 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3821809132

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