Denkmal von Problemen

Jutta Schlichs Streifzüge durch die (Begriffs-)Geschichte literarischer Authentizität

Von Frauke BerndtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Berndt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Überschaubar gehalten ist die Gliederung dieser Habilitationsschrift, in der Jutta Schlich unter dem Titel "Literarische Authentizität. Prinzip und Geschichte" nichts Geringeres als den ästhetischen Grundbegriff der Authentizität seit dem Beginn der Moderne verhandelt, auf jeden Fall. Nach dem Vorbild von Emil Staigers "Grundbegriffen der Poetik" (1946) disponiert Schlich das ästhetische Feld in zwei einleitende Kapitel, nämlich zur Systematik (I. Authentisches) und zu Christa Wolfs feministischer Romantik-Rezeption (II. Weibliches), sowie in das Hauptkapitel zur Romantik (III. Romantisches). Wie Gerhard Plumpe datiert die Autorin den Beginn dieser Epoche auf 1770. Die Unterkapitel bilden jeweils "Konkretisationen von Authentizität" und mithin einen sachlich vielversprechenden Katalog ab. Von A wie Bettine von Armin bis Z wie Ulrike Zeuch kann Schlich daher Schriftsteller, Theoretiker und Fachwissenschaftler im Gerüst der Lemmata gleichrangig und gleichwertig nebeneinander stellen und für einen Dialog bereithalten. Selbstbewusst wertet sie für dieses Unternehmen "das Hier und Jetzt der die Texte wahrnehmenden Literaturwissenschaftlerin" sowie die "sympraktische Sympathie mit ihren Gegenständen" zur phänomenologischen Methode auf, die im weiteren eine oft sehr pointierte Argumentation lizensiert. Mit diesen Voreinstellungen wird klar: Schlich will nicht nur viel, sie will dies in einer Art und Weise erreichen, die auf eine eigene, die wissenschaftlichen Grundregeln eigenwillig auslegende Handschrift aus ist.

Die Durchführung hält dem hohen Anspruch der Autorin jedoch nicht stand; ja diese entlässt den Leser in eine gewisse Ratlosigkeit. So wird bereits der Gegenstand der Arbeit lange Zeit in der Schwebe gehalten. Der Hauptteil leistet schließlich einen durchaus konventionellen Beitrag zur Romantikforschung, dessen Schwerpunkt auf der literarischen Empfindsamkeit liegt. Schlich benutzt zu diesem Zweck den rezeptionsästhetisch verstandenen "Authentizitätseffekt" als argumentatives Integral, das auf 162 Textseiten kursorisch die heterogenen Diskurse zwischen 1770 und 1800 verklammert und an eine Reihe von Authentizitätskonzepten unterschiedlichster diskursiver Provenienz des 20. Jahrhunderts anschließt. In einem forschungskritischen, nicht selten polemischen Referat versammelt die Arbeit um die 'Sprache des Herzens' eine beachtliche Anzahl namhafter Vertreter des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Keines der historischen Konzepte wird allerdings so vertieft, dass ihm dadurch ein erkennbar neues Profil verliehen würde. Und so sind sie wieder einmal alle versammelt, die üblichen Verdächtigen: Winckelmann u. a. unter 'Edel-Einfältigem', Herder u. a. unter 'Pygmalionischem', Gellert u. a. unter 'Weiblichem', Bettine von Arnim u. a. unter 'Kindlich-Jugendlichem' usw.

Mehr als die Konventionalität in literarhistorischer Hinsicht enttäuscht die Tatsache, dass der Arbeit eine konsistente Systematik fehlt. Schlich begnügt sich damit, den Begriff der Authentizität im ersten Teil in essayistischer Manier am Beispiel des 'Falles' Wilkomirski einzuführen. Was ein durchaus probater Weg zur Profilierung präziser und dadurch operationalisierbarer Kategorien sein könnte, führt nicht zum gewünschten Erfolg. Schlich fasst den zentralen Begriff der Arbeit weder auf diesem Weg scharf, noch kann sie ihn auf der Grundlage ihrer Kritik anderer Begriffsbestimmungen für eine eigene Systematik fruchtbar machen. Stattdessen bietet sie einen zwar einschlägig besetzten, im Hinblick auf die Ankündigung eines "literaturwissenschaftlichen Propädeutikums" aber unbefriedigenden Durchgang durch eine Reihe zeitgenössischer ästhetischer Diskurse an. Dementsprechend ist auch die Disposition der drei Teile ungewöhnlich: Der Zusammenhang zwischen Einleitung, dem zweiten Teil und dem Hauptteil bleibt vage und hat vor allem keine argumentativen Konsequenzen für den historischen Schwerpunkt.

Eine Propädeutik des Problemkomplexes literarischer Authentizität liegt mit der Arbeit sicherlich nicht vor - der alternativ angebotene Vergleich mit einer "Streitschrift" spiegelt freilich auch eher Wunsch als Wirklichkeit. Denn weder Ziel noch Gegner der inszenierten Position sind in einer Art und Weise auszumachen, die einer dialogischen Streitkultur gerecht würde.

Titelbild

Jutta Schlich: Literarische Authentizität. Prinzip und Geschichte.
Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002.
186 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3484220627

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch