Von Köpfen, Füßen und dem ganzen natürlichen Körper

Karin Ludewig entwirft eine postbutlersche Theorie des hedonistischen Feminismus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor gut dreißig Jahren gehörte es zum allgemeinen Bildungsgut einer rebellierenden Studentengeneration, dass Marx weitere einhundert Jahre zuvor das "Kapital" verfasst und darin Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt hatte. Genau genommen war es die Dialektik, die - wie Marx im Nachwort zur zweiten Auflage seines Hauptwerkes schreibt - bei Hegel "auf dem Kopf" stand, und die man daher "umstülpen" müsse, "um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken". Als der Begründer des Wissenschaftlichen Sozialismus die Drehwende an Hegel vornahm, war dessen "Wissenschaft der Logik" bereits mehr als 50 Jahre alt, die "Phänomenologie des Geistes" gar 60, und ihr 1831 verstorbener Verfasser ruhte schon seit 36 Jahren auf einem Berliner Friedhof.

Seitdem sind die Zeiten schnelllebiger geworden. Das zeigt sich auch daran, dass man den Geistesgrößen die Unannehmlichkeit, noch im Grabe etliche Jahrzehnte auf dem Kopf zu stehen, nicht mehr ein halbes Jahrhundert zumutet, sondern ihnen schon zu Lebzeiten auf die Beine hilft. Judith Butler zumindest darf sich freuen, nach kaum mehr als einem Dezennium seit Erscheinen ihres bahnbrechenden Werkes "Gender Trouble" der Qual des Kopfstandes enthoben zu sein. Das verspricht zumindest die Philosophin Karin Ludewig in ihrer Promotion über Körperpolitik nach Foucault und Butler. Schon gleich zu Beginn kündigt sie an, "Butler vom Kopf auf die Füße zu stellen", indem sie deren "Dekonstruktion des natürlichen Körpers" durch eine "Wiederaufnahme und Wiedereinsetzung des Konzepts vom Körper als natürlichem" ergänzt. So werde es endlich möglich, schadlos zwischen der Scylla des Essentialismus und Charybdis des Idealismus hindurchzusegeln.

Bevor Ludewig in Auseinandersetzung mit der Autorin von "Gender Trouble" ihren "postbutlersche[n], materialistische[n] und hedonistische[n] Feminismus" entwickelt, zeichnet sie einen propädeutischen Abriss des Streites um die Möglichkeit eines postmodernen Feminismus mit besonderem Augenmerk auf dessen Verhältnis zu Foucault, dem "Schwellendenker" zwischen Moderne und Postmoderne. Schon hier zeigt sich, wie sehr es die Autorin versteht, sich den komplexesten Gegenständen mit wunderbar leichter Feder zu nähern, ohne dass dies zu Lasten inhaltlicher Genauigkeit ginge. So meistert sie etwa mit Bravour die schwierige Aufgabe die "chaotische Vielstimmigkeit" des feministischen Diskurses über Foucault nach wenigen zentralen Gesichtspunkten zu ordnen. Allerdings ist sie nicht immer vor sinnentstellenden Fehlern gefeit, die ihr auch schon mal an nicht gerade beiläufiger Stelle unterlaufen. So etwa, wenn sie konstatiert, Butler unternehme eine "Gratwanderung zwischen den Positionen des Idealismus und des Anti-Essentialismus". Sinnvollerweise können hier eigentlich nur Idealismus und Essentialismus gemeint sein.

Zwar wird Butler geradezu überschwänglich als der zur Zeit "einzig in die Zukunft leuchtende Stern am Himmel des Feminismus" gerühmt und ihr bescheinigt, sie vertrete einen "kohärenten theoretischen Postfeminismus", der die dekonstruktivistische Kritik an "überkommenen feministischen Denkmustern" in "besonders durchdachter Weise" entwickele. Doch hindert das die Autorin nicht daran hervorzuheben, dass es sich bei Butlers erkenntnistheoretischem Ansatz um eine "äußerst fragile Konstruktion" handele, dessen Versuch scheitere, sowohl für "die an den Gegebenheiten des sexuell Faktischen akut und real Leidenden" einzutreten, als auch der "politischen Forderung" des Feminismus zu entsprechen, die "Realität des Geschlechts" nicht als "biologisches Schicksal" festzuschreiben; und zwar zu Lasten "der Fürsprache für die an der Materialität der sozialen Begrenzungen leidenden materiellen Körper". Mag diese Kritik noch diskutabel sein, so versteigt Ludewig sich gelegentlich auch zu solch unhaltbaren Vorwürfen, wie demjenigen, Butler hänge dem "Lieblingsglauben des Abendlandes an die absolute und grenzenlose Machbarkeit der Welt nach dem Wunsch des Geistes" an und trage somit dazu bei, dass der Gentechnologie "theoretisch der Weg bereitet" wird.

Ludewigs zentrale Kritik an Butler besteht jedoch darin, dass sie "ungewollt auf eine Art erkenntnistheoretischen Idealismus" in Gestalt eines "diskursiven Monismus" regrediere, der "die außersprachliche Realität der Körper" negiere. Zudem sei ihre Dekonstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit "extrem nominalistisch". Gegenüber Butlers "zweifelhafte[m]" Versuch, "die Materialität des Körpers als dessen Intelligibilität zu deuten" - einer wie Ludewig sagt - "Schlüsselstelle" von Butlers Theorie, besteht die Autorin auf dem "körperlichen und materiellen Aspekt des Daseins". Zwar unterscheide sich Butler durch ein besonderes Detail ihrer theoretischen Konzeption vom radikalen Konstruktivismus und vom linguistischen Idealismus, denn sie postuliere "ein Gebiet außerhalb der diskursiv konstruierten Intelligibilität". So sei es ihr möglich, den Vorwurf zurückzuweisen, ihre "Resignifikation des Begriffs der Materialität als Intelligibilität" eskamotiere das über die sprachliche und diskursive "Regelgerechtheit" hinaus zu konstatierende "Mehr der Körper". Dennoch beharrt die Autorin selbst einige Seiten weiter auf eben dieser Kritik und behauptet, Butlers "gelegentliche Versicherungen", sie wisse um die "Materialität des Signifikanten", blieben nichts weiter als "leere Beteuerungen". Tatsächlich ersetze sie den "traditionellen hierarchischen Dualismus" durch einen "noch herrschaftlicheren Monismus". Hiergegen klagt Ludewig eine "dialektische Denkarbeit an der Spannung dualistischer Oppositionen" und Überlegungen zur "gegenseitigen Vermitteltheit" von Sprache und Materialität ein. Denn es sei nicht der Körper, der produziert ist, sondern "unsere Interpretationen von ihm" - eine Feststellung, die sich allerdings auch nicht gerade durch eine dialektische Sichtweise auszeichnet.

Vor allem aber moniert Ludewig Butlers "völliges Absehen" von Sinnlichkeit, womit diese einen "wesentlichen Aspekt menschlicher Lebenserfahrung" aus dem feministischen "Weltbild" ausblende. Diesem Mangel will die Autorin mit der Konzeption eines "hedonistischen Ansatz[es] in der feministischen Theorie" Abhilfe schaffen. Und damit nähern wir uns Ludewigs eigener Konzeption, mit der sie die feministische Diskussion aus der "Sackgasse" führen will, in die sie sich - provoziert durch Butlers "unbefriedigend" beantworteter Frage nach der Materialität des Körpers - verirrt habe. Hierzu beschwört sie das, "An-sich-Sein oder Durch-sich-selbst-Sein des Materiellen", das die "relative Selbständigkeit" des Körpers gegenüber dem "Verfügungswillen" seines Geistes garantiere. Gegen Butler gelte es also, auf der "Natürlichkeit des menschlichen geschlechtlichen Körpers" zu bestehen. Dies bedeute, so beteuert Ludewig, weder einen "Rückfall in präpostmoderne, linguistisch naive Theoriepositionen" noch eine "neue essentialistische oder biologistische Argumentation".

Den aus der Sackgasse rettenden Wegweiser hat Ludewig in Ute Guzzonis 1995 erschienenem Buch "Über die Natur" gefunden, dessen "Konzept von Natur als einem Von-sich-aus-Sein" sie für die feministische Theorie fruchtbar machen will. Von hier bezieht die Autorin denn auch ihre zentrale Begrifflichkeit. Von ihr ist zunächst die "innere Natur" zu nennen, unter den die Materialität des Körpers ebenso fällt wie der Komplex der mit der Leiblichkeit des Mensch zusammenhängenden "Lebensäußerungen" und "Daseinsweisen", von denen die Autorin Emotionalität, Sinnlichkeit, Triebhaftigkeit, den Stoffwechsel des Organismus mit seiner Umwelt und die "Sexualität in der Bedeutung von sinnlichem Begehren und leiblichem Genuss" aufzählt. Wichtiger noch als die "innere" ist für Ludewigs Konzept des Von-sich-aus-Seins allerdings die "zweite Natur". Ein Begriff, der in der Anthropologie um 1800 seine Blüte erlebte, dessen Vorgeschichte jedoch - wie diejenige so vieler philosophischer und wissenschaftlicher Begriffe - bis in die Antike zurückreicht. Nach Hegel wurde er, abgesehen von Marx und einigen seiner theoretischen Filiationen, dann allerdings kaum noch verwandt. Wie alle Begriffe mit einer derart langen Geschichte wurde er im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen, einander oft widersprechenden Inhalten gefüllt. Guzzoni, und mit ihr Ludewig, versteht nun unter "zweiter Natur" zunächst "das gesellschaftlich Geformte und menschlich Interpretierte", denn es sei trotz seiner "Überformung" dann natürlich, wenn es "von sich aus" auftrete - wobei sich allerdings die Frage stellt, wie das möglich sein soll. Doch geht Guzzoni noch weiter: sogar "die in unbezweifelbarer Weise gesellschaftlich produzierte Objektwelt" könne als Natur angesehen werden. "Entwachse[n]" die technischen Artefakte ihrem Produzenten und treten dem Menschen als "verselbständigte eigenmächtig gewordene" entgegen, werden auch sie der zweiten Natur zugeschlagen. Kurz: für das von Ludewig propagierte Konzept der Natürlichkeit von Geschlecht und Körper spielt es "schlicht keine entscheidende Rolle", ob Körper und Geschlecht "menschengemacht", "hergestellt", "produziert" oder aber "der menschlichen techne vorgeordnet" sind. "Denn sie könnten ja, im ersteren Fall eben als zweite Natur, verselbstständigt Seiendes, als Ausfluss jenes Wesens, das bei Butler der Diskurs genannt wird, aufgefasst werden, wodurch sie immer noch Von-sich-aus-Seiendes, also von Natur wären." Womit zumindest deutlich wird, dass Ludewigs an Butler gerichteter Vorwurf, deren epistemologischer Ansatz sei "ungleichgewichtig komponiert" mit umgekehrten Vorzeichen auf sie selbst zurückfällt, da ihre zweite Natur - ebenso wie die innere - nicht ein Teil des Anderen der Natur ist, sondern offenbar ein Unterbegriff des umfassenderen allgemeinen Naturbegriffs, was darauf hinausläuft, letztlich alles der Natur zuzuschlagen. Ludewigs Versicherung, "im Begriff des natürlichen Körpers und des natürlichen Sexes" sei nicht geleugnet, "dass diese technischen Ursprungs sein könnten", und dass die "poststrukturalistische Erkenntnis von der grundsätzlichen Situationsbedingtheit körperlicher Seinsweisen in dieses Konzept integrierbar" sei, scheint die Berechtigung der an Ludewig zu übenden Monismuskritik eher unterstreichen als diesen Vorwurf abwehren zu können. Zumindest ist nur schwer vorstellbar, was nach diesen Vorgaben nicht unter den Begriff der Natur beziehungsweise des Natürlichen fallen soll. Das gilt bis hin zu operativen Geschlechtsumwandlungen, In-vitrio-Fertilisationen, 'Schönheits'korrekturen oder genetischen Eingriffen in das Erbgut, von denen die Autorin allerdings behauptet, dass sie vor dem Hintergrund ihrer Theorie "in den meisten Fällen" überflüssig seien.

Der auf den Konzepten der Inneren und der zweiten Natur basierende "Begriff des Von-sich-aus" ist nicht nur eine deskriptive sondern auch - vielleicht vor allem - eine normative Kategorie, betont Ludewig doch nachdrücklich, dass er die Forderungen beinhaltet, dass die geistigen, physischen und seelischen Aspekte des "geschlechtlichen Daseins" des Menschen, so wie sie sind, in ein "nicht-hierarchisches [...] Beziehungsgeflecht" gesetzt werden. Denn "was von sich aus so ist, wie es ist", solle "auch so gelassen werden, wie es ist, nämlich anders". Es gelte also, das Von-sich-aus-Seiende "als solches zu akzeptieren und zu respektieren, selbst wenn es als gesamtgesellschaftlich produzierte zweite Natur zu nennen wäre". Ein auf emanzipatorische Veränderung zielender Impetus ist in dieser Konzeption allerdings nur noch schwer auszumachen.

Ludewig legt mit ihrem Entwurf ein Konzept des Verhältnisses von Kultur und Natur, bzw. Geist und Körper vor, dass sich fundamental von demjenigen Butlers unterscheidet. Dennoch ist der Ort, an dem Butler der Autorin zufolge auf den Füßen zu stehen kommt, ein anderer, nämlich auf dem Gebiet der Macht. Diese habe "verschleiert", dass sie produziert werde. Darum gelte es nun, "ihr diesen Schleier zu entreißen und Butler dabei vom Kopf auf die Füße zu stellen". Denn entgegen Butlers Theorie erwachse die Macht "aus den Körpern", deren "eigene Lebensenergie" sie sei. Darum könne die Macht den Körpern "weder zeitlich noch logisch vorgeordnet" sein, wie dies von Butlers Konzeption behauptet werde, die eine "Machtmaschinerie in einem beinahe orwellschen Szenario" beschwöre. Die Funktion, die der "letztlich negativ" konnotierten Macht in Butlers Theorie zukomme, erinnere so an "die ältere feministische Vorstellung vom Patriarchat". Ein Eindruck, der sich auch dann nur bei äußerst oberflächlicher Lektüre von Butlers Œuvre einstellen kann, wenn man, wie Ludewig, ihr in dieser Frage wichtigstes Buch "Psyche der Macht" unberücksichtigt lässt (vgl. literaturkritik.de 4/2002). Wird doch auch schon in den früheren Werken betont, dass es nicht darum gehen kann, die Macht abzuschaffen, wohingegen das zentrale Anliegen des älteren Feminismus gerade in der Abschaffung des Patriarchats lag.


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Karin Ludewig: Die Wiederkehr der Lust. Körperpolitik nach Foucault und Butler.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
277 Seiten, 35,90 EUR.
ISBN-10: 3593370867

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