Die Karriere der Magerfrau

Nicole M. Wilk untersucht Weiblichkeitsbilder in der Werbung

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Jahr 1983 plötzlich Klementine aus den Ariel-Fernsehspots verschwand, gingen beim Hersteller Procter & Gamble zahllose Beschwerden ein. Kurz darauf engagierte sich gar eine Bürgerinitiative für ein Comeback der kultigen Werbedame - und zehn Jahre später kehrte die brave, belehrsame Waschfrau der Nation tatsächlich auf den Bildschirm zurück. Endgültig aus für Klementine war es schließlich zur Jahrtausendwende: Eine Unternehmenssprecherin erklärte, man könne die beinahe 80jährige nicht länger einsetzen, da die Marketingstrategen ab sofort mit jungen Gesichtern arbeiteten.

In ihrer Studie "Körpercodes" zeigt Nicole M. Wilk, auf welche Weise die Frauenbilder in der Werbung als Symptom für die Rolle der Frau in der Gesellschaft gelten können: Will man moderne Frauen "von heute" als Käuferinnen gewinnen, muss man ein Weiblichkeitsbild präsentieren, das der Neuordnung der Geschlechterverhältnisse Rechnung trägt und die ins Visier genommene Zielgruppe somit zur Identifikation einlädt. Frauenkörper in Anzeigen, Plakaten und Fernsehspots verweisen folglich als Metaphern auf die psychosoziale Disposition der Zuschauerinnen und Zuschauer. Weil Inhalte von Werbebotschaften solcherart mit gängigen Wertmustern korrelieren, geben sie zugleich Aufschluss darüber, welche Normen in einer Kultur gültig sind.

Natürlich haben nach Klementines Abschied zahlreiche neue Frauen die Werbebühne betreten, die eine Fülle unterschiedlicher Lebensstile repräsentieren. Zwar ist die fürsorgliche Hausfrau out, aber deshalb sind im viel zitierten Zeitalter der Emanzipation diskriminierende Geschlechterklischees keineswegs passé. In der bunten Glitzerwelt der Werbung, so die Verfasserin, lassen sich sexistische Stereotypisierungen nach wie vor beobachten. Doch vor allem ist der weibliche Körper neuerdings mit sonderbar widersprüchlichen Attributen besetzt: Neben selbstbewussten Karrieristinnen bestimmen abgemagerte Vamps das makellose Bild der Frau. Man fragt sich, wie diese medialen Inszenierungen entstanden sind, wie sie aufgenommen und reproduziert werden und wofür sie eigentlich stehen. Durch die Reduktion der Frau auf eines oder mehrere Schönheitsideale können bei der Betrachterin zweifellos Minderwertigkeitsgefühle entstehen, wenn ihr Körper dem gesellschaftlich verankerten Idealbild selbst bei größter Anstrengung nicht zu entsprechen vermag. Dass diese gänzlich unweibliche "neue Weiblichkeit" konservative Rollenbilder bloß scheinbar verabschiedet hat, darf als wichtigste Erkenntnis dieser kulturwissenschaftlichen Analyse gelten.

So differenziert und detailliert die vorliegende Arbeit insgesamt wirkt, so vage erscheint sie aufgrund ihrer methodischen Unbestimmtheit: Um gesellschaftliche Wertmuster in den Körpercodes der Werbung aufzuspüren und zu demaskieren, bedient sich die Autorin verschiedener Ansätze aus Semiotik und Psychoanalyse, die sie stets nur schlagwortartig und wie im Vorbeigehen erwähnt, ohne sie jeweils vertiefend zur Anwendung zu bringen. So beeindruckt dieses Buch vor allem durch die einleuchtende Beschreibung, Interpretation und sinnvolle Gliederung des ausgewählten Anzeigenmaterials.

Titelbild

Nicole M. Wilk: Körpercodes. Die vielen Gesichter der Weiblichkeit in der Werbung.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
324 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3593370859

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