Von der Parasitin zum Menschen

Drei vergessene Klassikerinnen der englischsprachigen Frauenbewegung in deutscher Übersetzung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine längere Reihe zu Unrecht vergessener Autorinnen aufzuzählen fällt nicht schwer. Ein nur scheinbares Paradoxon. Sind Autorinnen wie Luise Aston, Luise Büchner, Lena Christ, Elisabeth Dauthendey oder Ilse Frapan-Akunian doch allenfalls feministisch orientierten Literaturwissenschaftler geläufig, aber weit davon entfernt, jemals in den literarischen Kanon aufgenommen zu werden, der alleine Schutz vor dem Vergessenwerden verspricht. Zudem ein Paradoxon, das seine Grenze an den Rändern des deutschen Sprachraumes hat. Fällt es hierzulande doch schon ungleich schwerer, mehr als ein oder zwei fremder Zunge angehörige Autorinnen zu nennen, die nicht mehr oder minder kanonisiert sind. An englischsprachigen Schriftstellerinnen mag einem da vielleicht gerade mal Charlotte Perkins Gilman (1860-1935) einfallen, die neben Gedichten, Kurzgeschichten und Romanen auch Essays politischen und philosophischen Inhalts schrieb und dank der 1992 und 1994 erschienenen Übersetzungen der Novelle "The Yellow Wallpaper" und der feministischen Utopie "Herland" auch in Deutschland denn doch nicht ganz in Vergessenheit geriet. Anders erging es hingegen - zumindest bisher - der Engländerin Barbara Smith Bodichon (1827-1891), die nicht nur zahlreiche Schriften gegen die Sklaverei und zur Emanzipation der Frau verfasste, sondern auch als bildende Künstlerin tätig war, und der aus Südafrika stammenden Autorin Olive Schreiner (1854-1920), die unter anderem Romane und eine als "Dreams" (1890) bezeichnete Sammlung utopischer Allegorien veröffentlichte.

Sollte sich das nun ändern, so könnte ein von Ursula I. Meyer herausgegebener Band dazu beitragen. Meyer hat Auszüge aus den theoretischen Schriften "Women and Work" (1857) von Bodichon und "His Religion and Hers" von Perkins Gilman zusammengestellt; außerdem gelangt Schreiners Essay "Woman and Labour" ungekürzt zum Abdruck.

Den drei Texten hat die Herausgeberin jeweils eine ausführliche Einführung in Leben und Werk der Autorinnen sowie eine zusammenfassende Interpretation der bislang unübersetzten Schriften vorangestellt. Die Texte lassen sowohl eine theoretische als auch eine politische Entwicklung der Argumentation für das Recht von Frauen auf Erwerbstätigkeit erkennen. Wendet sich 1857 Bodichon noch an eine männliche Leserschaft, welcher der Nutzen geschildert wird, der den Männern - und der Gesellschaft - durch die Erwerbstätigkeit von Frauen entstehen würde, so richtet sich Olive Schreiner ein halbes Jahrhundert später an ihre Geschlechtsgenossinnen und wirft ihnen vor "Parasitinnen" zu sein, die, wie die Herausgeberin formuliert, in einem "unwürdige[n] Zustand" leben, da sie "die Männer aussaug[en], um ihr eigenes Überleben zu sichern". Zwar seien die Frauen durch die Gesellschaft "zur Untätigkeit verdammt", doch würden sie ihr Dasein als Parasitinnen nicht nur "klaglos" hinnehmen, sondern es sogar genießen. Nicht um der Männer willen gelte es, das zu ändern, sondern um die eigene Abhängigkeit zu beenden, die notwendigerweise mit dem Parasitentum einhergehe. Denn wenn die Frauen sich damit zufrieden geben, "alle Arbeit" den Männern zu überlassen, so warnt die Autorin, dann sei es unausweichlich, dass sie in einen Zustand der Abhängigkeit von "ihren sexuellen Funktionen" "absinken" würden - sei es "als Prostituierte, als ausgehaltene Geliebte oder als ausgehaltene Ehefrau".

Auch Perkins Gilman wirft den Frauen Parasitismus vor, geht allerdings, wie Meyer betont, "weiter als ihre Vordenkerinnen". Denn sie beschränkt sich nicht darauf, die bestehenden (Geschlechter-)Verhältnisse zu kritisieren, sondern entwirft "neue Lebensmodelle", in denen "weder Mann noch Frau eine Vorrangstellung eingeräumt" wird. Bislang sei nur der Mann "wirklich Mensch" gewesen, die Frau hingegen "reines Geschlechtswesen". Zu dieser Einsicht gelangt Perkins der Herausgeberin zufolge, "indem sie zwischen der menschlichen Natur und der sexuellen Natur unterscheidet". Eigentlich aber sei die Frau ebenso menschlich wie der Mann und dürfe nicht länger "als etwas Weibliches verdammt" werden. Erlaube die erreichte "Entwicklungsstufe" doch, die "Teilung von weiblich und menschlich" zu überwinden und "gemeinsam für die Weiterentwicklung der Menschheit zu arbeiten".

"Kein Schmerz, kein Unglück oder 'gebrochenes Herz' berechtigt einen dazu, sein Leben zu beenden, solange man noch die Kraft zum Dienst an der Gemeinschaft besitzt", schrieb Perkins Gilman in ihrem Abschiedsbrief. "Doch wenn jegliche Nützlichkeit hinter einem liegt, wenn man sicher ist, dass der Tod unausweichlich bevorsteht, gehört es zu den simpelsten Rechten des Menschen, einen schnellen, leichten Tod an Stelle eines furchtbaren und langsamen zu wählen. 65-jährig schied die Autorin von eigener Hand aus dem Leben. Sie hatte "Chloroform dem Krebs vorgezogen."

Titelbild

Ursula I. Meyer (Hg.): Frauenmacht und Arbeitswelt. Drei philosophische Analysen. Mit Beiträgen von Barbara Smith Bodichon, Olive Schreiner und Charlotte Perkins Gilman.
Übersetzt aus dem Englischen von Petra Altschuh-Riederer.
ein-FACH Verlag, Aachen 2002.
235 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3928089331

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