Nichts als die Wahrheit

Der Roman Echnaton des arabischen Nobelpreisträgers Nagib Machfus

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ein begehrlicher Blick, und der Wunsch war geboren." So beginnt Nagib Machfus' Geschichte von Echnaton, dem berühmten Pharao, eine Geschichte von Macht und Glauben, von Ehrgeiz und Liebe, von verletzten Eitelkeiten und echter Bewunderung. Wer hier so begehrlich wünscht ist Merimun, der Erzähler, ein junger Ägypter, der beschließt, die Wahrheit über Echnaton herauszufinden. Echnaton, "der Ketzer", wie Merimuns Zeit ihn nennt, ist etwa zwei Jahrzehnte tot, als der junge Forscher seine Recherche beginnt. Da die meisten der Zeitgenossen Echnatons noch leben, begibt er sich auf eine Reise durch Ägypten, die Zeugen und Zeuginnen zu befragen, sich ein Bild zu machen aus dem, was diejenigen, die ihn kannten, erzählen. Er will die Wahrheit ergründen, aber so einfach ist das bekanntlich nicht, und Merimun erfährt bald, daß die Wahrheit für jeden, den er befragt, anders aussieht.

Echnaton, Verkünder des ersten monotheistischen Glaubens, war überzeugt, in Aton, dem Gott der Sonne, das Prinzip gefunden zu haben, aus dem die Welt hervorging. Dem Vielgötter-Glauben der Ägypter wollte er ein Ende bereiten. "Das war sein Traum. Alle Menschen sollten in der Wahrheit leben." Dennoch war er bemüht, das Land mit Liebe, Vertrauen und dem Grundsatz der Gewaltfreiheit zu regieren. Das kann nicht lange gut gehen. Und so kam es denn auch zur Katastrophe. Die Priesterkaste des Gottes Amun, ehemals der oberste der Götter, verteidigt dessen göttliche Vormachtstellung im Reich und damit die eigenen Pfründe. Schließlich verbündet sich der Klerus mit dem Militär - eine Mischung, die wohl noch kaum ein Staatsmann überlebt hat. Nur zur Ehre Amuns und um der Tradition willen, beteuert der Hohe Priester, habe man eingegriffen. Nur um die Sicherheit und die Ehre des Vaterlandes habe man sich gesorgt, erklärt der Heereschef. Am Ende ist Echnaton tot, gestorben nach kurzer, aber heftiger Krankheit, so die offizielle Version. Die Feinde werfen ihm Schwächlichkeit, Weltfremdheit und die Entmachtung der alten Gottheiten vor. Seine Freunde und Bewunderer schwärmen von seiner geistigen Stärke, seinem Glauben und seiner alles und alle umfassenden Liebe. 13 Leute werden von Merimun befragt, die Hohen Priester Amuns und Atons, die Militärführung, Echnatons Polizeichef, die Familie bis hin zur obersten Haremsdame.

Unbefriedigt stellt der Leser nach diesen vielen Erzählungen fest, daß er der Wahrheit kaum einen Schritt näher gekommen ist. Bis der Erzähler am Ende vordringt zu seiner vierzehnten Interview-Partnerin, zur ehemaligen Königin Nofretete, der Frau des Echnaton, ein Wunder an Schönheit und Klugheit und schon zu Lebzeiten gleich ihrem Gatten ein Mythos. Auch sie darf am Ende ihre Version erzählen und einige der wüsten Gerüchte entkräften, die über das Pharaonenpaar im Umlauf sind. Am Ende steht nicht die Erkenntnis der Wahrheit, aber ein junger Mann, der sich für seine Wahrheit entschieden hat.

Nagib Machfus ist ein Erzähler in einem sehr ursprünglichen Sinne dieses Wortes: Er schreibt Geschichten, die sich Menschen gegenseitig erzählen, die sich wie ein pluralistisches Puzzle zur Wirklichkeit zusammenfügen und am Ende geschichtete Wahrheit bilden. Machfus, 1988 Arabiens erster Literatur-Nobelpreisträger, ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch einer der bedeutendsten Kulturkritiker seines Landes. Und so ist Echnaton nicht nur ein historischer Roman. Thomas Mann hat schon in den 40er Jahren Echnatons Glaubensrevolution im Roman "Joseph und seine Brüder" zu einem Akt der Aufklärung stilisiert. Mit Joseph an seiner Seite wurde Echnaton zu einer Symbolfigur des Humanismus, die Mann im Exils der Herrschaft der Nationalsozialisten entgegenstellen wollte. Machfus schreibt mit der Geschichte des wahrheitsliebenden Pharao auch eine Parabel über das moderne Ägypten mit seinem religiösen Fanatismus und der Machtgier seiner Führungseliten. Damit ist dieser Roman, der im Original schon 1985 erschien, heute aktueller denn je.

Titelbild

Nagib Machfus: Echnaton. Aus dem Arabischen von Doris Kilias.
Unionsverlag, Zürich 1999.
187 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3293002676

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