Zwischen Himmel und Hölle

Philip Roths Roman "Das sterbende Tier"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mal wünscht man ihm den Nobelpreis, und wenig später würde man ihn am liebsten in verdammen - mal erklimmt er den literarischen Olymp, dann stürzt er wieder ab in die Untiefen der Trivialität. Philip Roth, der am 19. März seinen 70. Geburtstag feiert, hat mit seinen Büchern in den letzten Jahren höchst ambivalente Gefühle entfacht.

Nach den großartigen Romanen "Amerikanisches Idyll" (1998) und "Mein Mann, der Kommunist" (1999) strapazierte er die Geduld der Leser mit seiner in Alliterationen vernarrten Hauptfigur Word Smith in "The Great American Novel" (2000). Im letzten Jahr hat sich der Pulitzer-Preisträger mit "Der menschliche Makel" fast bis zum Gipfel des Olymps vorgekämpft. Und nun wieder der jähe Fall - ohne Netz und doppelten Boden.

"Männer und Frauen reagieren nun einmal auf Schönheit, das ist schon seit einer geraumen Weile so. Jedes Argument dagegen ist reine Kinderei. Sex verleiht Macht, und jemand, der über diese Macht verfügt, schüchtert uns ein - was soll man dagegen tun?", bekannte Roth im letzten Jahr in einem Interview.

Um Sex und Macht geht es in seinem neuen schmalen Roman "Das sterbende Tier". Diesmal begegnen wir als Hauptfigur nicht Roths Alter ego Nathan Zuckerman, sondern dem zuletzt 1977 im Roman "Professor der Begierde" aufgetauchten Literaturexperten David Kepesh. Der Kafka- und Tschechow-Spezialist ist älter geworden (steht wie Roth vor seinem 70. Geburtstag), hin und wieder tritt er als Literaturkritiker im Fernsehen oder im Radio auf, und an der Universität beschränkt er sich auf ein Seminar "Praktische Kritik".

"Junge Frauen fühlen sich hoffnungslos zu Berühmtheiten hingezogen", heißt es im Roman. Es ist zwar wenig plausibel, dass Kepesh in der amerikanischen Mediengesellschaft eine "Größe" ist, aber für die Konstruktion des Romans hat ihm Roth wohl diesen Ritterschlag verpassen müssen.

Die Studentinnen liegen Kepesh nicht nur zu Füßen, sondern auch im Bett an seiner Seite. Er genießt die Abenteuer, die ihn von Semester zu Semester begleiten, und dies unterstreicht Roth dann mit trivialen Sätzen vom Kaliber "wie sie wissen, bin ich für weibliche Schönheit empfänglich."

Doch damit war Schluss, als der Protagonist der kubanischen Studentin Consuela Castillo begegnete. Das Verhaltensmuster ändert sich, Kebesh ist der 38 Jahre jüngeren Frau verfallen, setzt sich mit seinem Alter auseinander und entwickelt latente Eifersucht auf einen potenziellen jüngeren Nachfolger. Dieses Handlungsmotiv bildet die stärkste Sequenz in Roths Roman, doch leider wird es unter dem Geröll schwülstiger Altmännerfantasien (wie wir sie in ähnlicher Form auch von John Updike kennen) verschüttet.

Erinnern wir uns: Jener Kafka-Spezialist Kebesh delirierte vor einem Vierteljahrhundert auf den Spuren von Gregor Samsa, doch er fand sich nicht als Käfer, sondern als überdimensionale weibliche Brust wieder. An diese Mixtur aus realer Begierde und beinahe manischer Obsession knüpft Roth wieder an, denn Kebesh liebt nichts so sehr wie weibliche Brüste. Und wie? "Sie ist eine große Frau mit einem großen Busen. Die oberen beiden Knöpfe ihrer Seidenbluse sind geöffnet, so dass man sehen kann, dass sie ausladende, wunderschöne Brüste hat." Wenig später wandern Blicke auf das "wunderschöne Dekolleté" und "ihren wunderschönen Körper." Das liest sich so sinnlich oder unsinnlich, als wenn ein Motorjournalist über ein neues Formel 1-Triebwerk berichtet. Statt der PS-Zahl erfahren wir als "technisches Detail" die Körbchengröße des BH.

Mit dem alternden Frauenheld Kebesh hat Philip Roth gewiss eine Karikatur, eine Zuspitzung des amerikanischen Bildungsbürgers im Sinn gehabt, für den die sexuelle Revolution die größte Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war. Doch von der künstlerischen Umsetzung, die (ohne jede Nuancierung) allein den wollüstigen Gedanken des Protagonisten gehorcht, hätte man mehr erwarten dürfen.

In William Butler Yeats' Gedicht "Sailing to Byzantinum" ist jemand "krank vor Begehren und gefesselt an das sterbende Tier." So ähnlich ergeht es am Ende auch David Kepesh, als er von Consuelas ("el consuelo" = dt. der Trost) Krebskrankheit erfährt. Alles ist vergänglich: das Leben, die Liebe, die Jugend und - so möchte man nach der Lektüre dieses Romans anfügen - irgendwann auch der literarische Ruhm.

Titelbild

Philip Roth: Das sterbende Tier. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
164 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3446202730

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch