Italien ohne Klischees

Friederike Hausmanns "Kleine Geschichte Italiens von1945 bis Berlusconi"

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bei aller Begeisterung für Bella Italia bleibt das Wissen über italienische Verhältnisse in Deutschland sehr oberflächlich. Das politische Geschehen im Nachbarland wird auch von Journalisten gern auf Mafia, Papst und Regierungschaos reduziert. Das liegt nicht nur an mangelndem Interesse, sondern auch an der Komplexität italienischer Verhältnisse, die sich in kleinformatiger Berichterstattung kaum hinreichend erklären lassen. Friederike Hausmanns "Kleine Geschichte Italiens" kann da Abhilfe schaffen, denn die Autorin stellt die jüngsten italienische Ereignisse und ihre historischen Hintergründe ganz ohne Klischee und Chaos dar.

Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Kenntnisse der italienischen Nachkriegsgeschichte bei uns so spärlich sind, denn es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Italien und Deutschland, wie z. B. alliierte Besatzung, Marshallplanhilfe, EWG, Wirtschaftswunder, NATO-Mitgliedschaft. Allerdings sind auch zahlreiche Unterschiede zu konstatieren, denn die Geschichte des zeitgenössischen Italiens fängt schon 1943 an, sagt Friederike Hausmann und macht dieses Jahr zum Ausgangspunkt ihrer Darstellung. Sie zeigt, dass im Laufe dieses Schlüsseljahres sich die politischen Konstellationen herausbildeten, die die Nachkriegszeit Italiens nachhaltig prägten. Nach der Landung der Alliierten in Sizilien und der Absetzung Mussolinis im Juli 1943 gab es für zwei Jahre keine einheitliche, staatliche Autorität im Land. Die Deutschen hatten Norditalien fest im Griff, hier hatte auch der von deutschen Truppen befreite Mussolini seinen Marionettenstaat. Im Süden herrschte des Königs Marschall Badolglio mit Hilfe der Alliierten. In Mittelitalien lieferten sich Resistenza und deutsche Truppen erbitterte Gefechte, bald gab es aber befreite Städte und Gebiete, in denen die Partisanen vom nationalen Befreiungskomitee CLN das Sagen hatten. Die Protagonisten des CLN, bzw. dessen wichtigste Parteien, die Christdemokraten (DC) und die kommunistische Partei Italien (PCI), waren es auch, die die politische Nachkriegsordnung Italiens bestimmten. Diese Parteien bestimmten auch die erste italienische Nachkriegsregierung. Die Autorin beschreibt, wie es in der Aufbruchstimmung nach dem Krieg gelang, per Volksabstimmung die Monarchie abzuschaffen und in der Verfassung auf republikanische Traditionen des Risorgimento zurückzugreifen. Allerdings drängten die Amerikaner und die katholische Kirche auf Ausschluss der Kommunisten aus der Regierung, was nach Wahlen des Jahres 1947 auch geschah.

Nach einer ebenso knappen wie präzisen Schilderung der Ausgangskonstellationen macht sich Hausmann an die Beschreibung der Parteienlandschaft, die wenig Ähnlichkeit mit der Konstellation vor dem Faschismus hatte. Für Hausmann ist das wichtigste Novum die starke Beteiligung der katholischen Kirche am italienischen Staat, schließlich erfolgte die ursprüngliche Gründung des italienischen Staats gegen erbitterten Widerstand der römischen Kurie. Die Autorin verweist darauf, dass sich die katholische Kirche bereits während des Faschismus durch die Gründung der christdemokratischen DC darauf vorbereitete, Italiens Nachkriegszeit zu dominieren. Während die DC eine Gründung von Oben war, verfügte ihre Gegenspielerin, die kommunistische Partei Italiens, über eine weitverzweigte Basis und reichlich Rückhalt unter Künstlern, Akademikern und Intellektuellen, was den Kommunisten eine über Italien hinausgehende Leuchtkraft verschaffte. Auch wenn Hausmann die Rolle des PCI Vorsitzenden Togliatti in der Regierung der antifaschistischen Einheit zu Recht kritisch beurteilt, rühmt sie dessen Rolle beim Aufbau der Massenpartei und der Entwicklung des Eurokommunismus.

Hausmann beschreibt sachlich, aber eindringlich wie rabiat-reaktionär das politische Klima in Nachkriegsitalien war: Die katholische Kirche nutzte ihren gesamten Einfluss im Kampf gegen den Kommunismus, die DC regierte nach Gutsherrenart und durch die Marshallplangelder wurden die alten Eliten gestärkt. Kommunistische Funktionäre lebten gefährlich, denn es kam immer wieder zu Übergriffen. Nach einem Attentat auf Togliatti drohte gar Bürgerkrieg, dessen Ausbruch nur durch die schnelle Genesung des PCI Vorsitzenden vermieden wurde. Weiten Teilen des Establishments, des Militärs und der Polizei reichte ihr politischer Einfluss trotzdem nicht aus, sagt Hausmann, denn besonders in den sechziger Jahren wurden immer wieder Putschpläne aufgedeckt, die von Neofaschisten und dem rechten Flügel der DC ausgeheckt worden waren.

Die Heftigkeit mit der die Rebellion von 1968 in Italien ausbrach, erklärt die Autorin mit der erdrückenden Macht des Establishments und der deprimierenden Rückständigkeit des gesellschaftlichen Lebens. Die Studentenrebellion löste einen radikalen Modernisierungsschub in Italien aus, zu den wichtigsten Protagonisten wurde die Frauenbewegung, die die italienische Gesellschaft am nachhaltigsten veränderte. Die Parteien der Rechten wie der Linken taten sich jedoch schwer mit der Aufbruchstimmung in der Zivilgesellschaft, wichtige Reformen, wie z. B. die Einführung der Ehescheidung konnten nur per Volksentscheid durchgesetzt werden. Die rabiate Rechte Italiens konnte sich mit dieser Modernisierung und dem gewachsenen Selbstbewusstsein der Arbeiterbewegung wie der Frauen nicht abfinden, es folgte eine Welle des schwarzen Terrors. Daraufhin formierte sich in der außerparlamentarischen Linken ein militanter Flügel, der sich dem bewaffneten Kampf verschrieb. Besonders die kommunistische Partei wurde zur Zielscheibe, da sie sich als unfähig erwiesen hatte, die Forderung der außerparlamentarischen Linken aufzunehmen und stattdessen die Idee vom historischen Kompromiss mit den Christdemokraten verfolgte, was die jungen Leute sehr erbitterte. Mit dieser Wut erklärt Hausmann die verworrenen ,Bleiernen Jahre', in denen Italien vom Terror der Roten Brigaden geplagt wurde.

Die Entführung und Ermordung des christdemokratischen Vorsitzenden Aldo Moro bezeichnet Hausmann als Wendepunkt in der italienischen Politik. Einerseits griff der Staat gegenüber den Roten Brigaden danach zu radikalen Mitteln, andererseits blieben wichtige Fragen in der Affäre Aldo Moro unbeantwortet. Wenig rühmlich war die Rolle der DC, die ihren entführten Vorsitzenden einfach fallenließ. Anschaulich schildert Hausmann wie die Christdemokraten in den achtziger Jahren nach der Ermordung Moros von einem Skandal zum anderen stolperten, darunter die Affäre Sindona und die Entdeckung der Loge P2. Es gab zunehmend den Eindruck in der italienischen Öffentlichkeit, dass die wirkliche Macht im Staate bei einem Bündnis von Kriminellen, machtgierigen Katholiken, Mafiosi und korrupten Christdemokraten liegen würde. Hausmann ergreift nicht für die eine oder andere der bis heute kursierenden Verschwörungstheorien Partei, aber es wird deutlich, dass die Christdemokraten, die Italien seit Kriegsende beherrscht hatten, über einige sehr zweifelhafte Verbindungen verfügten. Dies sahen auch die Wähler so, die statt DC immer häufiger die Sozialistische Partei wählten, die aber seit dem Aufstieg Bettino Craxis zum Vorsitzenden ihrem Namen keine Ehre machte und zunehmend einen neoliberalen Kurs verfocht.

Eindringlich beschreibt Hausmann wie Italien Anfang der neunziger Jahre kopflos in die Krise schlitterte, die DC war diskreditiert, die wichtigste Oppositionspartei, die PCI, nach dem Fall der Mauer in der Dauerkrise, im Süden ermordete die Mafia jeden, der sich ihr entgegenstellte und im Norden forderte die Lega Nord die Abspaltung des wohlhabenden Nordens. In dieses politische Vakuum stießen mutige Staatsanwälte, die 1992 nach der Ermordung zweier prominenter Kollegen durch die Mafia die Verflechtungen zwischen organisiertem Verbrechen und DC schonungslos aufdeckten. Noch folgenschwerer waren aber die Ermittlungen der Mailänder Staatsanwaltschaft, die ebenfalls 1992 die auch vordem nicht sonderlich geheime Tatsache offen legten, dass in Italien nichts ohne Korruption lief. Das Ausmaß in dem Christdemokraten und vor allem Craxis Sozialisten Regierungshandeln von Schmiergeldern abhängig machten, überraschte auch gut informierte Bürger. Hausmann zeigt, wie die Staatsanwälte mit ihrer Aktion ,Mani pulite' die politische und wirtschaftliche Elite im wahrsten Sinne des Wortes auf die Anklagebank und damit das alte Regime zum Einsturz brachte. Was folgte waren Übergangsregierungen und eine Neuordnung des Wahlrechts. Die Rechte, die die Regierungsgewalt jahrelang als ihr Eigentum betrachtet hatte, gab sich so schnell nicht geschlagen. Bei den Wahlen des Jahres 1994 siegte überraschend Silvio Berlusconis mit seiner Formation ,Forza Italia', die die Autorin nicht als Partei bezeichnen mag. Sie macht zudem deutlich, dass Medienzar Berlusconi vor allem dank seiner populären Fernsehkanäle siegte, die unaufhörlich Werbung für die Politik ihres Besitzers machten.

Mit den Wahlen des Jahres 1994 beginnt für Hausmann die zweite Republik, deren Anfangsphase sich kaum von der Endphase der ersten unterschied. Die Regierung, die Berlusconi mit seinen Bündnispartnern von den Neofaschisten und der Lega Nord bildete, stürzte mit ihrem Dilettantismus das Land noch tiefer ins Chaos. Im Dezember 1994 wurde Berlusconi unter reger Beteiligung des Staatspräsidenten Scalfaro schließlich gestürzt. Nach einer erneuten Übergangsregierung schaffte es die nunmehr zur sozialdemokratischen DS gewordene PCI zusammen mit ihren Bündnispartnern endlich die Wahlen zu gewinnen und die erste linke Regierung Italiens zu bilden. Hausmann beurteilt deren Leistungen recht positiv, immerhin gelang Regierungschef Prodi die Sanierung der maroden Staatsfinanzen und die Aufnahme Italiens in die Eurozone. Letztlich habe die Linke aber durch ihre Uneinigkeit wie auch durch ihren Mangel an Entschlossenheit der rechten Opposition gegenüber versäumt, ihre Machtposition zu festigen, so dass es dem Rechtsbündnis unter Führung Berlusconis gelang, die Wahlen im Mai 2001 zu gewinnen. Die abgebrochene Reform der Staatsinstitutionen gibt ihm eine Machtfülle, die in Europa ihres gleichen sucht und die Berlusconi skrupellos zur Förderung der eigenen Interessen einsetzt, sagt Hausmann, die in diesem Zusammenhang von einer "Aushöhlung der Demokratie" spricht. Sie beendet ihre Geschichte Italiens mit einem kurzen Überblick über die oppositionellen Kräfte, die nicht von der seit ihrer Wahlniederlage vollkommen desorientierten DS angeführt werden, sondern von der außerparlamentarischen Bewegung. Die zahlreichen Basisinitiativen, Professoren, Schriftsteller, Gewerkschafter und der Filmemacher Nanni Moretti sind einzige Kraft in Italien, die sich Berlusconi energisch entgegenstellt, sagt die Autorin.

Mit ihrer Schilderung vom unaufhaltsamen Aufstieg des Silvio Berlusconi gelingt es der Autorin ausgesprochen komplizierte und komplexe historische Prozesse knapp und verständlich zu schildern, ohne dabei zu sinnentstellenden Verkürzungen und Simplifizierungen zu greifen. Nur wer mit den Widersprüchen und konkurrierenden Interpretationen bei der Deutung der jüngeren italienischen Geschichte vertraut ist, kann die Darstellung der Autorin recht würdigen. Einzig bei der Schilderung der ,Bleiernen Jahre' kommt ihr die Klarheit der Darstellung manchmal abhanden. Lobenswert ist auch, dass Hausmann ihre Geschichte Italiens nicht auf die Politik beschränkt, was bei den häufigen Regierungswechseln in Italien eine recht fade Geschichte gewesen wäre. Hausmann versucht zumindest kurz auch auf die Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft einzugehen. Bedauerlich ist einzig, dass der Bereich der Kultur weitgehend ausgeklammert bleibt, denn hier finden sich die unbestrittenen Glanzlichter der italienischen Nachkriegsgeschichte.

Titelbild

Friedericke Hausmann: Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis Berlusconi. Erweiterte und aktualisierte Neuausgabe.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002.
240 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-10: 3803124484

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