Notwendige Ergänzungen zum Verständnis der "Banalität des Bösen"

Irmtrud Wojaks aufklärende Bemerkungen zu "Eichmanns Memoiren"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als 1961 in Jerusalem der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann stattfand, lernte man einen Mann von biederer Korrektheit kennen. Ein Bürokrat, der sich mit penibler Akkuratesse in den Vernichtungsapparat des NS-Regimes eingliederte. Die Unfähigkeit dieses Mannes, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und in ihm ein schuldhaftes Tun zu erkennen, legte ein Muster offen, dass die damalige Prozeßbeobachterin Hannah Arendt in der Formel von der "Banalität des Bösen" zusammenfasste. Die einleuchtende Formel hatte freilich einen ungewollten Nebeneffekt: die Schuldunfähigkeit des funktionierenden ,Befehlsempfängers' lenkte die Verantwortlichkeiten noch oben, dorthin, von wo ,die Befehle' kamen. Eine bequeme Entlastungsformel, die lange Zeit die Frage nach Antrieb und Motivation der Täter blockierte.

Irmtrud Wojak ergänzt nun in ihrem "kritischen Essay" die "Banalität des Bösen" um diesen Aspekt. Deutlich wird, dass Eichmann zwar einerseits das gut funktionierende Detail im mörderischen System der NS-Vernichtungspolitik war, daß er aber anderseits auch einen produktiven Teil zum Funktionieren des Mordunternehmens beitrug: der ,Spezialist' Eichmann war eine Idealbesetzung im Reichssicherheitshauptamt, weil er ein überzeugter Nazi-Täter war.

Diese Erkenntnis ergibt sich zunächst aus der Beschäftigung mit den Aufzeichnungen Eichmanns, die fälschlicherweise oft als "Eichmanns Memoiren" in der Öffentlichkeit kursier(t)en. Wojak rekonstruiert die Entstehung dieser verschiedenen Textkonvolute und benennt deren vordringliche Funktion: Es sind selbstmitleidige Rechtfertigungsversuche, die in ihrem schwiemelig bedeutungsschwangeren Selbstbezug immer auch Eichmanns Gestaltungsdrang beweisen.

Das trifft bereits für das sogenannte "Sassen-Interview" zu - eine fast 800 Seiten starke Abschrift von Gesprächen, die der ebenfalls im argentinischen Exil lebende ehemalige niederländische SS-Offizier Wilhelm Sassen mit Eichmann Ende der 50er Jahre geführt hatte. Sassen plante mit den ,Fachkenntnissen' seines Gesprächspartners eine revisionistische Veröffentlichung, mit der "die Legende" von der Ermordung sechs Millionen Juden widerlegt werden sollte. Eichmann indes verfolgte ein anderes Interesse. Er wollte dem "Satansbild", das seit den Nürnberger Prozessen, als gegen ihn schwere Vorwürfe erhoben worden waren, von ihm in der Öffentlichkeit gezeichnet wurde, mit eigenen Richtigstellungen begegnen.

Nach Eichmanns Enttarung in Argentinien und seiner Entführung nach Jerusalem versuchte Sassen das Material zu vermarkten. Es erschienen Auszüge im "Stern" und im "Time/LIFE-Magazin". Ebenfalls auf Sassens Material basierte das 1980 im rechtsgerichteten Druffel-Verlag erschienene "Ich, Adolf Eichmann. Ein historischer Zeugenbericht".

Neben dem "Sassen-Interview" bilden die Aufzeichnungen, die Eichmann während seiner Haftzeit in Israel verfasste, den Kern der "Eichmann-Memoiren". Es handelt sich dabei um die 80seitigen Aufzeichnungen, die Eichmann "Meine Memoiren" nannte, und die 1206 Seiten handschriftlicher Aufzeichnungen, die in gekürzter Form unter dem Titel "Götzen" zur Veröffentlichung vorgesehen hatte.

Doch nach Eichmanns Hinrichtung hielten die israelischen Behörden den Text unter Verschluss. Erst im Zuge einer intensiveren Beschäftigung mit den Tätermentalitäten gelangte das schwer erträgliche selbstmitleidige Gemurmel eines nicht zuletzt durch den Prozess von seiner eigenen Bedeutsamkeit berauschten kleinen Mannes wieder in den Blickpunkt. Konnte man auch neue Anhaltspunkte zum Ablauf der Vernichtungsmaschinerie aus Eichmanns Notaten nicht ziehen, so vermittelt(e) der Text (im Internet: hagalil.com/shoah/eichmann/goetzen.htm) doch Aufschlüsse über die Denkmuster eines überzeugten Nazi-Täters, der glaubte, sich und sein Bestes "Göttern" verpflichtet zu haben. Als diese ihn enttäuschten wurden sie zu "Götzen".

Eichmann war, das zeigt Wojaks Darstellung seiner ,Karriere', ein ehrgeiziger Mitarbeiter seiner "Götter". Er entsprach dem Idealbild eines ebenso disziplinierten wie bei Bedarf rücksichtslosen "Vernunftantisemiten", wie Himmler sie sich in seinem Apparat wünschte. Ulrich Herbert hat in seiner biographischen Studie "Best" über den Leiter im Reichssicherheitshauptamt Werner Best eindrucksvoll beschrieben, welche Rolle die ,Intellektuellen' bei der Umsetzung der NS-Politik spielten. Überzeugt von den weltanschaulichen Maximen der völkisch-nationalsozialistischen ,Rassenpolitik' vollstreckten sie in einem selbsterklärten "heroischen Realismus" die notwendigen Maßnahmen professionell, sachlich-fachlich korrekt - und immer ohne persönliche Feindschaft oder gar Hass auf den ,Gegner', den sie ,effizient' zu vernichten suchten. Eichmann entsprach diesem Typus auf Abteilungsleiterebene.

Sein subalternes Funktionieren war dabei in hohem Maße ,produktiv' und immer auf der Höhe der von seinen "Göttern" verlangten ,offiziellen' Politik. So verlief Eichmanns Karriere parallel zur Radikalisierung der Zwangsmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung. Er begann als Auswanderungsexperte, der die ,freiwillige' Auswanderung der Juden für das Reich profitabel organisierte. Als im Zuge der groß angelegten Umsiedlungspolitik in den Jahren 1939 bis 1941 in Polen Platz für volksdeutsche Ansiedler geschaffen werden musste, wurde Eichmann zum "Räumungsbeauftragten" und Deportationsexperten. Doch die von ihm in der "Judenfrage" angestrebten Lösungen wie die Einrichtung eines "Judenreservates" im Gebiet Radom/Lublin ("Nisko-Projekt") oder die sogenannte "territoriale Lösung", die die zwangsweise Ansiedlung aller Juden irgendwo "weiter im Osten" oder in Madagaskar vorsah, scheiterten. Statt dessen begann die planmäßige Ermordung der Juden. Nun dirigierte der Spezialist die Menschentransporte anstandslos und gewissenhaft in die Vernichtungslager. In seinen Rechtfertigungen verweist Eichmann darauf, dass seine "schöpferischen Ideen" zur Lösung der "Judenfrage" durch das Umsiedlungsprogramm von Beginn an mit Schwierigkeiten behaftet war und schließlich an der allgemeinen Unfähigkeit der mit dem Programm beschäftigten Stellen scheitern musste. Für die daraus sich ergebenden Folgen könne man ihn also nicht verantwortlich machen. Spürbar wird die Enttäuschung eines Erfüllungsgehilfen, der sich in seiner planerischen und exekutiven Kompetenz nicht wie erhofft gewürdigt sah.

Wojaks Essay klärt über den Charakter der "Eichmann-Memoiren" auf: sie sind ein wehleidiges Rechtfertigungsprojekt, dessen schierer Umfang und ein pseudo-wissenschaftlicher Gestus Bedeutsamkeit behaupten möchte. Tatsächlich aber sind sie ,nur' ein wortreicher Ausdruck der Unfähigkeit eines Täters, für die eigenen Taten Verantwortung zu übernehmen - geschweige denn Schuld anzuerkennen. Den ebenso billigen wie typischen Verweis des Täters auf Befehlsnotstand und Nichtzuständigkeit entlarvt Wojak als Lüge: Eichmann war ein engagierter Täter.

Titelbild

Irmtrud Wojak: Eichmanns Memoiren. Ein kritischer Essay.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
280 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 359336381X

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