Auf dem Land, da bringt man dich um

Silvia Szymanski fährt die "652 km nach Berlin" nicht

Von Daniel BeskosRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Beskos

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Allem und Jedem schlummert etwas Böses, alles ist von Grund auf schlecht, die Männer sind Verbrecher und nutzlos, missbrauchen die Frauen als Objekte: "Männer suchen genau so eine kleine Frau zum Spielen und kaputt machen", schreibt sie. Die Frauen sind dadurch ihrer Hoffungen beraubt und nun entweder resigniert oder Schlampen, in jedem Falle kaputt.

Ein Roman aus der Provinz. Das ist der Aufhänger: Silvia Szymanski präsentiere hier das Gegenmodell zum ausgelaugten Großstadtroman, zumindest wenn man dem Klappentext glaubt. Das Verbleiben in der Provinz also mal nicht als resigniertes Zurückblieben, als der "einfache Weg" in vertrauter Umgebung und in bekannten Strukturen, sondern vielmehr als Aushalten, als ständiger Kampf, und auch als bewusste Entscheidung gegen das "leichte" Leben in der Großstadt, wo "der Bär tanzt". Soweit die Vorgaben.

Silvia Szymanski, die in ihrem letzten Roman "Agnes Sobierajski" mit sexuell-freizügiger Sprache für Aufmerksamkeit sorgte, bleibt in diesem Buch wesentlich zurückhaltender. Erneut siedelt sie ihre Geschichte in der niederrheinischen Provinz an, in der Welt von Reihenhäusern, Landstrassen und kleinbürgerlichen Nachbarschaftsgesprächen. Sophia und ihr Freund Amir schlagen sich dort gemeinsam durch, verbringen ihre Tage zwischen Hilfsjobs, Familienfeier und Freibad, zwischen gepflegter Langeweile und leichter Depression. Dazwischen hat Szymanski traumartige, surrealistische Szenen eingeflochten, in denen die Protagonistin Sophia ihre Situation - ihr Leben, die Provinz, die Ereignisse der letzten Zeit - verarbeitet, oder man sollte vielleicht besser sagen: noch mal durchkämpft. Zum Schluss gelangt das Unwirkliche auch an die Oberfläche der Handlung: Sophia und Amir finden beim Entrümpeln eines alten Hauses ein Grab im Keller, in dem nicht nur einige Menschenknochen aus dem Mittelalter liegen, sondern auch gleich noch eine Kiste mit Münzen und Schmuck.

Man kann nicht gerade behaupten, dass Szymanskis Buch oberflächlich wäre. Und dennoch wird das wahre Wesen des Begriffs "Provinz" - oder auch: "Heimat" - nicht deutlich genug. Sie bleibt einerseits bei äußerlichen Beschreibungen der kleinbürgerlichen Welt hängen, die zwar richtig erscheinen, aber doch auch so typisch, so klischeehaft, dass man sich zu Recht fragen muss, ob sich nicht auch eigene, treffendere und spezifischere Beispiele hätten finden lassen.

Oder sie möchte andererseits psychologisch interpretieren und wird ganz schnell polemisch und gehässig. Dadurch schränkt sie sich auch in ihren Möglichkeiten ein: Man hat immer das Gefühl, sie wisse schon ganz genau, was sie mit der jeweiligen Situationsbeschreibung sagen möchte, sie lässt dem Leser nie genug Spielraum für eigene Deutungen, sondern drängt immer recht deutlich ihre Aussage auf. Und diese geht immer in eine Richtung: Noch ist es so wie es ist, aber es könnte sofort auch schlimmer werden.

Und auch am Aufbau der Geschichte gibt es viel zu kritisieren: Es gibt keinen wirklichen Handlungsstrang, oft werden einfach nur die Umgebung und die Menschen beschrieben, natürlich immer in Kombination mit dem ihr eigenen negativen Unterton. Sicher gibt es Bücher, in denen genau auf diese Weise die Beschreibung eines bestimmten Lebensgefühls vor sich geht, doch hier funktioniert das leider nicht, dafür bleiben die Bilder zu blass, zu uncharakteristisch.

In der Tat wird hier eine Gegenwelt zum Großstadthype kreiert, aber es wird noch nicht bis zur letzten Konsequenz durchgehalten. Aus der sprachlich wie inhaltlich soliden Grundlage hätte mehr werden können. Es wird kaum klar, welche Position die Protagonisten ihrer Situation gegenüber beziehen: Warum ziehen sie einerseits so verbittert über die ihnen verhasste Provinz her, suchen sich aber andererseits auch keine Perspektiven für mögliche Veränderungen? Woher kommt diese Resignation, dieses Reduzieren der eigenen Ansprüche? Immerhin findet sich hier eine Reduktion, die so weit geht, bis es kaum mehr eine Reibung oder Störung mit der Außen- und Umwelt gibt.

Auf der dem Buch beiliegenden CD "Das Land Vier" liest Szymanski Passagen aus ihren Büchern "Agnes Sobierajski", "Kein Sex mit Mike" und auch ein Kapitel aus "652 km nach Berlin". Begleitet wird sie von ihrer Band "Tortuga Jazz". Hier wird der oben beschriebene Eindruck von Suggestivität noch verstärkt: Szymanskis niederrheinischer Dialekt und ihre Art, die Sätze zu betonen, verbinden sich zu einer eigenartigen Kombination, deren Unteron etwas Verschwörerisches hat, bei dem sich ablesen lässt: Die Gefahr ist immer da, ein Zusammenbruch der scheinbar so heilen Welt jederzeit möglich.

Titelbild

Silvia Szymanski: 625 km nach Berlin. Roman.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002.
208 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3455076009

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch