Yeah, but is it art?
Ein Ausstellungskatalog präsentiert "Die vielen Gesichter des Robert Crumb”
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEigentlich müsste die Frauenwelt Crumb ja dankbar sein. Werden ihr doch bei ihm keine Fliegengewichte à la Ally McBeal als Ideal präsentiert, die mit ihren "Traummaßen" in ihren nicht ganz so "perfekten" Geschlechtsgenossinnen jenen Leidensdruck erzeugen, dem bekanntlich nicht nur magersüchtige Teenies zum Opfer fallen.
Am Boom der mit Skalpell und Fettabsaugpumpe bewehrten Schönheitsindustrie hat Crumb ganz sicher keinen Anteil. Seine Frauen sind wahre Amazonen, Traum und Albtraum von solch schmalbrüstigen Männlein, wie Crumb einer ist. Ausgerechnet mächtige Schenkel und große Füße zieren ihre Üppigkeit. Crumbs Ehefrau, die Comic-Zeichnerin Aline Kominsky, in jeder Hinsicht die Personifikation seines eigenwilligen Frauenideals, bekannte einmal, dass es Crumb gewesen sei, der sie nach Jahrzehnten des Leidens gelehrt habe, ihren Körper zu lieben. Für all jene Aktivistinnen und Feministinnen aber, für die der als "Pornograph" und "Frauenfeind" verschrieene Crumb seit den 60er Jahren eine Zielscheibe von Hassausbrüchen und Attacken darstellt, hat er eine Dartscheibe gezeichnet, zum Ausschneiden: mit einem vor Gier und Trieb glotzäugigen, sabbernden "Crumb" in der Mitte. Das Zentrum der Scheibe markiert seine unmissverständlich ausgebeulte Hose. Crumb der Triebtäter - wie der Zeichner sich vorstellt, dass frau ihn sich vorstellt. Oder einfach wie Crumb sich mit masochistischer Lust gerne selbst präsentiert?
Auf einer anderen Zeichnung zeigt er sich nervös mit einer Tasse Kaffee in Händen, das Gesicht unsicher fragend dem Betrachter zugewandt: "Yeah, but is it art?" steht in der Sprechblase. Die Frage ist getrost mit "Ja" zu beantworten. Dass Crumb einer der ganz Großen des 20. Jahrhunderts ist, davon dürften die letzten Zweifler überzeugt worden sein, als er 1993 "Kafka for beginners" veröffentlichte, eine kongeniale Comic-Einführung in Kafkas Welt, die bewies, dass Crumb von ihm mehr verstand als die meisten Literaturwissenschaftler.
Als ein im Medium des Comics schaffender Künstler erscheint Crumb wie der lebende Beweis für die Richtigkeit der Freudschen Thesen von der Kunst als Tagtraum und Wunschbefriedigung: Sein bizarrer Bilderkosmos, die großartige Illustration und Ausmalung des anarchischen, von amoralischen Impulsen dominierten Unbewussten, wird bevölkert von Figuren wie Mr. Natural, dem bauernschlauen, rauschebärtigen, selbst ernannten Guru, oder Angelfood McSpade, der personifizierten Angst des weißen Mannes vor der starken, schwarzen Frau. Allesamt Teilaspekte der Crumbschen Psyche, Ausdruck der Wünsche, Begierden, Ängste, Obsessionen und Fetischismen. Ende der 60er sorgten Drogen, vor allem LSD, dafür, dass sein Zeichen-Universum explodierte; heute hat Crumb solche Unterstützung längst nicht mehr nötig. Wie nah am Abgrund diese multiple, schonungslose Selbstwahrnehmung aber operiert, zeigt das Schicksal seines Bruders Charles, der, ebenfalls ein begnadeter Zeichner, früh an einer Psychose erkrankte und sich vor wenigen Jahren das Leben nahm. Terry Zwigoffs eindrucksvolles Filmporträt ("Crumb", 1995) legt davon ein bewegendes Zeugnis ab.
Eine gelungene Einführung in dieses multiple Werk sind der von Severin Heinisch herausgegebene Band "Die vielen Gesichter des Robert Crumb". Der Begleitband zu einer Crumb-Schau im Karikaturmuseum Krems (Österreich) enthält neben Comic-Strips Coverentwürfe für diverse Magazine, Skizzen und unveröffentlichte Werke, quasi eine tour de force durch das Crumbsche Œuvre. Instruktive Textbeiträge von Jean-Pierre Mercier, André Heller, Robert Schindel, Friedrich K. Waechter, Harry Rowohlt und Michael Freund erhellen Hintergründe und historische Bezüge, etwa die Verbundenheit Crumbs mit den Bilderwelten Pieter Breughels d. Ä., William Hogarths und James Gillrays. Crumb-Verächter(inne)n sei die schon erwähnte Dartscheibe (S. 109) empfohlen.
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