Das Urteil lautet Freispruch

Heinz Ratz inszeniert Texte für Toleranz

Von Steffi SchwabbauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Steffi Schwabbauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unglaublich. Diese CD muss man gehört haben. Und wer Hörbücher bis jetzt langweilig fand, der sollte dem Medium eine Chance geben. Denn "Ich bin des Regenbogens angeklagt" ist ein wirklicher Hör-Genuss. Heinz Ratz - Weltenbummler, Schauspieler, Sänger und Texter - interpretiert hier nicht nur 33 Texte für Toleranz, gegen Kälte und Gewalt - so kündigt es das Cover an. Er inszeniert Lyrik.

Es ist vor allem seine Stimme, mit der er diese Scheibe zu einem Ohrenschmaus werden lässt - trotz beklemmender Texte. Und dabei scheint es fast, als bediene er sich ihrer, um sie klingen zu lassen. Um all ihre Facetten auszuschöpfen. Denn er seufzt, brüllt, haucht und rapt nicht nur, wie der Untertitel ankündigt. Er flüstert, näselt, röchelt, piepst, krächzt und schreit, dass man nie weiß, was einen als nächstes erwartet. Aber natürlich benutzt er die Texte nicht für sich. Das lässt schon das Thema nicht zu. Heinz Ratz formt sie und verschafft ihnen mit seiner abwechselnd atemlosen und ruhigen, aufgeregten und gedämpften, fragenden und wissenden Stimme eine unglaubliche Eindringlichkeit, die nachwirkt und festhält - auch weil er dazu dramatische, zaghafte oder aufgeregte Rhythmen, dunkle Klänge oder experimentelle Sounds komponiert hat, die die Wirkung noch verstärken. Nur wenige, wie sein eigenes Gedicht "Apokalyptische Landschaft", hat er vertont. Ansonsten belässt er es bei Sprache. Aber seine Worte, die werden zu Musik.

Toleranz wird im engeren Sinne vor allem gepredigt, wenn es um Rechtsradikalismus mit all seinen Varianten geht. Darum dreht sich auch eine Vielzahl der von Heinz Ratz ausgewählten Texte, die von 17 bekannten und unbekannten Autoren stammen. So in seinem eigenen Gedicht "Veteranen", in dem sich die Ewiggestrigen in ihren Erinnerungen baden: "phantasiebetrunken sieht man erneut sie steh'n in brauner Uniform/ Es scheint als hübe sich aus ihrem Unken Hitlers Geist und peitschte ihr Gemüt mit Zorn/ Schon winselt irgendwo ein Jude/ ein Türkenhund durch ihre Phantasie/ und der Preuße, der mit Frau aus Buxtehude/ in die Nachbarstraße zog und sie zusammenschrie/ Geifer tropft und Bierschaum, Hakenkreuzgehabe/ schlägt die Hakenkralle tief in ihre Lust/ und es kriecht wie eine Küchenschabe/ Hass und Mordgier aus der deutschen Brust". Stefan T. Pinternagels "Tretminen" beschäftigt sich mit der alltäglichen Intoleranz gegenüber allen, die anders sind. Da reicht es schon, Niederbayer zu sein. Ein solcher muss damit leben, dass die Hinterlassenschaften eines bestimmten Hundes nicht mehr "nur" vor dem Block liegen "wo die ganzen Türken drin wohnen", sondern seit neuestem auch vor seiner "Wohnungstür ein Haufen zu finden ist. Was vielleicht daran liegt, dass ich ein Niederbayer bin und eigentlich nicht hierher gehöre".

Mit seiner Textauswahl beschwört Heinz Ratz aber einen Toleranzbegriff im weiteren Sinne. Denn es geht um mehr als Duldsamkeit und Akzeptanz. Es geht auch ums Sehen. Michaela Seuls Thema ist in "Brauch" Kindesmisshandlung und -missbrauch. Heinz Ratz schließt ihren Text in die auf den kraftlosen letzten Tönen eines Klaviers gespielte Melodie des Kinderliedes "Hänschen klein" ein und liest mit leiser kraftloser Stimme: "Ja Mama. Gern erzähl ich dir alles, damit du weißt, warum du meine linke Hand auf das Backblech drückst. Entschuldige Mama. Kann dir nicht die rechte reichen. Die hast du gestern ins siedende Öl - Ich weiß, ich bin keine Entschuldigung wert. Es tut mir trotzdem Leid. Ja Vater. Gern zieh ich mich aus. Verzeih, dass ich so mager". Axel Kutschs "Mein Deutschland" wiederum hat Ratz aus mehreren Gedichten zusammengesetzt und lässt ein wenig Hoffnung aufkommen zwischen der "ganzen Korruption" und der "segensreich raffenden Unternehmergeneration", den "Kriegen und verpassten Siegen", denn: "Unentwegt flicken einsichtige Menschen ihr Haus, während sie die Spalte im Fundament mit Mörtel füllen, fallen die Ziegel vom Dach. Kaum sind sie oben, reißt der Boden wieder auf. Und darum mag ich dieses Land, weil ich hier ein paar Menschen fand".

Heinz Ratz entwirft mit seiner Text-Auswahl und seinen Interpretationen ein insgesamt dunkles Bild. Der Regenbogen leuchtet nicht. Bunt sind daran die verschiedenen Varianten alles Schlechten dieser Welt. "Ich bin des Regenbogens angeklagt" hat Heinz Ratz sein Höbuch genannt. Das Urteil lautet: Freispruch! Diese Texte zeigen zwischen den Zeilen eines sehr deutlich: Toleranz darf es nicht geben gegenüber der Intoleranz. Wäre Ratz bekannter - wie es etwa die Einstürzenden Neubauten waren - dann könnte er vielleicht sogar Jugendliche erreichen, die für Rechtsextremismus empfänglich sind. Es sind starke Texte, die er ausgewählt hat. Und die könnten auch für sich selbst stehen. Aber sie brauchen Heinz Ratz, um gehört zu werden. Um entdeckt zu werden. Es lohnt sich.

Titelbild

Ich bin des Regenbogens angeklagt. Texte von Thomas Brasch, Reiner Kunze, Lutz Rathenow, Dieter Wellershoff u. a. 1 CD. Geseufzt, gebrüllt, gehaucht und gerapt von Heinz Ratz.
Verlag Audiobuch, Freiberg 2002.
60 min., 14,90 EUR.
ISBN-10: 3933199727

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