Der Wal unter den Hörbüchern

Die Hörspielbearbeitung von Melvilles "Moby Dick" durch Klaus Buhlert

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mehr als 150 Jahre sind vergangen, seit Herman Melvilles Hauptwerk "Moby-Dick; or, The Wale" 1851 erschien. Die Rezeptionsgeschichte dieses wohl bekanntesten amerikanischen Romans stellt sich ebenso wechselreich dar wie die von Melvilles Gesamtwerk überhaupt. Von der zeitgenössischen Kritik teilweise als "stumpfsinnig und öde", als ein "Haufen Plunder" abgetan, erlangte "Moby Dick" erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wertschätzung, die ihm gebührt. Die ersten Filme wurden 1925 und 1930 gedreht, wobei wohl erst die Verfilmung von John Huston 1956 mit Gregory Peck als Kapitän Ahab dem Stoff zum Durchbruch beim breiten Publikum verhalf. Eine erste deutsche Übersetzung wurde 1927 veröffentlicht. Zwischen 1944 und 1956 erschienen allein vier bedeutende Fassungen auf Deutsch. Diese wiederum hat Matthias Jendis für seine Neuübersetzung, die im September 2001 im Hanser Verlag erschienen ist, verwenden können. Jendis' Übersetzung besitzt gegenüber anderen Ausgaben den Vorteil, dass sie auf den erst 1988 veröffentlichten vollständigen Text zurückgreift. Sie zeichnet sich zudem dadurch aus, dass es ihr gelingt, das Sperrige und Unebene in Melvilles Sprache zu übertragen, während es von früheren Übersetzern zu oft geglättet wurde.

Wenn man sich nun die Hörspielbearbeitung des Regisseurs und Komponisten Klaus Buhlert anhört, so erscheint es folgerichtig, dass ihr Jendis' Übersetzung zugrunde liegt. Auch Buhlert, der für seine Produktion zahlreiche namhafte Sprecher aufbieten kann, geht es um eine adäquate Übertragung des Melvilleschen Romans, nämlich um die in das Medium des Hörbuchs, wobei er die Holprigkeiten sowie das Polyphone des Textes mit verschiedensten Mitteln geschickt umzusetzen versucht.

Einer der Vorteile dieser Bearbeitung liegt nicht zuletzt in ihrer Länge. Ganze zehn CDs oder acht MCs mit einer Gesamtspieldauer von insgesamt ca. 540 Minuten stehen dem Hörer zur Verfügung, um in den chaotischen Kosmos des Weißen Wals und Kapitän Ahabs einzudringen. Dies erlaubt es Buhlert, der den Text umsichtig gekürzt hat, nicht nur eine rein auf die spannungsreichen Momente reduzierte Wiedergabe des Plots zu produzieren, sondern auch die zahlreichen Vorgeschichten, Nebenhandlungen und Exkurse zu integrieren, die das Ganze erst zu dem gigantomanischen Wurf machen, den "Moby Dick" darstellt. Es geht Buhlert vielmehr um das Erzeugen von Hörbildern, um die ursprüngliche Polyphonie des Romans umzusetzen.

Aber nicht nur vom Umfang, sondern auch von ihrer Qualität her kann diese Bearbeitung als der "Wal im Meer der Hörbücher" bezeichnet werden. Als eine kluge Maßnahme ist in diesem Zusammenhang beispielweise die vom Text nicht vorgegebene Zersplitterung des Erzählers in zwei Instanzen zu nennen. Die Hörspielbearbeitung unterscheidet hier zwischen dem ersten Erzähler "Ismael", der von Rufus Beck angenehm zurückhaltend gesprochen wird, und dem zweiten Erzähler "Melville". "Ismael" kommt dabei die Rolle des erlebenden, z. T. naiven Beobachters zu, während "Melville" den eher aus der Distanz agierenden, überlegen-kenntnisreichen Kompilator darstellt, der "durch ganze Bibliotheken geschwommen" ist. "Melville", von Felix von Manteuffel gesprochen, ist es auch, der die walkundlichen und anderen naturwissenschaftlichen Exkurse einschaltet.

Überhaupt wäre über die Sprecher viel zu sagen, wenn nicht schon (fast) alles bekannt wäre. Rufus Beck, Felix von Manteuffel oder Manfred Zapatka (als Ahab) sind Schauspieler, die aus dem deutschen Hörspiel-Betrieb mittlerweile nicht mehr wegzudenken sind. Die schwierige Aufgabe, einer so abenteuerlich-lebensfernen Figur wie Ahab Leben einzuhauchen, ihr stimmliche Individualität zu verleihen, meistert Zapatka auf beeindruckende Weise. Hervorzuheben ist allerdings auch die Stimme eines Ulrich Matthes, der den nachdenklichen ersten Offizier Starbuck mit bewährter Virtuosität spricht. Für die Rolle des Queequeg hat Klaus Buhlert den Glücksgriff getan, den in Deutschland lebenden Taihitianer Rudolph Taruoura Grün zu finden, der, ohne eine schauspielerische Ausbildung genossen zu haben, das "exotische Gestammel" des "edlen Wilden" Queequeg exzellent umzusetzen vermag.

Eigenartigerweise gewinnt das Projekt dadurch wie auch durch die zahlreichen Geräusche (Meeresrauschen) oder die musikalischen Elemente (Shantys) nicht an Authentizität, sondern eher noch an Künstlichkeit, was hier als Kompliment verstanden sein will. Diese vor allem durch die überlegte "leitmotivische" Wiederholung der Tonelemente noch gesteigerte Künstlichkeit ist es, die Buhlerts "Moby Dick"-Bearbeitung zu einem der gelungensten Hörbücher der letzten Jahre macht.

Titelbild

Herman Melville: Moby-Dick. 10 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
99,00 EUR.
ISBN-10: 3895849936

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