Dein Kurschatten ist der Tod

Ralf Theniors Sprachmagie verändert sich und bleibt sich treu

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Alles grau; keine Freude / mehr am Leben, im Leben / nur Nebel und trockenes Gras; selbst / die Kinder, die zum Bahnhof er / fährt, kein Wort von ihnen, weder / Dank noch Abschied, stumm / gehen sie weiter zur Disco."

Mancher schreibt, um düstere Gedanken in Schach zu halten, andere bemühen den Zauber des Maskenspiels, um die Dämonen des Alltags zu bannen. Wieder andere lauschen auf ein "Stimmengewirr", das die Erfahrung ihnen zuträgt, die eigene und die fremde. In seinem Gedicht "Der Überlästige" nötigt sich Ludwig Tieck ein tristes Parlando ab, wie es scheint, doch schaut man genauer hin, so offenbart es sich als eine moderne Variante der berühmten Schwätzersatire des Horaz - und man sieht den satyrhaften Sprecher frohlocken über seine gelungene Maskerade.

Der Lyriker, Erzähler und Jugendbuchautor Ralf Thenior, Jahrgang 1945, hat zuerst mit Gedichten und Kurzprosa ("Traurige Hurras", 1977) Furore gemacht. Es folgten neue Gedichte ("Sprechmaschine Pechmarie", 1979), Erzählungen ("Der Abendstern, wo ist er hin", 1982; "Radio Hagenbeck", 1984, ein Roman ("Ja, mach nur einen Plan", 1988), diverse Kinder- und Jugendbücher und auch Übersetzungen. "Dämonenspiegel", der neueste Gedichtband, knüpft mühelos an, thematisch wie formal, an die Vorgaben und Erwartungen der frühen Jahre - und dennoch ist vieles anders geworden, schwieriger geworden.

Aus Lebenslust wurde Lebenskampf, aus dem saloppen, bisweilen verletzenden, gern auch ins Sarkastische kippenden Wort wurde Demut, Bescheidenheit, Angst auch: "Der Mann auf der Straße / sagt: Dein Kurschatten ist der Tod. [...] Du gehst / durch den Park, nasse / Blätter auf Schotter, / und weißt, er ist in / der Nähe, fühlst es in / der Brust und deine Lebenslust, / fader geworden im Laufe / der Jahre, auf dem Null-/ punkt, gewahrst du zwei / Mädchen, ans Brückengeländer gelehnt [...]." Die beiden Mädchen stehen für das Leben, sie sind zum Greifen nahe, doch unerreichbar für den Sprecher: "ab / wendest du dich, deprimiert, / auch dies Paradies auf / immer verschlossen."

Eben hat man sich noch einen Joint gedreht, jetzt ist bereits "Seniorenschwimmen" angesagt. Es ist wohl sein Aufenthalt im Kurpark von Bad Nauheim, den Thenior hier beschreibt: Nach einer Krebsoperation im Dezember 2000 zog er hier seine Kreise, starrte von einer Brücke in die Usa und malte sich seine Beerdigung aus: "Das Dämonische ergriff Besitz von mir, nistete sich in meinem Gemüt ein und machte mich schaudern." Die plötzliche Einsicht aber, daß die Welt voller Dämonen sei (sie stammt von Hieronymus, dem Schutzheiligen der Übersetzer), ist weder dem Autor noch seinen Lesern neu, denn die Luftgeister und ihr koboldhaftes Treiben sind geradezu eine Konstante seines Werkes, unübersehbar in seiner Naturlyrik ("Westerwinkler Hundegras", 1989), dominant dann in seinem Erzählungsband "Die Nachtbotaniker" (1986), fast enzyklopädisch umfassend im jüngsten Band "Dämonenspiegel". Die Tücken der Sprache, Zugverspätungen, Traumata und Elektroschocks, der Rückstau auf der Autobahn, George W. Bush, die New Economy, auf Reisen die Scheißerei, Fallgruben und Fettnäpfchen - in dieser Dämonologie wird nichts ausgelassen, was uns das Leben erschwert, uns aussaugt, fertig macht.

Wie kommt es dann, dass wir so heiter sind? Es muss an der Sprache liegen, an ihrer Drastik einerseits, ihrer Lakonik andererseits, an der Spannung, die sich aus der Leben-zum-Tode-Perspektive und dem entschlossenen Weitermachen ergibt: "Meine linke Gehirnhälfte klappert / die Syntax, die rechte achtet / auf's Tirili" - so bleibt das Ich, "ein Klon Gottes", in der Spur und sich auf den Fersen, kein Selbstverlust droht, sondern Selbstverwirklichung in einem Meer von "Begegnungen, Düften, / Dichtungen, Zwielicht".

Man kann diesen unverwechselbaren Sound auch hören: Aus Reisegedichten und Ethno-Funk haben Ralf Thenior und Archaic Pop Stuff (Peter Bachmann, Rahul Sengupta und Ralf Werner) ein neues Hörbild entwickelt, "24 Stunden auf dem Mekong". Es nimmt den Hörer mit auf eine Reise von Hamburg-Eidelstedt via Altona und Husum nach Wales, via Manhatten und Grönland in osteuropäische Gefilde, schließlich mit einem Frachtschiff flussaufwärts von Luang Prabang nach Huay Sai. Im Gepäck ein E-Cello, Tablas, Querflöte und Saxophon, ein Verstärker - und Gedichte, teils vor, teils während der Reise entstanden: "Süßer Reiskuchen / stimmt die Flussgeister / versöhnlich. / Tropenwald, Wasserbüffel / am sandigen Ufer, / Berge im Dunst / von Holzfeuerrauch." Auch hier sind Dämonen, die Geister der Flussmutter, und erinnern den Reisenden an Jean-Jacques Annauds Film "Der Liebhaber" (nach Marguerite Duras). "Kostbare Momente der Unbeschwertheit" hält er fest - Erotik scheint wieder möglich, und sei es als ironisches Zitat.

Titelbild

Ralf Thenior / Achaic Pop Stuff: 24 Stunden auf dem Mekong. CD.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2003.
ca. 66 Minuten, 15,40 EUR.
ISBN-10: 393487245X

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Titelbild

Ralf Thenior: Dämonenspiegel. Gedichte.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2003.
93 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3933749948

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