Geisterhaus im Ruhrpott

Daniel Twardowskis "Ewig Gelsenkirchen"

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Geister in alten Häusern herumspuken und ihr Unwesen treiben ist nicht erst seit Edgar Allan Poe und Isabel Allende weit bekannt. In Daniel Twardoswkis Debutroman "Ewig Gelsenkirchen" ist der Titel jedoch wörtlich zu nehmen, denn hier führen Tote ein sehr eigenständiges Leben in dem Haus, in dem sie verstorben sind und in dem der noch lebende Sohn des ehemaligen Lohnbuchhalters Eduard Naumann und seiner Frau Mechthild noch heute wohnt. Die Protagonisten der Geisterwelt, neben Naumanns gibt es noch den Brieftaubenzüchter Kowalski und die Else Kling des Hauses, Frau Mahnke, sind also keineswegs böse Untote, sondern nur eine andere Art von Mitbewohnern, die durch Türen gehen können und sich Sorgen machen, als sie herausfinden, dass ihr Haus an die "Neue-Zeit Immobilien GmbH" verkauft werden soll.

Die Parallelwelten sind mit viel Ironie und trockenem Humor miteinander verflochten und ihr Zusammenleben kulminiert oft in absurden Situationen. Da alle Toten dort im Jenseits leben, wo sie starben, ist das Miteinander der beiden Gruppen nicht immer unproblematisch. Nachdem Eduard Naumann draußen im Garten ein Blitz getroffen hat, wird er irgendwie lebendig und integriert sich als Vetter Eduard wieder in Haralds Familie. Vater und Sohn tischen der restlichen Familie eine Lügengeschichte auf und grübeln nicht lange über die "metaphysischen Umstände von Eduards plötzlichem Auftreten" nach. Ihr Zusammenleben führt zu witzigen Verstrickungen, insbesondere als es gemeinsam gegen die Neue-Zeit Immobilien geht.

Tote und Lebende eint viel mehr als landläufig angenommen; im Grunde ist Totsein nicht viel anders als lebendig zu sein: Die gleichen Gedanken, die gleichen Sorgen und Nöte und die gleichen Emotionen quälen die Toten. Als Mechthild Naumann sich trotz Einzug des lebendigen Urenkelkindes nicht wohl fühlt, werden wir belehrt, dass Tote an sich keine Depressionen haben, "aber diese gewisse Melancholie rattengrauer Tage Ende Februar, nachmittags gegen halb fünf, die ist auch im Jenseits nicht unbekannt".

Philosophisch betrachtet kreist der Roman in ironischer Weise, aber auch mit einem Quentchen Ernst, um wahre metaphysische Probleme: um die wirkliche Welt (was ist das eigentlich?), um die Unterschiede zwischen Toten und Lebenden (es gibt weniger als man denkt), und die metaphysische Präsenz in der Zeit-Raum-Problematik. Da der grüblerische Eduard Naumann gerade nicht der prollig-tumbe Ruhrpottler ist, sondern ein Mann mit Niveau und Intellekt, den jeder gern mit Doktor Naumann anredet, resultiert der Kontrast zwischen ihm und den anderen eher gewöhnlichen Toten und Untoten in großartigen Szenen voller Komik. Er philosophiert gerne über Transzendenz und das Imaginäre und ist doch pragmatisch genug, den Kampf gegen den Verkauf des Hauses aufzunehmen, denn der Abriss gefährdet ja auch die Existenz der im Haus lebenden Toten.

In Zeiten von regionalen Krimis und Mundartbüchern ist das Lokalkolorit in Sprache und Protagonisten nicht zu dick aufgetragen, so ist, zum Beispiel, der prollige Ruhrpott Jargon gut getroffen, ohne penetrant zu sein. Wenn die knutschende Jugendliche Tina zu ihrem Freund sagt: "Hömma, wenne nur deswegen da bist, kannste ganz schnell wieder aufe Piste gehen", dann hat man das Gefühl auf Schalke zu sein.

Titelbild

Daniel Twardowski: Ewig Gelsenkirchen. Wer früher stirbt, ist länger tot. Roman.
Henselowsky und Boschmann Verlag, Essen 2002.
168 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 392275046X

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