Kleine Ursache - große Wirkung

e. o. plauen, der Erfinder der Vater-und-Sohn-Bildergeschichten, wäre 100 Jahre alt geworden

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht immer verlaufen Vater-Sohn-Geschichten am Ende so glücklich wie die Legende vom verlorenen Sohn im "Alten Testament". Christopher Robin, A. A. Milnes Sohn und Hauptfigur der "Winnie-the-Pooh"-Stories, wurde seiner Rolle in Literatur und Leben nicht glücklich und verfasste eine bittere Autobiographie. Und auch Christian Ohser, Sohn des begnadeten Zeichners Erich Ohser (alias e. o. plauen), war keine leichte Kindheit beschieden: Sein Vater, freier Künstler in Leipzig und Berlin, hatte während des 'Dritten Reiches' zeitweise kein Einkommen, weil er quasi mit Arbeitsverbot belegt worden war. So musste Ehefrau Marigard die Familie mit ihren kargen Einkünften aus grafischen Arbeiten durchbringen. Als sich Ohser im April 1944 in der Untersuchungshaft das Leben nahm, zeigte sich die Rachsucht eines Regimes, das er mit seinen Zeichnungen jahrelang bekämpft hatte.

Aufgrund staatsfeindlicher Äußerungen waren Erich Ohser (geboren am 18. März 1903) und sein Freund Erich Knauf, Redakteur der "Plauener Volkszeitung" und Lektor bei der Büchergilde Gutenberg, verhaftet worden. Lange Zeit hatten sie geglaubt, mit Spott und spitzer Feder die Nazis bekämpfen zu können. Der "Vorwärts", der "Querschnitt" und die "Neue Revue" veröffentlichten Ohsers Karikaturen, und bereits Anfang der 30er Jahre exponierte er sich gegen Adolf Hitler und Joseph Goebbels oder ließ einen kontinenten Kritiker der braunen Meute despektierlich ein Hakenkreuz in den Schnee pissen. Als der Terror der Reichsregierung mit den verheerenden Kriegsfolgen für Deutschland unerbittlich zunahm, wurde er von einem Gestapo-Spitzel denunziert: "Himmler hält sich nur durch täglich 80 bis 100 Hinrichtungen", soll er zu Knauf gesagt haben, "Ich merke es am Dünnerwerden meines Bekanntenkreises." Die Anklage vor Roland Freislers Volksgerichtshof lautete denn auch auf "Defätismus". Ohser entzog sich der Verurteilung in der Nacht zum 6. April 1944, Erich Knauf wurde am 2. Mai hingerichtet. Christian Ohser, der Sohn, lag zu der Zeit im Krankenhaus, schwer an Diphterie erkrankt, während Marigard die schreckliche Nachricht in Berlin entgegennahm und die notwendigen Formalitäten für die Bestattung erledigte. Die Witwe von Erich Knauf hatte noch ein Übriges zu tun, denn die Reichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof stellte ihr eine Rechnung in Höhe von 585,74 Reichsmark zu - "Gebühren für die Todesstrafe, für die Vollstreckung des Urteils, für den Pflichtverteidiger, einschließlich Porto für die Übersendung der Kostenrechnung".

Zum hundertsten Geburtstag Erich Ohsers (alias e. o. plauen) ist im Südverlag Konstanz ein Band mit politischen Karikaturen, Zeichnungen, Illustrationen und allen Bildergeschichten erschienen. Die Bildergeschichten "Vater und Sohn" sind weltberühmt und lassen sich auf die Formel "Kleine Ursache - große Wirkung" bringen. In zumeist sechs Panels oder Einzelbildern wird ein - immer wortloses - Abenteuer des glatzköpfigen, schnauzbärtigen Vaters und des aufgeweckten, wuschelköpfigen Sohnes erzählt. Beispielsweise brechen die Comic-Helden beim Schlittschuhlaufen ins Eis ein und werden tüchtig nass, tragen als Trophäe ihrer Niederlage aber je einen Fisch davon - einen großen der Vater, einen kleinen der Sohn. Diese "Oase der Menschlichkeit", wie Friedrich Luft sie einmal genannt hat, diese mutterlose Rumpffamilie, bezeichnet Ordnung und Chaos zugleich, und die Ordnung wird nicht selten auf schmerzhafte Weise wiederhergestellt. Eine prominente Bilderfolge erzählt eine Schachpartie, bei der der Sohn den Vater besiegt - und dafür prompt eine Tracht Prügel bezieht. "Schach dem Vater" heißt die entsprechende Legende, und e. o. plauen wird zu Recht für seine knappen, prägnanten Bildunterschriften gerühmt.

In seinen Geschichten ist die Prügelstrafe noch längst nicht abgeschafft, selbst der Vater wird einmal noch verwamst, und zwar vom Lehrer des Sohnes, weil er dessen Schulaufsatz verbockt hat. Aus dem 19. Jahrhundert winkt noch das Kaiserreich herüber, während die grausamere Moderne bereits Einzug gehalten hat, auch in die Bildersprache. Der Künstler hat viel Zeitgeschichte eingefangen, zum Beispiel den Seekrieg, den Vater und Sohn in der Badewanne austragen, und der unverhofft eskaliert: "Im Krieg sind alle Mittel erlaubt."

Die Vater-Sohn-Geschichten sind zwischen Dezember 1934 und Dezember 1937 in der "Berliner Illustrierten" erschienen, drei Sammelbände wurden 1935, 1936 und 1938 von Ullstein (bzw. vom Deutschen Verlag) veröffentlicht. Kaum mehr nachzuvollziehen ist, dass Erich Ohser ab 1940 auch als politischer Zeichner für die Nazis arbeitete, und zwar für die sich liberal gebende Wochenzeitung "Das Reich", die direkt im Presseamt der NSDAP entwickelt worden war: "Plauen hat[te] die gleichen Illusionen wie seine bekannten schreibenden Kollegen. Man glaubt[e] zwischen den Zeilen die Wahrheit sagen zu können, durch 'Rückversicherungen' die Kontrollinstanzen zu überwinden und dennoch den wachsamen Leser zu informieren." Und bezahlte es am Ende mit dem Leben.

Im Nachkriegsdeutschland gerieten Erich Ohser und sein Werk nicht in Vergessenheit: Viele Zeitungen und Illustrierte haben die Bildergeschichten nachgedruckt, und 1982 erschien eine Gesamtausgabe mit einem biographischen Essay von Detlev Laubach, den der Südverlag jetzt in Auszügen nachgedruckt hat. Einer der bedeutendsten mittelbaren Schüler e. o. plauens ist zweifellos Loriot, der dem Vorbild zahlreiche Bildideen sowie den eigentümlich trockenen Legendenstil verdankt. Der Mann mit Spazierstock und gestreifter Frackhose ist ebenso ein Ohser-Zitat wie die "zersägte Dame" im Varieté-Theater oder die Zigarre mit "Dynamit-Einlage". Loriots Bilderfolge "Automatisches" (1973) geht direkt auf Ohsers Comic "Der letzte Apfel" (1935) zurück, und nicht selten ist die Traditionslinie noch bedeutend länger: Ohsers expressive Bilderfolge "Die Feuerwerkszigarre", 1936 in der "Berliner Illustrierten" veröffentlicht, zitiert den "Vierten Streich" von Max und Moritz ("Rums!! - Da geht die Pfeife los / mit Getöse, schrecklich groß") und deutet voraus auf Loriots Cartoon "Nikotingenuß", 1967 in "Loriots großer Ratgeber" erschienen.

Der vorliegende Prachtband bietet neben bislang unveröffentlichten "Vater und Sohn"-Folgen zahlreiche Reproduktionen aus Ohsers Skizzenbüchern, ferner Aufsätze von Hans Joachim Neyer, dem Leiter des Wilhelm-Busch-Museums zu Hannover, und Marianne Menze, die sich unter anderem der "freien Arbeiten" Ohsers annimmt. Diese lassen sich vier Gruppen zuordnen: Aktzeichnungen, Einzel- und Gruppenporträts, Tierdarstellungen und Landschaftsstudien. Einige charakteristische Exponate aus diesem weniger bekannten, aber wichtigen Aspekt seines Schaffens werden hier ausgestellt, hinzu kommen politische Karikaturen aus der Zeit der Weimarer Republik. Marianne Menze geht darüber hinaus auf die Freundschaft des Zeichners zu Erich Kästner ein, der wir eine Reihe von Illustrationen verdanken. Zeitweise war der Künstler so populär, dass es sich lohnte, Marketingartikel mit seinen Gestalten zu vertreiben: Bedruckte Servietten ebenso wie Vater-und-Sohn-Figuren aus Porzellan und Marzipan. Auch durch einen e. o. plauen-Preis für ein zeichnerisches Werk wird die Erinnerung an Erich Ohser wachgehalten. Der letzte Preisträger war 2002 Robert Gernhardt.

Titelbild

Erich Ohser: e. o. plauen - Politische Karikaturen, Zeichnungen, Illustrationen und alle Bildgeschichten Vater und Sohn. Mit Beiträgen von Detlev Laubach, Marianne Menze und Hans Joachim Neyer.
UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2003.
336 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3878000375

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