Entscheidende Schritte zum kommunikativen Handeln

Walter Reese-Schäfers Einführung in die Philosophie von Jürgen Habermas

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Schriften von Jürgen Habermas sind, gerade für philosophische Anfänger, keine leichte Aufgabe. In Walter Reese-Schäfers Einführung zu diesem Sozialphilosophen wird folgende Anekdote eines ehemaligen Studenten zitiert: "1966 in Frankfurt: Ich entsinne mich, wie einer der Kommilitonen im überfüllten größten Hörsaal der Universität Jürgen Habermas' Vorlesung unterbrach mit der Bitte, ob er nicht doch etwas unkomplizierter sprechen könne, es sei so schwer, ihn zu begreifen. Eine Hälfte des Auditoriums applaudierte. Er verspreche, sein Bestes zu tun, erwiderte Habermas, um verstanden zu werden. Daraufhin buhte die andere Hälfte. Denjenigen, die jetzt gebuht hätten, könne er versichern, meinte der junge Habermas weiter, seine guten Absichten würden ganz gewiss scheitern." Mit der berüchtigten Selbstverliebtheit in den eigenen Fachjargon der Wissenschaft hat die Komplexität der Habermas'schen Terminologie jedoch nichts zu tun. Vielmehr liegt die Schwierigkeit in seinem hohen wissenschaftlichen Anspruch. "Sprachlich den Anschluss zu schaffen zwischen den entwickeltsten und durchdachtesten Formen der gegenwärtigen Sozialwissenschaften und philosophischen Denkansätzen - das ist es, worauf Habermas hinaus will. Seine Methode geht darauf aus, verschiedene Theoriesprachen kompatibel zu machen. In diesen sprachlichen Umformungsprozessen der Theoriemassen geht ihm der rote Faden nie verloren - wohl aber vielen Lesern", erklärt Reese-Schäfer dazu. Den Mangel vieler Bücher und Aufsätze zu Habermas sieht er darin, dass sie für Habermas' Vorgehensweise kein Verständnis entwickelten und sich mit dem bloßen Nacherzählen von Theorieversatzstücken zufrieden geben würden, die dadurch jedoch nicht zugänglicher würden.

Walter Reese-Schäfers Einführung will hier Abhilfe schaffen. Neben seinem Anspruch auf Verständlichkeit sieht der Göttinger Politikwissenschaftler zudem die Zeit gekommen, eine Gesamtdarstellung der verschiedenen Theorieansätze von Habermas zu wagen. Den älteren Habermas-Lesern, die sich vor allem an früheren Veröffentlichungen orientiert haben und die sein heutiges Denken befremdet, möchte er "auf zweierlei Weise helfen": einmal durch die Erläuterung, warum Habermas' Paradigmenwechsel (zur Sprachphilosophie) erforderlich war und zum anderen "durch den Hinweis auf die Grundintentionen und Motive seines Denkens, die nach der linguistischen Wende (wenn auch umformuliert) erhalten geblieben sind - seine Vorstellung, mit soziologischen Mitteln philosophische Probleme auflösen zu können, seine emanzipatorisch-demokratischen politischen Ziele und seine Orientierung an einem sehr westlich gedachten Marxismus."

Dass Habermas auch nach seiner Wendung zur Sprachphilosophie Anfang der achtziger Jahre ein politischer Philosoph geblieben ist, daran lässt Reese-Schäfers thematisch gegliederte Monografie keinen Zweifel. Von der Habilitationsschrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit", in der Habermas die Geschichte der bürgerlichen Öffentlichkeit als Verfallsprozess des klassischen Liberalismus deutet, über das Hauptwerk "Theorie des kommunikativen Handelns" und Erläuterungen zur Diskursethik bis zu den Überlegungen zur Zivilgesellschaft und praktischen Politik werden die wichtigsten Stationen im Denken des Sozialphilosophen gut verständlich und nachvollziehbar dargestellt. Eine kurze Zusammenfassung zu Beginn jedes Abschnitts erleichtert die Übersicht und stellt noch einmal die Grundthesen der einzelnen Werke heraus. Reese-Schäfer wahrt dabei stets die nötige Distanz und weist immer wieder auch auf problematische Aspekte und Schwachstellen in der Argumentation von Habermas hin. Ein kurzes Glossar zentraler Begriffe, ausgewählte Internetseiten zu Habermas sowie eine gut kommentierte Bibliografie von Primär- und Sekundärliteratur stellen eine zusätzliche Hilfe für den Leser dar. So wird ein erster kritischer Einblick in die Theorie-Ansätze von Habermas möglich - und für mehr sind die 196 Seiten ja auch nicht gedacht.

Die Aktualität und Brisanz der Habermas'schen Philosophie wird dabei nicht nur am Beispiel seiner Stellungnahme zum Kosovo-Krieg deutlich, in der er, bei aller Differenziertheit im Detail, generell das Eingreifen der NATO auch ohne Legitimation durch die UNO als völkerrechtlich legitime Nothilfe befürwortete. Insgesamt wird sein Denken von Reese-Schäfer als Abfolge von großen Debatten dargestellt: ausgehend vom Positivismusstreit in den sechziger Jahren über die Linksfaschismusdiskussion mit Rudi Dutschke und dem SDS, die Habermas-Luhmann-Kontroverse, die Kritik der Postmoderne und den Historikerstreit, der Kritik am D-Mark-Nationalismus bis hin zur Auseinandersetzung über die Gentechnologie mit Peter Sloterdijk 1999, bei der sein Kontrahent polemisch das Ende der kritischen Theorie verkündete. Charakteristisch für Habermas sei dabei, dass seine Theorie stets revisionsoffen geblieben ist - und er auch Fehler eingestand. "Erlebte man damals den Kampf des überlegenen kritischen Theoretikers gegen den Technizisten Luhmann, so erscheint diese Debatte heute eher als Lernprozess von Habermas, der durch die präzisen Einwände Luhmanns erst auf den Weg gebracht wurde, die Prämissen seiner Gesellschaftstheorie nochmals zu überdenken, seine geschichtsphilosophischen Glaubensreste endgültig aufzugeben und den entscheidenden Schritt zur Theorie des kommunikativen Handelns zu tun." Und auch bei der jüngsten Debatte sieht Reese-Schäfer noch nicht den Niedergang der vorherrschenden Rolle von Habermas in der deutschen intellektuellen Öffentlichkeit, im Gegenteil. Seine Bilanz am Ende des Buches, in der er vor allen Dingen dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit", Teilen der "Theorie des kommunikativen Handelns" sowie den politischen Schriften in "Faktizität und Geltung" Bestand für die Zukunft prognostiziert, steht denn auch unter dem Vorbehalt der Spekulation.

Titelbild

Walter Reese-Schäfer: Jürgen Habermas.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
196 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3593368331

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch