Die Tiefe der Oberfläche

Zu Claudia Benthiens "Haut"-Studien

Von Christina BacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Bacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Zeiten eines regelrechten "Körperbooms", in denen Bodystyling, Diätpläne und Hautpflegetipps zum guten Gesprächston gehören, erklärt die kulturwissenschaftliche Forschung erst allmählich die Körperhülle zu ihrem Forschungsgegenstand. Claudia Benthien fokussiert in dem Band "HAUT - Literaturgeschichte, Körperbilder, Grenzdiskurse" das - mit rund zwei Quadratmetern - größte Organ des menschlichen Körpers als symbolische Fläche zwischen Selbst und Welt. Als Grundlage dient ihr in erster Linie die erzählende Literatur, die erst auf den zweiten Blick die "Haut im Bewußtsein präsent hält". Erprobt wird so eine interdisziplinäre, kulturwissenschaftliche Erweiterung von Literaturwissenschaft im Sinne einer Kulturpoetik. Benthien steigt mit dem Kapitel "Grenzmetaphern - Die Haut in der Sprache" ins Thema ein und zeigt auf, wie sich die Bedeutung des Wortes beispielsweise seit dem Eintrag ins "Deutsche Wörterbuch" im Jahre 1877 bis heute verändert hat. Die ehemals gängige Formulierung "eine ehrliche Haut" oder auch Attribute wie "böse, feige, schäbig" zeigen auf, dass die Haut einst als Träger von Individualität und Geschichte eine große Rolle spielte. Wo Haut als synonym für Mensch verstanden wird, entstehen Schutzmechanismen.

Benthien beleuchetet Aspekte wie "Scham", "Häutungen", Haut als "Seelenspiegel", "Verrätselung" bis hin zur Verfremdung von Haut. Sie untersucht Oberflächen auf "Panzerhaut und Muttermal" und fokussiert die Problematik der Hautfarben im afro-amerikanischen Diskurs. Letztlich muss jedoch auch die Körperforscherin zugeben, dass sich die bislang am stärksten leibliche Grenze zwischen Intern und Extern im virtuellen Zeitalter entmaterialisert, der Symbolwert der Haut sich durch neue Schnittstellen in der Kommunikation gleichsam aufzulösen scheint. Der Begriff Kommunikation bezeichne heute, so Benthien, die Übermittlung von Informationen und benötige keinen Körperkontakt mehr.

Dort, wo sich die Körperlichkeit auf die faule Haut legt, nimmt jedoch das Individuum diese wohl ernster denn je. Wir stählen mehr denn je den Körper und salben die Haut, die anscheinend (nicht nur von Claudia Benthien) auf Streicheleinheiten wartet.

Titelbild

Claudia Benthien: Haut.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
319 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 349955626X

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