Wider Hysterie und Panik

Rüdiger Safranskis Essay "Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Gespenst beherrscht Welt: Das Gespenst der Globalisierung. Ständig schlagen uns die Medien den Begriff um die Ohren, in Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet. Wer genau hinsieht, stellt fest, dass sich hinter dem Wort Globalisierung häufig ein schwammiges Bedeutungskonglomerat versteckt, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn es sich in irgendeiner Form um weltumspannende Informations- und Geldflüsse sowie unkontrollierbare globale Entwicklungen handelt. Wir hantieren blind, aber mit einer selbstverständlichen Beiläufigkeit mit dem Begriff, weil er inzwischen so ubiquitär geworden ist, dass sich keiner mehr zu fragen traut: Was hat es mit der Globalisierung eigentlich auf sich? Rüdiger Safranski traut sich. Er geht noch weiter und stellt die anthrophologische Grundfrage: "Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?"

Für Safranski unterscheidet sich der Mensch vom Tier durch seine Fähigkeit zur Außensicht aufs eigene Leben. Dem heutigen Durchschnittsmenschen aber geht genau dieses existentielle Vermögen schleichend abhanden. Es verliert sich in einer Überfülle an Informationen und Diskursen, so dass der Einzelne an chronischer Überforderung leidet und das Individuum Gefahr läuft, seine Konturen zu verlieren. Das Hauptproblem liegt dabei in der nicht zu bewältigenden Flut an Informationen, die den Menschen nach seiner ethisch-moralischen Erziehung zur Verantwortung, zum Einschreiten aufrufen, jedoch auf kein adäquates "global vereinheitlichtes Handlungssubjekt" treffen. Eine weitere Gefahr sieht Safranski in einem monoton und eng gewordenen Universum, das durch eine Kommunikation in Echtzeit geschrumpft wirkt und die regionalen Charakteristika nivelliert. In seinem Essay zeigt Safranski sehr allgemein gehalten den Teufelskreis zwischen Problemen der Globalisierung und denen des Individuums auf und gibt am Ende einen leisen Ratschlag, wie sich das Ich selbst aus dieser Schlinge ziehen kann.

Zunächst unterscheidet Safranski zwischen Globalisierung und Globalismus. Während der Begriff "Globalisierung" wertungsfrei verwendet wird, stellt "Globalismus" ein "Symptom der Überforderung" dar, nämlich weil der Einzelne nicht in der Lage ist, das komplexe System der Globalisierung zu begreifen und sich daher hinter vereinfachenden Ideologien verschanzt. Safranski nennt drei grundverschiedene Tendenzen dieses Globalismus: den Neoliberalismus, den Anti-Nationalismus und die Ökologie-Ökumene. Heilsversprechend ist keine dieser Ideologien, also greift Safranski bei seinen Überlegungen zurück auf die großen Weltprojekte zentraleuropäischer Philosophie.

In der Tradition Hobbes', Kants, Hegels und Nietzsches geht Safranski von einem "Verfeindungs-Apriori" aus. Durch den Trieb des Individuums zur Selbsterhaltung und Abgrenzung von anderen ist in einer demokratischen und individuellen Welt kein politisches Universum möglich. Also denkt Safranski an ein "Pluriversum" im Sinne von Kants Weltfrieden, an eine Machtbalance aus Demokratie, Handel und Weltöffentlichkeit, lässt aber gleichzeitig heutige Probleme des kantianischen Konzepts nicht außer Acht. So erkennt er eine Kehrseite im wiewohl verteidigenswerten "kalten Projekt" der westlichen Aufklärung, die nach dem Prinzip der Gewaltenteilung Politik und Religion trennt, die aber dadurch, dass sie die Religion zur bloßen 'Gesinnung' degradiert, pervertierte fundamentalistische Religionen geradezu zur Verachtung dieser Aufklärung und zu Terroraktionen auf den Plan ruft und damit den "Kampf der Kulturen" unfreiwillig anheizt.

Das zentrale Anliegen des Essays bezieht sich jedoch nicht auf die Probleme der Globalisierung selbst, sondern auf deren Projektionen auf das menschliche Individuum. Safranskis zentraler Punkt ist wiederum die Gewaltenteilung, die für das moderne Subjekt am eigenen Leib durch den "Widersteit verschiedener Wertsphären" eine "Zumutung" sei. Der Philosoph betont die enorme Aufgabe des nach Ganzheit strebenden Menschen, trotz der vielfältigen Ablenkungen durch die Außenwelt innerhalb seiner begrenzten Lebenszeit und Lebenswelt das eigene Selbst bewusst abzugrenzen und zu gestalten. Dabei greift er auf die zeitlose Vorstellung Schillers von der "ästhetischen Erziehung des Menschen" zurück, ebenso wie auf Goethes Bildungsbegriff.

Safranski sieht diese klassisch-humanistischen Konzepte weniger mit dem Ziel einer "gesellschaftlichen Breitenwirkung", als vielmehr zur Rettung des souveränen Subjekts vor der Reizüberflutung, quasi als "kulturellen Immunschutz". Er rückt die Verhältnisse zwischen Ich und Welt ein Stück weit ins rechte Licht, wenn er die Bedeutung des Einzelnen vor einer inzwischen "zoologisch" zusammengepferchten Menschheit aufwertet: "Jedes Individuum ist die Bühne, wo die Welt ihren Auftritt hat." So schließt der Autor mit einem Ratschlag, frei nach J. P. Hebels Kalendergeschichte "Unverhofftes Wiedersehen", die Weltgeschichte nach Möglichkeit in die eigene Lebensgeschichte einzubetten und nicht allzu übermächtig werden zu lassen.

Ein kluger und brillanter Essay, der sich konsequent an seine eigenen Maßgaben hält: er ist knapp, präzise und schafft den nötigen Abstand zu Euphorie und Hysterie des Globalisierungsrummels.

Titelbild

Rüdiger Safranski: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?
Carl Hanser Verlag, München 2003.
120 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446202617

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch