Bayrischer Berufsstrolch

Oskar Maria Grafs Hörbuch "Made in Bavaria"

Von Julia-Charlotte BrauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia-Charlotte Brauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hört man heute den Namen Oskar Maria Graf, wissen ihn die meisten Leser in die Nische bayrischer Schriftsteller einzuordnen. Doch der junge Graf zählt ebenso zu den Expressionisten, der ältere zur Generation der Exilschriftsteller. Politisch war er zeitlebens schwer einzustufen. Wohl gab er sich eine Weile in die Nähe anarchistischer Schriftstellerkreise in München und Berlin. Auch die sozialdemokratische Denkungsart unterstützte er, doch trat er nie einer Partei bei und zog damit den Groll der politischen Linken in der Weimarer Republik auf sich. Genau diese Tatsache aber brachte Graf im Mai 1933 indirekt in eine prekäre Situation.

Auf einer Lesereise durch Österreich erfuhr Graf, dass den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten zwar sein Hauptwerk "Wir sind Gefangene" zum Opfer fiel, seine anderen Schriften jedoch auf der sogenannten "weißen Liste" der Nationalsozialisten standen, die Graf "vor dem Weltgewissen eine schwarze Liste" nannte, ja sogar, dass einige seiner Geschichten den "Führer" sehr erheiterten. In der Wiener Arbeiterzeitung fragte der so überfallene Schriftsteller in dem berühmten Aufruf "Verbrennt mich!", womit er diese Schmach verdient habe. Er flehte darum, sein Werk der "reinen Flamme des Scheiterhaufens" zu übergeben. Kurze Zeit später emigrierte er über die Tschechoslowakei nach New York, während ihn die Nationalsozialisten ausbürgerten und seinem "Wunsch" nachkamen. Der besagte Aufruf zählt heute zu den bekanntesten Dokumenten deutschsprachiger Exilliteratur.

In Amerika unterstützte Graf gefährdete Schriftstellerkollegen gegen das NS-Regime. Es versteht sich von selbst, dass er den landläufigen Heimatbegriff nicht teilte: "Denn ich glaube immer, daß die wahre Heimat die Sprache ist. Wenn man die Sprache verläßt, dann verläßt man die Heimat." In seinem Text "Made in Bavaria" spielte Graf die Schriftsprache gegen die Mundart aus, die für ihn fernab vom Starnberger See noch mehr an Bedeutung gewann. Herrlich amüsant sind Grafs Paradebeispiele für die "bestürzende Kraft des respektlosen Profanierens", über die seine bayrische Muttersprache verfügt. So malt er sich aus, wie man den Nietzsche Fritzl und den Mozart Wolferl bei ihren "eigentlichen" Namen nennt - "dann stehen sie plötzlich in Hausschuhen da", "wie weggeblasen ist ihr historischer Nimbus".

Auch seine eigene Person profaniert Graf, das "Oskarl", auf diese Art. Er erzählt in einem Radiointerview von den Fettnäpfen seiner frühen Schriftstellerkarriere und von seinem übersteigerten Selbstbewusstsein: Noch keine zwanzig Jahre alt, ließ er sich in München Visitenkarten drucken mit der Aufschrift "Oskar Maria Graf, Schriftsteller". Einige Zeit später sattelte er um auf den Text "Oskar Maria Graf, Provinzschrifsteller, Spezialität ländliche Sachen", womit man ihn gemeinhin zur "Kategorie der ehrlichen Geschäftsleute" gezählt hätte.

Immer findet man in Grafs autobiographischen und anekdotischen Texten diese Mischung aus bayrisch gerissenem Witz und einer versteckt intellektuellen und humanistischen Sicht der Dinge. Glanzbeispiel hierfür sind seine Ausführungen zum Terminus "Berühmtheit" aus der "Nicht gehaltene[n] Rede zu meinem 60. Geburtstag". Überraschend ist bei Grafs bewusst eigenwillig derbem Stil seine Beschreibung von Zeitgenossen, besonders wenn er auf Thomas Mann zu sprechen kommt. Der Bayer und der Hanseat seien sich "einander sehr nahe gekommen". Grafs Resümee nach Manns Tod: "Thomas Mann ist ein Teil meiner geistigen Welt geworden. [...] Ich halte ihn wirklich für den größten Verlust, den Deutschland - das ist gar nicht übertrieben - seit Goethe gehabt hat". Außer Brecht hätten wir nichts ganz so Großes mehr hervorgebracht.

Die Doppel-CD "Made in Bavaria" des Münchner HörVerlags versammelt Einspielungen und Radiointerviews von Oskar Maria Graf, die zwischen 1958 und 1964 auf seinen Heimatreisen aus dem fortdauernden New Yorker Exil entstanden sind. Die erste Hälfte des Hörbuchs besteht aus autobiographischen Texten, während der Autor im zweiten Teil Geschichten unter anderem aus seinen "Kalendergeschichten" und dem "Großen Bayernspiegel" selbst liest ("Der Schmalzerhans", "Der mißglückte Einbruch", "Es stirbt wer", "Die Weihnachtsgans" und "Das sinnvollste Beispiel").

Dieses Hörbuch ist aus mindestens zwei Gründen eine Besonderheit: Erstens spricht Graf in einem unverfälschten Dialekt, der noch kein so dick aufgetragenes Markenzeichen ist wie bei manchen Schriftstellern und Komikern nachfolgender Generationen. Graf schaut dem Volk aufs Maul und redet selbst wie ihm der Mund gewachsen ist. Zum anderen aber sind die Texte an sich trotz ihrer starken Prägung durch die Zeitgeschichte erstaunlich zeitlos. Am angenehmsten ist das schmunzelnde Understatement eines alten erfolgreichen Schriftstellers, der sich vom Rummel des Literaturmarktes nicht einlullen ließ. Ein klammheimlicher Spaß für alle, die das typisch Bayrische mögen, ohne sich dabei heillos dem CSU-Bierkrügl-Klüngel verschrieben zu haben

Titelbild

Oskar Maria Graf: Made in Bavaria. Geschichten und Interviews von und mit dem Autor. 2 CDs. Gesprochen vom Autor.
Der Hörverlag, München 2003.
ca. 140 Minuten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3899400453

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