Wahre Bilder vom Krieg

Otto Dix' Zyklus "Der Krieg" endlich wieder in einer Buchausgabe

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ansichten vom Krieg sind peinlich. Wahre Bilder vom Krieg klagen an. Sie sind machtvoll. Daraus haben die Kriegführenden längst die Konsequenzen gezogen: die Bilder vom Krieg unterliegen ihrer Herrschaft. Sie wählen die "eingebetteten" Journalisten aus, die mit den "Boys" im Panzer durch die Wüste brettern und in Bildern den Krieg zu einem reizvollen staubigen Abenteuer werden lassen. Dass der Krieg Menschenleben psychisch und physisch zerstört zeigen die Fernsehbilder heutiger Kriege nicht mehr - oder nur in propagandistischer Absicht.

In Wirklichkeit ist jeder Krieg nach wie vor schmutzig, grausam und blutig. Krieg zerstört. Er ist eine existentielle Erfahrung, die dem Menschen schmerzhaft sein Versagen als soziales Wesen vor Augen führt. Kriegsbilder sind keine Heldenbilder - es sind immer Schmerzensbilder.

Eine Voraussetzung ist die unmittelbare Zeugenschaft: "Yo lo vi. - Ich habe es selbst gesehen". So konnte Francisco Goya seinen großartigen, ergreifend-brutalen Zyklus "Desastres de la Guerra" (1810/15) schaffen. Eine Bilderfolge, in der das Elend des französisch-spanischen Krieges eine schaurig anklagende Form gefunden hat, die bis heute zu den ganz großen Menschheitswerken der Kunst gehört. Und in diese Kategorie gehört auch Otto Dix' Radierwerk "Der Krieg" aus dem Jahre 1924. Dix hatte alles gesehen. Er hatte den Ersten Weltkrieg von Anfang bis Ende mitgemacht. "Der Krieg", so sagte er später einmal, "ist eben so was Viehmäßiges: Hunger, Läuse, Schlamm, diese wahnsinnigen Geräusche [...]. Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muß den Menschen in diesem entfesselten Zustand erlebt haben, um etwas über den Menschen zu wissen ..." Dix konservierte den Schrecken dieser Erfahrung als eine Daseinsform menschlicher Existenz, während ansonsten die Kriegserfahrung gerne als "Stahlbad" idealisiert wurde. Kein Wunder, dass der Dix-Zyklus seit seiner ersten Ausstellung im August 1924 immer wieder angefeindet wurde. Der Zyklus blieb ungeliebt. Als Monographie mit einigermaßen guten Reproduktionen wurde der Zyklus nach der Erstveröffentlichung 1924 erst 1963 in einer in Ost-Berlin erschienen Ausgabe wieder verfügbar. Spätere Faksimile-Ausgaben, so erfahren wir im Vorwort des vorliegenden Bandes, erschienen 1972 und 1985, sind aber längst vergriffen.

Dix schuf 50 Radierungen, die er in fünf Mappen mit jeweils zehn Abbildungen ordnete. Die Bilder tragen Titel wie "Verschüttete", "Pferdekadaver", "Leiche im Drahtverhau (Flandern)", "Die II. Kompagnie wird heute Nacht abgelöst", "Toter im Schlamm", "Sterbender Soldat", "Besuch bei Madame Germaine in Méricourt" oder "Überfall einer Schleichpatrouille auf einen Grabenposten". Was in den Titeln sich andeutet, beschrieb Dix später einmal: "Ich war bestrebt, den Krieg sachlich darzustellen, ohne Mitleid erregen zu wollen, ohne alles Propagandistische. [...] Ich wollte keine ekstatischen Übertreibungen. Ich habe Zustände dargestellt, Zustände, die der Krieg hervorgerufen hat, und die Folgen des Krieges - als Zustände." Und so schuf Dix in einmaliger Qualität ein Abbild der grausigen Kriegswirklichkeit. Ein Horror in Dunkelheit, nur von unechten Granatlichtern erleuchtet. Was aber sieht man im Blitzlicht? Klaffende Wunden. Löcher in den Leibern. Vermoderte Leichenteile. Zerstörte leere Landschaften. Gekrümmte Figuren - das Menschsein reduziert auf einen irrealen Totentanz. Hier ist der Mensch nicht mehr als jedes andere Kriegsgerät. Zerstört wie diese ist er tot. Die Bilder sind sehr erfahrungsnah, so als sei es eben erst passiert. Gerade diese Nähe beglaubigt die Wahrhaftigkeit der ewigen Klage. Doch der Krieg geht weiter. In jedem dieser Bilder erkennt sich die Menschheit in einem erschreckend bloßen Zustand. Kein Fortschritt außer dem, die Leiber noch perfekter zerstören zu können.

Alle 50 Abbildungen sind im vorliegenden Band vereint. Ein ergänzender Kommentar des Herausgebers Dietrich Schubert erläutert die Entstehungsbedingungen der Radierungen und stellt sie im Kontext des Dixschen Schaffens vor. Im Anhang sind die Kriegsstationen von Otto Dix dokumentiert. Ebenso ist der Text "Der Krieg" von Henri Barbusse abgedruckt, der 1924 die erste Buchausgabe der Radierungen im Nierendorf Verlag als Vorwort einleitete.

Titelbild

Dietrich Schubert (Hg.): Otto Dix - Der Krieg. 50 Radierungen von 1924.
Jonas Verlag, Marburg 2002.
104 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3894453052

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch