Mit Nietzsche gegen den Nihilismus

Ricarda Huch und die Lebensphilosophie

Von Volker Maria NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Maria Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ricarda Huch, jene - nach Thomas Mann - "erste Frau Deutschlands", ist der Literaturwissenschaft in vielerlei Hinsicht bis heute rätselhaft geblieben. Ihr weites Betätigungsfeld, das von Lyrik über den Historischen Roman bis zum literaturtheoretischen Essay reichte, und ihr Konzept eines "Romantischen Sozialismus", das nationalen Konservativismus, weltbürgerlichen Humanismus und anarchistischen Liberalismus in sich vereinte, hinterließen Widersprüche aufgrund derer eine glaubhaft integrative Deutung nie so recht gelingen mochte.

Diese Wirrnis wenigstens ein Stück weit aufzulösen, versucht Michael Meyer mit seiner Analyse "Willensverneinung und Lebensbejahung". Der Untertitel "Zur Bedeutung von Schopenhauer und Nietzsche im Werk Ricarda Huchs" weist bereits auf Meyers Mittel zur Klärung: Indem Ricarda Huch als in der "lebensphilosophischen Tradition" stehend verstanden wird, soll ein neuer Blickwinkel auf ihr Werk freigelegt werden. Meyer nennt diesen vielversprechenden Ansatz eine "ideengeschichtliche Analyse", die er mit Hilfe von Parallelen zwischen Huch und den von ihr rezipierten Philosophen durchführt. Dabei stehen Schopenhauers lebensweltlicher Pessimismus in seiner Verschlagwortung als "Willensverneinung" und der Vitalismus Nietzsches als "Lebensbejahung" Pate.

Huchs Wiederentdeckung der Romantik und ihr Versuch, den literarischen Naturalismus zu überwinden, wird zurückgeführt auf einen Synkretismus, der sich in den einzelnen Schaffensphasen Ricarda Huchs nachweisen lasse. Ihn sieht Meyer sowohl in Huchs literarischem Schaffen, als auch in ihrem theoretischen Bemühen verwurzelt, da "das Denken Ricarda Huchs [...] als Beitrag zur philosophischen Fundierung einer literarischen Programmatik zu verstehen" sei.

Bereits in ihrem Roman "Aus der Triumphgasse" gelänge Huch eine Synthese aus Nietzsches Vitalismus und Schopenhauers Willensmetaphysik, schon hier mit dem obersten Anliegen, über allen Atheismus und alle Kantischen Erkenntnisgrenzen hinaus, doch wieder eine metaphysische Sinngebung zu ermöglichen.

Es läßt sich nicht vermeiden, daß die philosophischen Lehren Schopenhauers und Nietzsches nur in ihren für Meyers Analyse relevanten Teilaspekten zur Sprache kommen. Eine Gesamtdeutung ist unmöglich.

Dieser Umstand fiele nicht weiter ins Gewicht, handelte es sich bei einigen dieser Teilaspekte nicht um solche, die innerhalb der Philosophien Schopenhauers oder Nietzsches, unklar und strittig sind. Leicht unterliegt man dadurch der Gefahr, das Angesprochene bloß im Sinne der Analyse zu deuten. Anhand eines für Ricarda Huchs Adaption von Nietzsches Philosophie wesentlichen Aspekts, dem Gedanken der Ewigen Wiederkehr, wird dies beispielhaft deutlich. Zwar ist es plausibel, aufgrund folgender Zitate Huchs eine Nähe zu Nietzsches Wiederkunftsgedanken auszumachen: "Alles wiederholt sich nur im Leben", "Geburt und Tod sind in Wahrheit eins: beide nur Pforten zum ewig fließenden Leben." Doch mindert es den Wert der Analyse, wenn Meyer der Einfachheit halber das Verständnis Nietzsches und damit die Bandbreite seiner verschiedenen Auslegungsarten auf die zu Huch passendste reduziert: "Der Gedanke der ewigen Wiederkehr ist [...] nicht unter temporalem Aspekt zu verstehen; es handelt sich vielmehr um ein logisches, ideengeschichtlich aufzufassendes Konstrukt, das seine Legitimation allein aus der Intention gewinnt, eine Position gegen den Nihilismus in der Tradition platonisch-christlichen Denkens zu entwickeln." Dies stimmt mit dem überein, was sowohl Nietzsche als auch Ricarda Huch dem Wiederkunftsgedanken abringen; eine Überwindung des Nihilismus in bewußter "Bejahung des sinnlosen Werdens" unterschlägt indes die unbequeme Tatsache, daß Nietzsche seine Lehre sehr wohl auch im "kosmologischen" Sinne verstanden hat, das heißt in einem tatsächlichen Bezug auf die physikalische Welt.

Doch sind Einzelaspekte wie dieser nebensächlich in Anbetracht des zentralen Problems der Untersuchung: der ideengeschichtlichen Diskussion der Lebensphilosophie. Einerseits erarbeitet der Autor sehr feinfühlig Parallelen eines stark romantisch geprägten Denkens in der Achse Hegel-Nietzsche-Huch - die Hauptvertreterin der neuromantischen Literatur in Lyrik und Prosa erfährt so eine klare Positionierung in der Literatur - andererseits bleibt aber die Analyse an ihrem zentralen Punkt ebenso unklar wie der Begriff, den sie bemüht: Lebensphilosophie. Meyer zeigt nicht, wie er den naturalistischen Voluntarismus Schopenhauers in eine "lebensphilosophische Tradition" integriert sehen will, mit der Ricarda Huch dann den literarischen Naturalismus überwindet. Die sogenannte "Lebensphilosophie" erfährt als solche keine kritische Analyse, die klären könnte, was dieser problematische Sammelbegriff eigentlich in sich vereinen soll. Irgendeines Begriffs hatte es wohl bedurft, um die vielen inhaltlichen Parallelen zwischen Ricarda Huch und Schopenhauer/Nietzsche zusammenzufassen.

Titelbild

Michael Meyer: Willensverneinung und Lebensbejahung. Zur Bedeutung von Schopenhauer und Nietzsche im Werk Ricarda Huchs.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
255 Seiten, 40,40 EUR.
ISBN-10: 3631333021
ISBN-13: 9783631333020

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