Das Verdrängte, das Bündnis, das Dritte

Die "Dahlemer Vorlesungen" von Klaus Heinrich

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich, der an der Freien Universität von 1971 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1995 die ordentliche Professur für "Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer Grundlage" inne hatte, teilt Platons Skepsis gegenüber dem geschriebenen Wort und sein Vertrauen in das gesprochene. Das gesprochene Wort, die freie Rede also, war und ist das Metier dieses diskursiven Denkers. Folglich gab es von ihm über lange Zeit nur vergleichsweise wenig zu lesen (etwa "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen", Frankfurt a. M. 1964, und "Parmenides und Jona. Vier Studien über das Verhältnis von Philosophie und Mythologie", Frankfurt a. M. 1966). Dass Heinrichs in der Lehre peripathetisch entwickelten Gedanken und seine Art zu denken dennoch über den Hörerkreis hinaus wirken können, ist einem Schülerkreis zu verdanken, der Tonbandmitschnitte und Mitschriften von Vorlesungen transkribiert und für eine Ausgabe bearbeitet hat, die in 40 Bänden geplant ist und seit 1981 im Frankfurter Verlag "Stroemfeld/Roter Stern" unter dem Titel "Dahlemer Vorlesungen" erscheint. Die religionsphilosophische Einführung in die Logik, die unter dem Titel "Tertium datur" 1981 (2. verb. Aufl. 1987) als erster Band erschienen ist, wurde im Sommersemester 1970 gehalten. Im Wintersemester 1970/71 folgte "Zum Problem des Anthropomorphismus in der Religionsphilosophie" - 1986 unter dem Titel "Anthropomorphe" als zweiter Band erschienen. 1993 wurde als dritter Band, "Arbeiten mit Ödipus", eine Vorlesung veröffentlicht, die Heinrich im Sommersemester 1972 über den Begriff der Verdrängung in der Religionswissenschaft gehalten hat. Der vierte, 2000 erschienene Band "Vom Bündnis denken" enthält die im Wintersemester 1972/73 gehaltene Vorlesung über "Religionsphilosophie". Im Wintersemester 1974/75 hielt Heinrich eine Vorlesung, die er unter den Titel "Grundbegriffe der Psychoanalyse Sigmund Freuds" (zugleich zur "Einführung in aktuelle Probleme der Religionswissenschaft und das Problem sozialwissenschaftlicher Begriffsbildung)" stellte; sie ist im siebten, 2001 unter den Titel "Psychoanalse Sigmund Freuds und das Problem des konkreten gesellschaftlichen Allgemeinen" gestellten Band der Dahlemer Vorlesungen dokumentiert. Die mittlerweile fünf erschienenen Bände sowie der 75. Geburtstag von Klaus Heinrich und nicht zuletzt seine Ehrung mit dem "Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung geben Anlässe dazu, das Publikationsunternehmen der "Dahlemer Vorlesungen" zu würdigen.

Angesichts des Vorlesungscharakters sind die Texte, die dort vereint sind, alles andere als einheitlich. Daher ist es wohl weniger der Gegenstand, der Heinrichs Gedanken verbindet, sondern eher die Perspektive auf Mythologie, Religion und Philosophie. Mythologien und Religionen interessieren Heinrich nicht als bloßes Traditionsgut, nicht als durch Empirismus und Positivismus zum Objekt verkommener Gegenstand und schon gar nicht als Medium der Erbaulichkeit, sondern als Selbstverständigungsunternehmen der menschlichen Gattung. Zugleich ist das Thema der Heinrichschen "Religionswissenschaft auf religionsphilosophischer Grundlage" das kollektiv und individuell Verdrängte in der Philosophie und seine unreflektierte Wiederkehr. Dazu verhilft - die sich aufgeklärt und säkularisiert wähnende Philosophie mag das irritieren - der Stoff der Mythen und Religionen. Das Verdrängte und seine Wiederkehr bewusst zu machen und zu bearbeiten, ermöglichen die Mythen und Religionen aufgrund ihres Realismus. Dieser besteht darin, dass sie ein gesellschaftliches Naturverhältnis entwickeln - einen Realismus, den die "Heilslehre" der Philosophie vermissen lässt. Andererseits verkörpert die Philosophie aber die Hoffnung, als großes aufklärerisches Unternehmen den Reflexionsprozess der Menschengattung voranzubringen; diese Absicht eint sie mit den Mythologien und Religionen. Die Besonderheit der religionswissenschaftlichen Perspektive Heinrichs liegt folglich darin, in den Religionen und der Philosophie Bundesgenossen zu sehen. Sie können nur gemeinsam den gattungsgeschichtlichen Reflexionsprozess voranbringen, weil und indem sie sich wechselseitig aufklären. In diesem Sinne arbeitet Heinrich etwa die Logik der Mythologie und die Mythologie der philosophisch verengten formalen Logik heraus.

Statt konventioneller Geistes- oder Ideengeschichte betreibt Heinrich Analysen der "Faszinationsgeschichte", die gegen die Subjektlosigkeit der Normalwissenschaft herausstellt, dass sich hinter dem Stoff der Mythen, Religionen und Philosophien sowohl Erfahrungen der Menschheit mit sich als auch Entwürfe von ihr verbergen. Damit unterscheidet sich dieser Ansatz zugleich von dem, was heute gerne als Kulturwissenschaft bezeichnet wird, wohinter sich aber allzu oft nur das Interesse am unterhaltsam Interessanten verbirgt.

Zum Instrumentarium der "Gattungsanalyse" und "Faszinationsgeschichte" gehören die Kritische Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos - vor allem ihre Rekonstruktion der "Urgeschichte der Subjektivität", die Psychoanalyse und Kulturtheorie Sigmund Freuds sowie die Religionsphilosophie und politische Theologie Paul Tillichs. Vor diesem Hintergrund bewegen sich Heinrichs Analysen zwischen philosophischer Aufklärung, Ideologiekritik und der Analyse der Nachwirkungen von Mythologemen im Sinne der Dialektik der Aufklärung, bauen aber ebenso auf den Realismus und das Aufklärungspotential der Mythologie. Anhand der Reflexion der Psychoanalyse, der die im siebten Band dokumentierte Vorlesung gewidmet ist, wird die Haltung seiner religionswissenschaftlichen Arbeit deutlich: Auf die Frage, wie geschichtliches Material mit der gegenwärtigen Situation und individuelles Ergehen mit dem Prozess der Zivilisation zusammenhängt, lässt sich mit Heinrichs Zusammenfassung einer der psychoanalytischen Grundeinsichten antworten: "Nichts, woran Sie sich erinnern können, ist vorbei." Die Erinnerung wehrt den Gefahren verdrängender Selbstbezogenheit, dem Wiederholungszwang und den Phantasmagorien eines Ursprungsdenkens gleichermaßen.

Bei dem Heinrichschen Unternehmen handelt es sich ohne Zweifel um eine engagierte oder in seinen eigenen Worten: um eine "emanzipatorische Religionswissenschaft", die ihre normativen Anteile nicht verleugnet. Emanzipation, die Heinrich als "Selbstfreigabe" bestimmt, ist die fundamentale Norm, an der sich seine Analysen ausrichten. Was Heinrich mit der Philosophie verbindet, ist die religionskritische Absicht. Religionskritik aber "ist nicht zu trennen von dem Moment der Reflexion in den Religionen selbst, die Reflexion in ihnen und ihnen gegenüber ist eine", wie Heinrich im Vorwort zu seiner religionsphilosophischen Vorlesung "Vom Bündnis denken" schreibt. Diese Haltung ist für die normalwissenschaftliche Religionsforschung, die sich an konventionellen Wissenschaftsidealen ausrichtet und Religion zu einem verdinglichten Gegenstand macht, eine Herausforderung. Für eine Religionswissenschaft, die sorgsam oder bisweilen gar ängstlich darum bemüht ist, sich von den (akademisch verfassten) Theologien abzugrenzen, mag sie eine Provokation darstellen. Heinrichs Wissenschaftsverständnis basiert auf einer Anthropologie, welche die Einheit von Erfahrung und Reflexion behauptet und beides wissenschaftlicher Arbeit wieder zuführen möchte. Einem reflexionslosen positivistischen Empirismus stellt er eine "materiale Reflexion" gegenüber - die Einheit von Empirie und Reflexion. Damit befindet sich Heinrich jenseits der Alternative von Fakten sammelnder und sortierender Religionswissenschaft hier und reflektierender, aber formaler und abstrakter Religionsphilosophie dort. Mit der Philosophie verbindet ihn die Reflexion, mit der Religionsgeschichte die Arbeit am Material.

Schon einmal gab es in der Religionsforschung den Versuch, die Aporien der Spaltung von Religion in ein Subjekt und ein Objekt zu überwinden, nämlich in der Religionsphänomenologie, die unter anderen mit den Namen Rudolf Ottos, Geradus van der Leeuws, Friedrich Heilers und Geo Widengrens verknüpft ist. Und auch die Philosophie hat einen Versuch, zur "Unmittelbarkeit", zu den Sachen selbst zu gelangen, hinter sich, nämlich in der "Fundamentalontologie" Martin Heideggers. Doch im Unterschied zu beiden Ansätzen erliegt Heinrich weder den Gefahren einer Essentialisierung mythologischer und religiöser Inhalte, die doch wiederum nur eine Spielart der Objektivation ist, noch denen einer Affizierung oder gar Verschmelzung mit dem Gegenstand, die nicht selten zu Irrationalismen führt. Die eigenartige, wenn nicht einzigartige Sonderstellung Heinrichs in der Religionsforschung besteht darin, dass er in den materialen Religionen und den mannigfachen Formen der reflexiven Aufklärung Bundesgenossen sieht, die einander wechselseitig bedürfen.

Bündnis, dass ist nicht die Hegelsche Synthese, nicht die bloß additiv verfahrende Komplementarität und schon gar nicht der - immer faule - Kompromiss. Die Bundesgenossenschaft stellt sich allen Natur- und Schicksalsmächten entgegen. In ihr verbinden sich die Menschen untereinander und mit einem Gott, der "Gerechtigkeit statt Opfer" verlangt. Mit "Bündnis" bezeichnet Heinrich das, was es Menschen erlaubt, Erfahrungen zu machen und zur Besinnung zu kommen. Sein Gegenteil ist die "Ursprungsgläubigkeit". Jedem Archaismus, jeder Remythisierung und Rekultifizierung, jeder Authentizitätssuggestion und daraus erwachsenden Wiedergeburtserlebnissen steht Heinrich somit ideologiekritisch gegenüber. Es geht stets darum, sich den Spannungen und Ambivalenzen der Gattungsgeschichte auszusetzen, sie zu reflektieren und in ihnen das Dritte, nämlich das Leben selbst zu identifizieren. Es sind die Spannungen zwischen Gesellschaft und Natur, die Ambivalenzen des eigenen zwiespältigen Bewusstseins und der Kampf zwischen den Geschlechtern. Es geht um die Befreiung von der Faszinationskraft, die Mythologeme und die hinter ihnen liegenden Strukturen ausüben, ohne in zwanghafte Abwehr umzuschlagen.

Das aufklärerische Potential der Heinrichschen Arbeitsweise, Mythologie, Religion und Philosophie aufeinander zu beziehen, sie also als Bündnispartner zu sehen, sei an zwei Beispielen illustriert.

Ein Beleg für die Notwendigkeit, den Symbolmodus der Mythologie und Religionen, der noch in der Philosophie wirkt, zu bearbeiten, ist der Anthropomorphismus. Diesem Thema ist der zweite Band der "Dahlemer Vorlesungen" gewidmet. Der Anthropomorphismus ist das vielleicht eindringlichste Beispiel dafür, wie die Gattungsgeschichte in mythologischen Figuren in all ihren Zweideutigkeiten zunächst offenbar und dann durch die Philosophie zugerichtet wird. Indem Heinrich die Linie von der vorsokratischen Philosophie bis zur Kantischen Transzendentalphilosophie nachzeichnet, gelingt es ihm nachzuweisen, dass die Philosophie auf einem Verdrängungsmechanismus basiert: An die Stelle der menschenartigen Erscheinungsform der Götter setzt sie ein logomorphes Aufsichts- und Kontrollorgan, das im transzendentalen Subjekt seine reinste Ausprägung erlangt. Damit geht die dem lógos verpflichtete Philosophie eine Allianz mit der zur Technologie verkommenen téchne ein. Philosophie und Technologie werden ununterscheidbar, sind es aber auch von Anfang an (aufgrund dieser Einsicht ist Heinrich vor einer Geschichtsphilosophie der Dekadenz gefeit). Die philosophische Reaktion auf den religionsgeschichtlichen Anthropomorphismus stellt insofern eine Verdrängung dar, als das transzendentale Subjekt von der sinnlichen Sphäre abstrahiert und das konkrete gesellschaftliche Allgemeine unterdrückt.

Ein weiteres Beispiel für den Erkenntnisgewinn, der aus der wechselseitigen Beleuchtung von Mythologie, Religionen und Philosophie resultiert, ist die Ödipusfigur, die im dritten Band der Vorlesungen verhandelt wird. Die Ödipusfigur und ihre Wirkungen sind das Material, anhand dessen Heinrich die Begriffe Verdrängung und Erinnerung in der Religionswissenschaft behandelt. Am Beispiel der Ödipusfigur als einer anthropologischen Gestalt, die unter einem Wiederholungszwang steht, zeigt Heinrich, wie der Stoff der Mythen und Religionen dazu verhelfen kann, einen nichtverdrängenden Begriff des Begreifens zu erlangen. Die Wirkungsgeschichte der Odipus-Gestalt neigt dazu, die Verdrängung selbst zu verdrängen und die im Stoff enthaltenen Konfliktpotentiale zu kaschieren oder jedenfalls zu reduzieren. Hegel etwa sieht im Ödipus-Heros den "hohen Wissenden", Mircea Eliade identifiziert im Ödipus-Mythos das Mysterium der ewigen Wiedergeburt - und der Psychoanalytiker reduziert den Ödipus-Komplex auf den frühkindlichen Vatermord. Vor dem Hintergrund der Arbeit am Stoff zeigt Heinrich, dass in der mythologischen Religionsgeschichte das patriarchal Verdrängte wiederkehrt, die Philosophie statt auf Symptome auf Symbole setzt und die Psychoanalyse dazu neigen kann, durch den Appell zur Annahme des Unbewussten einem Irrationalismus zu unterliegen. Freilich geht es Heinrich nicht darum, diese Ansätze pauschal zu diskreditieren. Er kritisiert sie nicht nur, sondern zeigt auch ihr aufklärerisches Potential auf: Die mythologische Religionsgeschichte ist realistisch, weil sie das Verdrängte thematisiert und nicht leugnet, die Philosophie stellt Symbole zur Verfügung, um das Verdrängte intellektuell zu erfassen (obgleich Symptome dazu geeigneter sind), und die Psychoanalyse versucht, die Widerstände gegen das Verdrängte zu überwinden.

Heinrichs Analysen bewegen sich jenseits der falschen Alternativen von modischem Konstruktivismus und materialistischem Reduktionismus sowie von Ideen- und Realgeschichte. Die Rede vom "konkreten gesellschaftlichen Allgemeinen" erscheint heute als ein Anachronismus. Was jedoch einst zum rhetorischen Repertoire all derjenigen gehörte, die Gesellschaftskritik betreiben wollten, gewinnt und behält in Heinrichs Analysen noch heute Gestalt. Gerade weil er seine Analysen nicht auf wirtschaftliche und politische Prozesse beschränkt, sondern sie auch auf Mythologien, Ideologien und Reflexionsanstrengungen bezieht, ohne sie als bloßen, die "Realprozesse" kaschierenden "Überbau" zu denunzieren, ist Heinrich in der Lage, das bewusste Subjekt als Interpret und zugleich Akteur der Menschheitsgeschichte aufscheinen zu lassen. Das bewusste, oder besser: sich stets aufs Neue bewusst werdende Subjekt arbeitet gegen Verdrängungs- und Entfremdungsprozesse, indem es sich der dialektischen Einheit von Sinnlichkeit und Sinn vergewissert. Heinrich nimmt den historischen Materialismus ernst und reduziert ihn nicht auf Strukturen und Konstellationen (wie es in den Sozialwissenschaften tendenziell der Fall ist), sondern bezieht den Stoff, das historische Material in Form von Mythen und religiösen Ideen, in denen die Strukturen Gestalt annehmen, mit ein. Was Heinrichs Denk- und Sprachstil mit mythischer Redeweise verbindet - freilich ohne ihrer Faszinationskraft zu unterliegen -, ist die Art, jedem Problem eine anschauliche Gestalt zu geben und es in gestischer Bewegung zu formulieren. Bereits in seinem "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" ist von "Verkörperungen" die Rede, an die es "erkennend anzuknüpfen" gelte.

Sich zwischen dem Realismus von Mythologie und Religion einerseits und dem abstrakten Formalismus andererseits zu bewegen, birgt naturgemäß die Gefahr, auf die eine oder andere Seite abzugleiten. Vor der Gefahr, einer geistlosen, unlebendigen Abstraktion zu erliegen, ist Heinrich allein schon aufgrund seiner immensen Kenntnis der Mythologie-, Religions- und Kunstgeschichte gefeit. Weniger sicher ist er meines Erachtens vor der Gefahr, auf die andere Seite abzugleiten, nämlich der Faszination mythologischer und religiöser Rede zu erliegen. Es steht außer Zweifel, dass in der menschlichen Gattungsgeschichte eine Kontinuität von Zerrissenwerden zwischen widerstreitenden Mächten, Zerstückeltwerden und kollektiven Tötungsprozessen besteht. Ob die Kontinuität der gattungsgeschichtlichen Konfliktstoffe aber mit Worten wie "Opferzwang" und "Opferlogik" zutreffend beschrieben ist, ist eine der entscheidenden Fragen, die weiteren Nachdenkens und Erörterns bedarf. Die Stärke derjenigen Form von Analyse, die ihre ideologiekritische Kraft aus der religionswissenschaftlichen Bearbeitung scheinbar nicht-religiöser Sachverhalte erhält, droht selbst zur Ideologie zu gerinnen, wo sie etwas Opfer nennt, was schlicht und einfach als das zu bezeichnen wäre, was es ist: nämlich Gewalt von Menschen an anderen Menschen. Es ist eben eine schwierige Gratwanderung zwischen einer Aufklärung, die sich von der Mythenbildung absetzen will, und einer regressiven Remythologisierung. Heinrichs Weg ist der, die Kontinuitäten nicht nur der Realprozesse, sondern auch die ihrer symbolischen Verarbeitung aufzudecken. Dabei nicht zu einer Theologie zu werden, deren selbstverständliche Aufgabe es ist, in ihren Reflexionsbemühungen den Glaubensbestand zwar infrage, aber ihn trotzdem nicht zur Disposition zu stellen, bleibt eine Schwierigkeit des Heinrichschen Unternehmens.

Obwohl Klaus Heinrich einen beachtlichen Schülerkreis hat und seine Reflexionen unvermutete Wirkungen entfalten, ist es kaum zu erwarten (und wohl auch nicht beabsichtigt), dass sein Ansatz zu einem "Paradigmenwechsel" in der Religionsforschung führt. Aber das wäre auch gar nicht zu wünschen. Denn zum einen lässt sich schwer vorstellen, wie dieses Ein-Mann-Unternehmen zu einer Normalwissenschaft mit den dazu gehörenden institutionellen Folgen werden könnte, ohne den Charme der Idiosynkrasien einzubüßen. Und zum anderen kann vom Status des Rebellen und Partisanen mehr subversive Kraft ausgehen als von so mancher "wissenschaftlicher Revolution".

Eine Besonderheit der Edition besteht darin, dass sie auch Heinrichs Schilderungen von und Kommentaren zu universitätspolitischen Ereignissen enthält. Diese Anmerkungen sind zwar, wie Heinrich selbst einräumt, heute eher von ethnologischem Interesse, erinnern jedoch daran, dass die Universität einmal als Ort engagierter gesellschaftlicher Reflexion galt. Die universitätspolitischen Vorbemerkungen am Beginn einer jeder Vorlesungsstunde zeigen, dass die Universität und die Wissenschaften einst erotisch besetzt waren, nämlich gehasst oder geliebt wurden (das Erstaunliche ist, daß diese Beziehung heute viele erstaunt). Überdies lassen sie die Utopie aufscheinen, daß die Universität der Ort einer verdrängungsfreien Wissenschaft und "ein Modell der Verkörperung des konkreten gesellschaftlichen Allgemeinen sein könnte".

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Klaus Heinrich: Dahlemer Vorlesungen und Studien: Anthropomorphe. Band 2: Zum Problem des Anthropomorphismus in der Religionsphilosophie.
Herausgegeben von Wolfgang Albrecht.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 1986.
343 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3878771975

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Klaus Heinrich: Dahlemer Vorlesungen und Studien: Tertium datur. Band 1: Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik.
Herausgegeben von Wolfgang Albrecht.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 1987.
232 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3878771398

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Klaus Heinrich: Dahlemer Vorlesungen und Studien: Arbeiten mit Ödipus. Band 3: Begriff der Verdrängung in der Religionswissenschaft.
Herausgegeben von Hans Kücken et al.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 1993.
304 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3878773927

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Klaus Heinrich: Dahlemer Vorlesungen und Studien: Psychoanalyse Sigmund Freuds. Band 7: Das Problem des konkreten gesellschaftlichen Allgemeinen.
Herausgegeben von Hans-Albrecht Kücken.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
394 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 387877768X

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Klaus Heinrich: Dahlemer Vorlesungen und Studien: Vom bündnis denken. Band 4: Religionsphilosophie.
Herausgegeben von Hans A. Kücken.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
293 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3878777981

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