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Der Ausstellungskatalog "Lieber Maler, male mir ..."

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Lieber Maler, male mir" ist eine internationale Gruppenausstellung, eine Kooperation zwischen der Schirn Kunsthalle Frankfurt, dem Centre Pompidou Paris und der Kunsthalle Wien, die die figurative Malerei der Nachkriegszeit in Ausschnitten präsentiert. Sie entlehnt ihren Titel Martin Kippenbergers polemischer Serie von 1981, für die der Künstler einen professionellen Plakatmaler damit beauftragte, von ihm ausgewählte und gestaltete Fotovorlagen in großformatige Bilder umzusetzen. Dieses hintergründige Spiel mit der Klischeefigur des Malers zeigt, wie trügerisch und kodiert Bilder in einer massenmedial geprägten Welt sein können. Kippenbergers ironische Haltung gegenüber dem Begriff der Authentizität in der realistischen Malerei stellt einen entscheidenden Bezugspunkt für die Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung dar. Am Beginn stehen allerdings die in den 40er Jahren im Stil von Kitschgemälden gefertigten Aktbilder von Francis Picabia, deren Vorlagen aus erotischen Magazinen wie "Mon Paris" und "Paris Sex Appeal" erst 1996 entdeckt worden sind. In diesen Kontext einer Mediales z. B. in Form von Kommentar oder Persiflage verarbeitenden Malerei werden 17 weitere Künstler gerückt, die, wie es das Vorwort zusammenfasst, "den Menschen durch die Optik massenmedialer Bilder darstellen". D. h. als Vorlagen dienen meist Fotografien, Filmaufnahmen, Fernseh- und Zeitungsbilder oder kanonische Werke der Kunstgeschichte, die manchmal vervielfältigt, nachgeahmt oder variiert werden, so dass letztendlich bestimmte visuelle und gesellschaftliche Codes vor Augen geführt werden. Die Bandbreite dieser realistischen Malerei der Nachkriegszeit reicht von den etablierten Vorläufern Bernard Buffet, Alex Katz, Kippenberger und Sigmar Polkes "kapitalistischem Realismus" bis zur zeitgenössischen New Yorker Szene mit John Currin, Kurt Kauper, den Prominentenportraits von Elizabeth Peyton sowie Arbeiten von Luc Tuymans oder Carole Benzaken.

Der Katalog zur Ausstellung dokumentiert in guten Reproduktionen die Werke einzelner Künstlerinnen und Künstler. Die einleitenden Texte sind allerdings meist kurz und unergiebig und können keinen weiter reichenden Überblick liefern. So arbeitet ein Aufsatz zwar Wissenswertes über Rembrandt heraus, dessen Selbstportrait "Junger Maler im Atelier" nachvollziehbar zum Schlüsselbild für eine Standortbestimmung der Malerei stilisiert wird, die Chance, die in Ausstellung und Katalog vorgestellten Künstler, die weit weniger bekannt sind als Rembrandt, in einen ordnenden Zusammenhang zu rücken, wird hingegen vertan. Allein Alison M. Gingeras die Schau programmatisch legitimierender Essay über Kippenberger weiß argumentativ zu überzeugen, selbst wenn er am Ende das oftmals übliche Pathos von Kuratoren anstimmt und behauptet, die Ausstellung verfolge ein Anliegen "kompromisslos: Sie will den herrschenden Konsens aufbrechen" usw., einen Konsens gegen zeitgenössische, figurative Malerei, der nur in den Köpfen der Ausstellungsmacher existieren dürfte und der vom Erfolg einiger seit jeher populärer, wenn auch zeitweilig marginalisierter Maler zwischen U und E wie Gerhard Richter, Roy Lichtenstein, Raymond Pettibon oder Jeff Koons, um nur einige herauszugreifen, ad absurdum geführt würde. Gerade Richter vereint im Neben- und Miteinander von Abstraktion und Gegenständlichkeit bzw. Figuration die vorgeblich so widersprüchlichen Konzeptionen. Zudem sind die Strategien der Künstler derartig verschieden, dass sie sich kaum vor ein und denselben Karren spannen lassen. Benzakens erzählerische, teilweise den Zufall mit einbeziehende und sehr persönliche Bilderrolle zeugt etwa von einem völlig anderen Kunstverständnis als Tuymans distanzierte und elaborierte Serie "Der diagnostische Blick". Die verwirrenden Perspektivierungen innerhalb der Bilder von Neo Rauch lassen sich zwar auf fiktive Bildtypen zurückführen, haben aber darüber hinaus kaum etwas gemein mit den Parodien eines John Currin.

Wie dem auch sei, Kern des Katalogs bleiben die einzelnen Künstlerportraits mit den jeweiligen Abbildungen. Einer kurzen Synopsis folgt meist ein Gespräch, nur wo dies nicht mehr möglich war, fasst ein kommentierender Beitrag die künstlerischen Prämissen und Entwicklungen im Werk zusammen. Die Qualität der dabei gesammelten Informationen richtet sich selbstverständlich nach der Auskunftsfreudigkeit der Malerinnen und Maler, wobei manch fader Dialog auch dem jeweiligen Interviewer anzulasten ist. So wird es schon bedenklich, wenn man problemlos ein Gedankenspiel imitieren kann, das der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace zuletzt in "Brief Interviews with Hideous Men" meisterhaft vorgeführt hat: Es lassen sich nämlich einige Werkstattgespräche, in denen die Fragestellungen merklich ausschweifender und prätentiöser sind als die Antworten der eigentlich interessierenden Künstler - etwa in dem Interview mit dem faszinierenden Glenn Brown - beinahe ohne Substanzverlust ohne die Fragen lesen. Versuchen Sie es!

Die Freude über die ansehnliche Auswahl innovativer Künstler verringert dies gleichwohl nur wenig. Schließlich sollte, so Gingeras, eine allenfalls "provisorische Landkarte" der (post-) modernen figurativen Malerei gezeichnet werden, was vorzüglich gelingt. Und wenn deren Maßstab zu wenige Details zulässt, so kann man sich von den komprimierten Bio- und Bibliographien am Ende des Bandes zu eigenen Erkundungen des vernachlässigten Terrains anregen lassen.

Titelbild

Alison M. Gingeras (Hg.): Lieber Maler, male mir. Radikaler Realismus nach Picabia.
Kunsthalle Wien, Wien 2002.
200 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3852470374

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