Amerikaner und Nicht-Amerikaner

Mark Hertsgaard über Amerika und den Rest der Welt

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Amerikaner, so sagt man, mögen die Welt einfach und glatt, am liebsten nach trivialisierungsfähigen, binär strukturierten Codes geordnet: das alte und das neue Europa, die "Koalition der Willigen" versus die Unwilligen, das "unentbehrliche Land" versus die "Achse" bzw. das "Reich des Bösen" oder, wie es Präsident Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September vor dem Kongress formuliert hat: "Entweder stehen Sie auf unserer Seite, oder Sie stehen auf der Seite der Terroristen". Solche Schemata, die sich flexibel an neue politische Konstellationen anpassen lassen, haben eine nicht unbeträchtliche Orientierungsfunktion für die amerikanische Öffentlichkeit: Die Komplexität wuchernder Kommunikation, das reflexartige Palaver der amerikanischen Medien kann sich an zwei einfachen Werten orientieren und so Übersicht schaffen: an einem Positivwert und einem Reflexionswert, der das beschreibt, was es zu vermeiden oder gar zu bekämpfen gilt.

Hertsgaard kann sich diesem Mechanismus, auch wenn er ihm das martialische der offiziellen Rhetorik nimmt, nicht völlig entziehen. Seine Reiseimpressionen über das Amerikabild im "Rest der Welt" orientiert er ebenfalls an einem solchen binären Code: Amerikaner und Nicht-Amerikaner. "Es gibt wohl nichts, was Nicht-Amerikaner so sehr irritiert wie die eingefleischte Überzeugung der Amerikaner, sie hätten für alles eine Lösung und das Recht, diese allen anderen aufzuzwingen". Breiten Raum nimmt in Hertsgaards Erörterungen das Sendungsbewusstsein Amerikas ein und wie es von Nicht-Amerikanern erlebt wird. Auf einer mehrjährigen Weltreise hat er Außenansichten aus verschiedenen Kontinenten gesammelt und zu dem Amerikabild der Nichtamerikaner kompiliert. In keiner der kleinen Reisebegegnungen, die er immer wieder einstreut, kommt ein neutrales Amerikabild zum Ausdruck: alle oszillieren zwischen Kritik und Bewunderung, Empörung und Faszination, Abgestoßensein und Neid.

Dem Selbstbild Amerikas als das "unentbehrliche Land", das "Land der Zukunft" mit seinen ungeheuren Kräften, die die westliche Zivilisation unablässig vorwärtstreiben, "einem Ziel entgegen, das wir nicht kennen", stellt Hertsgaard ein ambivalentes Fremdbild gegenüber, das die Schattenseiten dieser Selbstüberhöhung in Vergangenheit und Gegenwart nicht länger verdrängt. Allerdings wird auch klar, dass er sich dem patriotischen Streben und Drängen, dem Sendungsbewusstsein nicht entziehen kann oder will. Es wird also lediglich um den "richtigen" Patriotismus gerungen.

Die Unkenntnis der Folgen des eigenen Tuns schützt nicht davor, von den Folgen der Folgen, von einem in Amerika weitgehend unverstandenen "Blowback" getroffen zu werden. Die dunklen Seiten amerikanischer Außenpolitik werden für die meisten Amerikaner nur in Gestalt der nach Amerika gerichteten Fratze des Terrorismus und anderer Anti-Amerikanismen sichtbar. Das amerikanische Selbstverständnis ist unfähig, sich selbst als Täter, als mitverantwortlich für diesen Blowback zu sehen. "Why do they hate us", fragen sich viele Amerikaner angesichts der eigenen "guten Absichten". Hertsgaard weist bspw. auf eine besonders tückische Ironie der Geschichte hin, auf das Datum des US-gesponsorten Anschlags auf die demokratische Regierung Chiles: der 11. September 1973, mit einer geschätzten Zahl von 3.197 Toten. "Aber in den Vereinigten Staaten blieb diese unheimliche Koinzidenz nahezu unbemerkt". Seine Prognose für das 21. Jahrhundert fällt düster aus: eine Spirale von Militärinterventionen der USA, terroristischer Vergeltung und weiteren Interventionen, also ein Blowback-Syndrom hoch zwei.

Als Schuldige für diese und so manche andere Fehlentwicklung werden die Massenmedien ausgemacht. Die Vorwürfe reichen von Hofberichterstattung bis Transmission von Regierungsverlautbarungen. "Der größte politische Witz in Amerika ist die Behauptung, wir hätten eine liberale Presse. Aber erstaunlich viele Leute nehmen diesen Witz ernst".

Der Rekurs auf christliche Rhetorik, vom "Kreuzzugseifer" Nixons gegen Ende des Vietnam-Kriegs bis zu George W. Bushs "Kreuzzug gegen das Böse" sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie weit man sich von einer christlichen Haltung, wie sie von "Nicht-Amerikanern" verstanden wird, bereits entfernt hat. Amerika hat einen religiösen Mix aus "Göttern und Abgöttern" ganz eigener Art entwickelt. Die Lesart "Christlicher Fundamentalismus" kann hier eine andere mögliche Lesart verdecken: nämlich die Aspekte des "Indianischen", die sich in der amerikanischen Kultur manifestieren. Verbirgt sich nicht hinter der überhöhten Kreuzzugsrhetorik die alte Idee des "Kriegspfades" und könnte diese Lesart nicht die einzigartige amerikanische Kunst erklären, nach einem Krieg Frieden zu schließen, sprich: die Friedenspfeife zu rauchen? - Eine Analogie, die Hertsgaard leider übersieht. Übersehen wird auch, was die Spezifität des chinesischen, ägyptischen, europäischen, südafrikanischen Blicks auf die USA ausmacht. Das Bild des Nichtamerikaners bleibt ein diffuses kulturelles Potpourri. Damit bleibt aber auch das Reflexionspotenzial von Hertsgaards Unternehmen nicht optimal ausgenutzt. Anders formuliert: Hertsgaard will in den Spiegel schauen, um das zu sehen, was der Durchschnittsamerikaner nicht sieht, er will ihnen regelrecht einen Spiegel vorhalten, ohne aber die Beschaffenheit des Spiegels ausreichend zu klären. So könnte man einwenden, auch Hertsgaard kann sich von der beliebten "Selbstbespiegelung" Amerikas nicht trennen. Ein Projekt, für das der ROW nur Projektionsfläche ist, durch die es mit zusätzlicher Legitimität ausgestattet werden soll. Nötig hätte es das jedenfalls nicht.

Das inspiriert und informativ geschriebene Buch ist gerade jetzt zu empfehlen, in einer Zeit, in der mancher mit dem Finger auf die USA zeigt und ihre Feindbilder beklagt, ohne die eigene Feindbildkonstruktionen zu kennen. Das Buch ist in bester pädagogischer Absicht geschrieben, nur wird es die, die es am dringendsten nötig haben, nicht erreichen.

Titelbild

Mark Hertsgaard: Im Schatten des Sternenbanners. Amerika und der Rest der Welt.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Friedrich Griese.
Carl Hanser Verlag, München 2003.
254 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446202854

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