Leben mit einem Exzentriker

In "Mein Leben mit Céline" schildert Lucette Destouches erstmals ihr Leben an der Seite des vielleicht umstrittensten französischen Autors

Von Sarah BauchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Bauch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich suchte mit ihm nicht das Glück; mir lag lediglich daran, ihn weniger unglücklich zu machen." Dies sind die Worte einer Frau, die sich einer großen Liebe und einem Leben voller Leid und Misstrauen hingab. Sie lebte 25 Jahre lang in einer Ehe mit einem Mann, dessen Genie sowohl Bewunderung als auch Verachtung hervorrief und dessen Persönlichkeit so vielfältig und schwierig war, dass sie dem literarischen Publikum bis heute ein Rätsel bleibt. "Er brauchte meine Jugend und Fröhlichkeit, ich den Kopf eines Mannes, der gelebt hatte. Deshalb fügten wir uns ineinander wie zwei Teile eines Puzzles".

Die Rede ist von Lucette Destouches, der Witwe von Louis Ferdinand Céline, des vielleicht umstrittensten und geheimnisvollsten Autors im Frankreich des 20. Jahrhunderts. Erst 40 Jahre nach seinem Tod schildert sie in "Céline secret" - so der Originaltitel - ihr zum Teil wundersames und vor allem hartes Leben an der Seite dieses düsteren Genies. Und obwohl es eigentlich ihre Geschichte ist, handelt sie dennoch vor allem von Céline, von ihrem gemeinsamen Leid und von ihrer Liebe zu einem Mann, den niemand recht zu verstehen schien. Sie selbst beschreibt sich als Spiegel seiner Seele, als einzige Person, die ihn wirklich ergründen konnte. Der ganze Lebensroman ist überschattet von seiner schwermütigen Art, von seiner Paranoia und von seinem langsamen Verfall, bedingt durch beide Weltkriege und Célines Gefangenschaft in Dänemark.

In Frankreich wurde Lucettes Geschichte mit Spannung erwartet, hatte man sie doch bisher nie zu Äußerungen in der Öffentlichkeit bewegen können. Céline war auf Grund der politischen Position, die er einnahm oder einzunehmen schien, das Stiefkind der französischen Literatur seiner Zeit. 1932 wurde er für "Voyage au bout de la nuit" ("Reise ans Ende der Nacht"; 2003 erstmals in vollständiger deutscher Übersetzung) in Frankreich als großer Dichter gefeiert. Doch sein Ruhm wurde 1937 für immer beschädigt, als er "Bagatelles pour un massacre" (die deutsche Übersetzung erschien unter dem Titel "Judenverschwörung in Deutschland") herausbrachte. Darin entwickelt er einen sprühenden Antisemitismus, der sich zwar stark von dem in Deutschland vorherrschenden unterschied, aber jenem in Verbitterung und Brutalität in Nichts nachstand. Fortan fühlte er sich von politischen Gegnern verfolgt, er und Lucette flohen 1944 durch das "brennende Deutschland" nach Dänemark, und sein Heimatland, das er abgöttisch liebte, wandte sich von diesem "Verräter Frankreichs" ab.

Dennoch bleiben Célines Werk und seine Person ein Rätsel, äußerte er sich doch sehr distanzierend über seine antisemitischen Pamphlete, ohne jedoch seinen Fehler jemals einzugestehen. Er soll in seiner Position als Arzt vielen Juden geholfen haben, und Bekannte erinnern sich an seine eindeutig ablehnende Haltung gegenüberden Nazis. Von Lucette erhoffte man sich nun Einblick in die Gedankenwelt des wahren Céline, man erwartete, ihn durch Lucette besser verstehen zu können.

Doch dieser Wunsch bleibt unerfüllt. Lucette scheint sich mit der Rolle als "Spiegel" ihres Mannes so völlig identifiziert zu haben, dass ihrer Erzählung jegliche Distanz zu Céline und seinen exzentrischen Zügen fehlt. Ihre einzige Äußerung zu "Bagatelles pour un massacre" ist, dass sie ihm davon abgeraten habe, es zu schreiben, da er sich damit nur selbst einen großen Pflasterstein an den Kopf werfen würde. Sie hat ihr Leben damit verbracht, das Erbe ihres Mannes zu schützen. Zu diesem Zweck setzte sie unter anderem ein Verbot des Drucks seiner umstrittenen Hetzschrift durch. Die Geschichte werde letztlich von den Siegern geschrieben, sagt sie, und ein Hauch von Verbitterung dringt durch die Zeilen.

Bei ihren Schilderungen fällt auf, dass sie dem Leiden und den Erlebnissen ihres Mannes mehr Beachtung schenkt als ihren eigenen. Sie hatte sich schon sehr jung einem Mann verschrieben, mit dem man nur zusammensein kann, wenn man alles gibt und nichts fordert. Glaubt man ihren Worten, so war ihr dies und ihre Leidenschaft für das Ballett genug. Dass sie sich nie in einer Position sehen würde ihren Mann zu kritisieren oder sich in anderer Weise von ihrem Respekt für ihn zu lösen, zeigt vielleicht auch die Tatsache, dass sie ihre Geschichte nicht selbst geschrieben hat. Ihre langjährige Freundin und ehemalige Schülerin Véronique Robert nahm für sie die Feder in die Hand und protokollierte Lucettes Erlebnisse in Gesprächen. Lucette selbst hätte wahrscheinlich niemals selbst geschrieben - sie war stets Unterstützung und Inspiration für Céline, sie würde nie ihre Rolle aufgeben und selbst Autorin werden wollen.

Man sollte also keine nüchterne Aufklärungsarbeit über das Leben eines umstrittenen Künstlers erwarten. Vielmehr ist der Roman - so wie Lucette selbst - ein Vermächtnis einer fast schizophrenen Persönlichkeit, zu der Lucette nur einen Mosaikstein beitragen konnte. Gleichwohl zieht ihr Porträt mit seiner düster romantischen Atmosphäre den Leser in seinen Bann.

Titelbild

Lucette Destouches / Véronique Robert: Mein Leben mit Celine.
Übersetzt aus dem Französischen von Carina von Enzenberg.
Piper Verlag, München 2003.
127 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3492044204

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