Wenn man aufhören könnte zu lügen

Walter Gödden und Jochen Grywatsch erinnern an Paul Schallück

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Paul Schallück (1922 -1976) ist, obwohl heute Mitglied der Gruppe 47 und ein bedeutender Publizist der Adenauerzeit, ein vergessener Autor. Das erkennt man auch daran, dass seine Werke kaum mehr im Sortiment vertreten sind und selbst die meisten Beiträger des vorliegenden Materialienbandes, nach den Worten der Herausgeber, am Anfang des Ausstellungsprojekts zum 80. Geburtstag Schallücks (das der Band als Katalogbuch begleitet), den Namen des Autors nicht gekannt haben. Bei diesem Personenkreis handelt es sich allerdings weitgehend um Studierende der Universität Münster, die über das Seminarthema "Literatur - Nachlass - Archiv" zu Paul Schallück gefunden haben, der aus dem nahen Warendorf stammte und dessen Nachlass in seiner Wahlheimatstadt Köln bislang einer Auswertung harrte. Entsprechend unterschiedlich fallen die einzelnen Beiträge aus.

Der Versuch, Schallück als westfälischen Querkopf am Ort seiner Herkunft zu feiern, ohne ihn, der zeitlebens ein sehr gespaltenes Verhältnis zur Provinz hatte, zum Heimatdichter zu machen ist allemal verdienstvoll. Entbehrlich ist die schulbuchhafte Übersicht zum Thema "Kultur und Gesellschaft 1945-1976". Eine anregende biographische Skizze fehlt indessen. Walter Gödden, Geschäftsführer der Literaturkommission für Westfalen in Münster und sicher der Spiritus rector dieser Erinnerungsarbeit, unterwirft die Romane Schallücks (mit Ausnahme von "Don Quichotte in Köln") einer kritischen Sichtung, angereichert durch längere Textpassagen, Fotografien und faksimilierte Typoskriptauszüge. Diesem Aufbauprinzip folgen auch die übrigen Beiträge, die Schallücks Kurzgeschichten, seiner Essayistik, seiner Lyrik, seinen Hörfunk- und Bühnenarbeiten sowie seiner umfangreichen journalistischen Tätigkeit, u. a. als Chefredakteur der Zeitschrift "Dokumente", gewidmet sind.

Am 20. August 1944 wurde Paul Schallück, der unmittelbar nach dem Schulabschluss in Hitlers Wehrmacht eingetreten war, am Pont Neuf in Paris schwer verletzt. Die Verwundbarkeit wurde zum Grundmotiv seines Lebens, der Einsatz für die Wahrheit und die menschliche Solidarität zum Motor seines Wirkens. Nicht zuletzt deshalb war Schallück ein eminent pädagogischer und moralischer Autor. Die künstlerische Avantgarde interessierte ihn nicht. Er sah sie als Bewohner eines Elfenbeinturms. Mit der einsetzenden Studentenrevolte und ihrer schonungslosen Abrechnung mit der Vätergeneration hatte auch die sog. Trümmerliteratur ihr Ziel erreicht, aber ihre Daseinsberechtigung eingebüßt. Sein letzter Roman, "Don Quichotte in Köln" erschien 1967 und war ein Misserfolg. Danach erlahmte seine künstlerische Produktion, während seine Tätigkeit für Gremien und Institutionen zunahm. Ob die literarischen Werke Schallücks, die wesentlich zur literarischen Neubestimmung nach 1945 beigetragen haben, ihre Zeit überdauerten oder lediglich von literaturhistorischem Interesse sind, auf diese Frage wollen die Beiträger des Katalogbuchs keine Antwort geben. Das könnte auch wohl nur der Literaturbetrieb und die Leserschaft entscheiden. Ein Wegweiser ist immerhin aufgestellt.

Titelbild

Walter Gödden / Jochen Grywatsch (Hg.): Wenn man aufhören könnte zu lügen. Der Schriftsteller Paul Schallück (1922-1976).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2002.
420 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3895283703

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