Ertrinken in Blau, vergehen in Weiß

Kirsten Johns Roman "Schwimmen lernen in Blau"

Von Katrin HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufarbeitung einer harten Kindheit kann schmerzhaft sein - vor allem dann, wenn sie uns für unser späteres Leben mehr als nur geprägt hat. Doch allein die richtige Farbenwahl und das tiefe Eintauchen in Bilder und Gedanken, in Farben und Erinnerungen kann dazu beitragen, aus dieser Aufarbeitung etwas zu gewinnen oder uns in noch tieferen Schmerz und Selbstzweifel zu stürzen.

Hauptfigur Katharina führt in steter Selbstreflexion ein Leben, das hauptsächlich aus Farben zu bestehen scheint. Jede Farbe hat eine Bedeutung, und jede Bedeutung kann sie in jeglicher Art und Weise mit ihrer Kindheit verbinden. So besteht der Roman aus einem Zustands- und Lebensbericht der jungen Kunststudentin einerseits und aus Erinnerungen und Erzählungen aus ihrer Kindheit andererseits.

In ihrer Kindheit lernte Katharina, dass Malen Macht bedeutet. Sie konnte sich damit ihrer Alltagsrealität entziehen, die aus einem schlagenden Vater sowie einer Mutter bestand, die mit ihren Kindern und ihrem Leben unzufrieden war und schließlich aus dieser Welt ausbrach und ihre Familie verließ. Durch das Malen verarbeitete sie schon als Kind die Probleme innerhalb der Familie und benutzte die Malerei um sich selbst und die Menschen um sich herum besser zu verstehen. Die Härten ihrer Kindheit werden in ihren Bildern weicher, sind leichter zu ertragen. Die gemalten Personen verändern sich für sie durch ihre Darstellung im Bild - und sie übernimmt diese neuen Ansichten und überträgt sie in die Realität.

Alle Figuren des Buches werden aus Katharinas Sicht beschrieben, einer Sicht aus Kindheitserinnerungen und der Selbstreflexion ihres momentanen, erwachsenen Ich. Alle Personen scheinen Katharinas Eindrücke geprägt und beeinflusst zu haben. Da ist zum Beispiel ihr Onkel Daniel, der sich in Katharinas "kindlicher" Perspektive in ein Monster verwandeln sollte, das ihre Eltern frisst, und der ihr Ratschläge mit auf den Weg gab, wie "nie über die Linien eines Menschen zu schreiben", man solle malen "was die Leute amüsiert und n' Vogel auf'm Kopf hat". Außerdem erkennt sie, dass sie die Menschen um sich herum mit ihrer Kunst beeinflussen kann.

Als Katharina, fern von ihrer Familie, ein Kunststudium begonnen hat, verliert sie sich immer mehr in ihren Darstellungen und Bildern und in der Liebe zu ihrem Professor und Mentor Overland. Teilweise mutet ihre Malweise selbstzerstörerisch an, so sehr taucht sie ein in ihre Bildschöpfungen und in die Erinnerungen an ihre Kindheit.

Trotz der permanenten Selbstreflexion der Hauptpersonen, die stellenweise übertrieben scheint, ist der Leser gefesselt, weil der sprachliche Ausdruck sich perfekt Katharinas Lebenssituationen anpasst. So reicht das Spektrum von den Auffassungen eines kleinen Mädchens bis hin zu der lethargischen Sicht einer bis zur Lebensunfähigkeit depressiven Studentin. Durch den permanenten Wechsel zwischen den Erzählweisen des Damals und des Heute wird der Roman nicht eine Sekunde langweilig. Durch die Entstehungsgeschichte der Bilder kommt ein Sog zustande, der den Leser nicht mehr loslässt, bis er meint, sich selbst in einem von Katharinas Bildern zu befinden.

Titelbild

Kirsten John: Schwimmen lernen in Blau. Roman.
btb Verlag, München 2003.
187 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3442729610

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