Warten unter Barbaren
Bölls Briefe aus dem Krieg 1939-1945, ausgewählt von Jochen Schubert
Von Tobias Temming
Besprochene Bücher / Literaturhinweise16 Jahre nach Heinrich Bölls Tod erschien nun nach der Buchausgabe im Kiepenheuer & Witsch Verlag auch das Hörbuch "Briefe aus dem Krieg". Es umfasst eine Auswahl von Briefen, die Heinrich Böll nach seinem Einzug in die Wehrmacht 1939 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 an seine Familie, überwiegend jedoch an seine Frau Annemarie gerichtet hat. Ein Frühwerk eines der größten Autoren der deutschen Nachkriegszeit.
Böll wird schon früh zum Arbeits- und Wehrdienst eingezogen und berichtet von der Eintönigkeit des Alltagslebens des deutschen Soldaten zunächst in heimischen Kasernen, dann als Besatzungssoldat in Frankreich und später im Fronteinsatz gegen die sowjetischen Truppen in Ungarn. Während dieser fünf Jahre findet Böll Trost in der Literatur, Kraft in seinem Glauben, aber Zuversicht allein in den Briefen seiner geliebten Annemarie Chech, die er 1942 heiratet.
Bölls Haltung zum Krieg ist zunächst eine unglaublich naive: Zwar hält er den Krieg für "absolut unparadiesisch", doch das schlimmere Greuel ist für den Besatzungssoldaten der tägliche Stumpfsinn und die Entmenschlichung in den Kasernen. Das Leben bei der Truppe empfindet Böll als eine den Geist zermürbende Farce. Die alles gleich machende Stupidität des preußischen Kommiss ist für den Intellektuellen kaum zu ertragen - gepeinigt von "barbarischem Schwachsinn" des Wehrmachtsgeschwätzes, hat er Angst zu verblöden. Um dem zu entkommen, wünscht er sich an die Front. Er sehnt sich nach mehr "Absolutheit". Zwar liebt Böll Deutschland, jedoch nicht das Geschrei derer, die es vertreten. Deutschland soll gewinnen! Doch möglichst schnell, um der Barbarei und dem Leid ein Ende zu setzen. Andere Gründe erwähnt er nicht. Die Elemente seiner christlichen Ethik sind immer wieder Mittelpunkt seiner Briefe und der Grund für seinen unerschütterlichen Glauben ans Überleben. Mit Gottes Hilfe will er die "Möglichkeit ,Deutschland' nicht fallen lassen." In der "entsetzlichen und bestialischen Hölle" der Ostfront ab 1943 findet Böll schnell treffendere Definitionen für den Krieg und lernt immer mehr, alles Militärische abgrundtief zu hassen. Die malerischen Landschaften Ungarns und die bäuerliche Einfachheit der Menschen sind ihm in den wenigen Mußestunden ein Intermezzo der Menschlichkeit. Heinrich Böll ist zum Soldaten nicht geboren. Jeder Tag ist ein schmerzliches Warten auf die Rückkehr nach Deutschland. Fünf Jahre lang wird jedoch seine tägliche Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges enttäuscht.
Bölls Briefe aus dem Krieg sind ein interessantes Zeitdokument, das in diesem Umfang wohl von keinem anderen deutschsprachigen Autor hinterlassen wurde. Die teilweise derbe Sprache, die er für die Beschreibung seiner Umgebung und so manchen bornierten Vorgesetzten findet, frischt die sich oft wiederholenden Erzählungen über den soldatischen Alltagstrott ein wenig auf. Obgleich bekennender Christ und zudem lokalpatriotischer Kölner, ziert er sich nicht, den Kölner Dom als "Scheißhaufen" zu bezeichnen, im Vergleich zu der Kathedrale von Amiens.
Leider bleibt Böll in der Beschreibung der umwälzenden Geschehnisse der Zeit an der Oberfläche. Einen Eindruck von den wahren Schrecken und Greueln an der Front gewinnt man kaum. Es spricht einiges dafür, dass Böll, immer darum bemüht, seiner Mutter und vor allem seiner Frau nicht zu große Sorgen zu bereiten, in der Auswahl der Details sehr vorsichtig und in der Darstellung der Umstände mitunter sehr euphemistisch war.
Gleichwohl bilden die hier beschriebenen Erfahrungen die Grundessenz seines späteren literarischen Schaffens. Böll erwähnt in den Briefen seine Aufgabe, "nicht zu vergessen, was Menschenunwürdiges passiert und gegen Gott gesagt und getan wird." In seinem ersten Roman von 1951 "Wo warst Du Adam?" schlagen sich Bölls Erlebnisse erstmals in größerer verdichteter Form nieder. Deutlich manifestieren sich hier die autobiographischen Elemente eines Menschen, wie man ihn durch diese Kriegsbriefe kennen lernt, z. B. in der Figur des Soldaten Feinhals. Ein Mensch, der den Krieg hasst, aber nicht über die Ursachen und Urheber nachdenkt, voller intensiver Anteilnahme am Schicksal der Opfer und voller Trauer. Auch Bölls konsequente antimilitaristische Einstellung und die starke Politisierung seines Werkes sind eine Folge der hier wiedergegebenen Erlebnisse. Erst hier liegt der eigentliche literarische Wert seiner Kriegsbriefe, die aus den 1.500 Buchseiten auf 422 Minuten und sechs CDs gedrängt wurden. Der melancholische und einfühlsame Ton der Stimme Philipp Schepmanns ist trefflich gewählt und wirkt sehr authentisch. Leider fehlt in der Auswahl der Briefe ein Zeitraum von mehreren Monaten gegen Ende des Krieges, kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch der Wehrmacht. Diese wären wohl interessanter zu hören gewesen als die permanenten Wiederholungen um die Organisationsnöte des Besatzungssoldaten Böll oder die Fahrradtouren und Haschmich-Spielchen durch französische Frühlingslandschaften. Aber Organisationsnöte sind wohl ein zeitloses Thema ...
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