Schiffbrüchig

Astrid Gehlhoff-Claes erzählt von den "Inseln der Erinnerung"

Von Nadine GottschlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Gottschling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mir ist, als löse der Himmel über dir sich auf in ein Meer von Malven, die auf den Türmen, auf den Bäumen liegen bleiben, was ein Stück Erde selbst zum Himmel macht."

Bäume als Vorbilder. Das Dasein der Straße als lebenswichtig. Kirchen als Oasen des Friedens.

Astrid Gehlhoff-Claes erzählt von den Inseln ihres Lebens, an denen sie noch heute gerne strandet. Denn ein solches Stückchen Festland im Meer der Einsamkeit spendet Trost, gibt Hoffnung. Hoffnungen, die "wie Vögel sind, die das Ankommen kennen: du lebst."

In kurzen Episoden beschreibt die Autorin Stationen der Vergangenheit. Sie erzählt von ihrer Traumstraße, die ihr Kraft gibt. Von Sankt Gereon, wo das Leben die alltägliche Dunkelheit verliert. Und von ihren Lesungen im Gefängnis, deren Inhaftierte versuchen, das Draußen zu bestehen.

Sie führt den Leser ein in ihre Welt. Mit beschwingten Worten. Verständlich, denn die "Poesie" bringt "die Momente" schließlich "zum Leben".

So beschreibt sie Empfindungen, erzählt von Orten und Menschen, die in ihrem Leben einen Sinn machen. Sie nennt die Begegnung mit Gottfried Benn. Der große Dichter. Und sie. In einem Schlosspark, damals, als er noch nichts von ihr weiß, als er herausfindet, dass sie einsam ist. Er gibt ihr Selbstvertrauen, stärkt ihren Mut zum Schreiben.

Die Einsamkeit. Sie schwindet bei Gelhoff-Claes überhaupt nur "auf dem Weg in die Natur". Und so spricht sie passagenlang über Bäume und wie sich deren einzelne Blätter im Takt des Windes bewegen oder wie sie in einem anderen Licht aussehen.

Ebenso hält es die Autorin es mit anderen Pflanzen, zuweilen auch mit Gebäuden. Sie langweilt mit daten-faktischen Einzelheiten einer Kirchturmglocke. Mit überflüssigen, weil wenig fesselnden, geschichtlichen Einzelheiten über ein Schloss.

Die Autorin verliert sich in zunächst interessanten und mitreißenden Beschreibungen. Doch spätestens nach der Erzählung über ihre tief emotionale Bindung zu Zypressen möchte man von Pinien nichts mehr hören.

Ihr Werk gibt zum Erforschen ihrer Psyche Anlass. "Inseln der Erinnerungen", oft als Autobiographie klassifiziert, erscheint an manchen Stellen mehr wie ein Reiseführer, wie ein Sachbuch über Flora und Fauna. Immer wieder bleibt die Autorin unkonkret. Nur ansatzweise erfährt man etwas über den Ursprung ihres Leids, ihrer Einsamkeit. Sie scheint unfähig, ihrem Ärger und der Wut Raum zu geben. Sie verlor Freunde, weil sie immer im Sinne ihres Vaters handelte. Doch: kein Wort davon, wie sich das anfühlt. Sie verliert ihre Tochter an die Schwiegermutter. Und wieder: keine greifbare Äußerung über den Schmerz.

Lediglich das Kapitel "Freundschaft in Paris" offenbart, dass "sie schreit". Doch zu leise, im Ganzen ist dieser Satz nur eine leichte fallende Feder, die man am Ende überhört. Sie bevorzugt mit ihrem Hund zu plaudern, oft weiß sie nicht mal Namen der Menschen, die um sie herum und mit ihr leben. Wohl aber die der Haustiere jedes Einzelnen. Vielleicht hat sie Angst vor Voyeurismus. Die Möglichkeit, der Leser könne als Beobachter ihrer Seele agieren, scheint sie zu behindern.

Und so bleibt es dabei, dass nicht nur Benn - wenn auch nur zu Anfang - nichts von ihr weiß. Auch der Leser ist weitestgehend von ihrem Leben ausgeschlossen.

Bemerkenswert sind ihre Worte, die in Erinnerung bleiben. Vielleicht ist das jedoch die einzige Insel, auf der der Leser strandet: "Ihr wisst nur von meinen leichten Tagen,/ doch die dunkeln habt ihr nicht gezählt."

So erklärt sie sich in ihrem Gedicht "Der Delphin" - und ahnt vielleicht nicht, wie Recht sie hat, liest man ihr Werk. Schöne Wort alleine genügen eben nicht immer.

Titelbild

Astrid Gehlhoff-Claes: Inseln der Erinnerung. Begegnungen und Wege.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2002.
101 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3933749867

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